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Globalisierung

Weltbevölkerungskonferenz: Neuer Anlauf für Frauenrechte

Tim Schauenberg
12. November 2019

Wenn Frauen gesünder leben können und weniger Kinder bekommen, hat das positive Effekte auf die gesamte Gesellschaft. Auf der Weltbevölkerungskonferenz in Nairobi will man deshalb alten Zielen neue Impulse geben.

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Mutter stillt Baby
Bild: picture-alliance/dpa/F. Kokoroko

Jeden Tag sterben mehr als 800 schwangere Frauen durch vermeidbare Krankheiten, pro Jahr werden rund 90 Millionen ungewollt schwanger und eine von drei Frauen weltweit hat laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bereits körperliche Gewalt oder sexuelle Gewalt erlebt.

"Das Selbstbestimmungsrecht von Frauen ist heute noch nicht Realität. Es gibt immer noch über 200 Millionen Frauen, die nicht entscheiden können, wann, wo oder mit wem sie ein Kind bekommen wollen”, sagt Renate Bähr, Geschäftsführerin der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung.

Familienplanung und selbstbestimmte Verhütung, ein Besuch beim Arzt oder eine sichere Abtreibung, all das mag für einige Menschen selbstverständlich klingen, für viele Millionen Frauen auf der Welt ist es das bis heute nicht.

Die dreitägige Weltbevölkerungskonferenz in Nairobi, die an diesem Dienstag begann, will neue Impulse setzen, damit sich das bis 2030 ändert. Tausende Gesundheitsexperten,  Regierungsvertreter, politische Akteure aus über 160 Ländern, Aktivistinnen und Aktivisten aus der ganzen Welt kommen zusammen, um eine Bilanz der vergangenen 25 Jahre zu ziehen.  

Mosambik Aufklärungskampagne der UN in der Provinz Nampula Province
Aufklärungskampagne des Weltbevölkerungsfonds UNFPA in Mosambik.Bild: Getty Images/AFP/G. Guercia
Uganda - Aufklärungskampagne für Kondome für Frauen
Für viele Frauen und Männer in Uganda ist das Kondom immer noch ein Mysterium.Bild: DW/F. Yiga

Diese Themen stehen in Nairobi im Mittelpunkt: 

- Allgemeiner Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechten als Teil der allgemeinen Gesundheitsversorgung.

- Ermittlung der notwendigen finanziellen Mittel, um die Ziele des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen zu erreichen. Dazu gehört vor allem, die Gleichstellung der Geschlechter, Gesundheit und Wohlergehen sicherzustellen.

- Nutzung der demografischen Vielfalt, um das Wirtschaftswachstum zu stärken und eine nachhaltige Entwicklung zu erreichen.

- geschlechtsspezifische Gewalt und gefährliche Bräuche (zum Beispiel weibliche Genitalverstümmelung) beenden.

- Wahrung des Rechts auf sexuelle und reproduktive Gesundheitsversorgung auch in humanitären Krisen und fragilen Situationen.

Meilenstein Kairo 1994 – Ziele noch nicht erreicht

Bei der letzten Weltbevölkerungskonferenz der Vereinten Nationen, 1994 in Kairo, wurden Meilensteine gesetzt: Das von 179 Staaten verabschiedete Aktionsprogramm erklärte die Stärkung von Frauenrechten und die Gleichberechtigung als elementar für die nachhaltige Entwicklung weltweit.

Infografik Geburtenraten weltweit

 „Die Konferenz von Kairo war bahnbrechend", sagt Renate Bähr (DSW) zu DW. Worauf sie anspielt: Auf der Konferenz von Kairo beschloss man, dass sich Bevölkerungspolitik sich nicht mehr nur auf Zahlen beschränken sollte. Das Individuum rückte in den Vordergrund. Renate Bähr war damals selbst dabei als es hieß „wir müssen die Frauen entscheiden lassen. Wir wollen ihnen nichts aufzwingen. Es geht um das Selbstbestimmungsrecht der Frauen”.

Das Kairoer Aktionsprogramm rückte erstmals individuelle Rechte und das persönliche Wohlbefinden in den Mittelpunkt globaler Entwicklungspolitik. " Auch das Recht auf medizinische Betreuung während und nach der Schwangerschaft wurde im Aktionsprogramm festgehalten, ebenso das Recht auf einen sicheren Schwangerschaftsabbruch - sofern er in einem Land legal ist.

Der Gipfel in Nairobi: Alte Ziele, neuer Schwung

Die Ziele von Kairo wurden bis heute nur teilweise erreicht.

 "Jedes Jahr gibt es immer noch 25 Millionen unsichere Abtreibungen”, sagt Naisola Likimani von der internationalen Frauenbewegung "She Decides”. "Dies ist der richtige Zeitpunkt, um zusammenzukommen und zu sehen, was haben wir geschafft und was nicht und um uns erneut zu verpflichten, diese Dinge ein für alle Mal zu verändern. Unser Traum von Kairo ist noch nicht erfüllt”, so Likimani weiter.

Auch Arthur Erker vom Weltbevölkerungsfond (UNFPA) zieht ein "gemischtes Fazit” aus den vergangenen 25 Jahren seit der Konferenz von Kairo. Zwar würden heute 44% weniger Mütter während der Schwangerschaft sterben als damals, 25% mehr Frauen benutzten Verhütungsmittel und die Zahl der Kinder pro Frau in weniger entwickelten Ländern sei statistisch von rund 6 Kindern auf unter 4 Kindern pro Frau gesunken. "Dinge haben sich zum Guten entwickelt.  Aber wir haben unsere Agenda noch nicht zu Ende gebracht - und das ist, worum es in Nairobi geht”, erklärt Erker. Die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen seien nur zu erreichen, wenn auch die Ziele der Konferenz in Nairobi erfüllt würden.

Kenia Anti AIDS Kampagne Kondome Jugendliche
Verhütung als Grundrecht. Der UNFPA investierte im vergangene Jahr alleine 200 Millionen US-Dollar in Verhütungskampagnen.Bild: Getty Images/AFP/S. Maina
Die Pille
Eine gute Gesundheit, Wohlbefinden und Gleichberechtigung gehören zu den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen. Zugang zu Verhütungsmitteln leistet einen Beitrag dazu.Bild: Blue Ventures/Garth Cripps

50 Jahre Weltbevölkerungsfonds

Mit 1,3 Milliarden US-Dollar Budget pro Jahr ist der UNFPA der weltweit größte Fonds zur Finanzierung von Bevölkerungsprogrammen. Er wurde 1969 als Reaktion auf eine immer stärker wachsende Weltbevölkerung gegründet. Ein Grundgedanke: Geburtenmanagement soll unter den Prämissen von Gleichberechtigung, Gesundheit und Selbstbestimmung erfolgen, nicht durch Zwang oder staatliche Geburtenkontrolle. Vor 50 Jahren nutzten nur zwei Prozent der Frauen in den am wenigsten entwickelten Ländern moderne Verhütungsmittel, heute sind es bereits 37 Prozent. Im vergangenen Jahr hat der Fonds mit rund 200 Millionen Dollar für 40% der weltweit frei zugänglichen Verhütungsmittel zur Verfügung gestellt.

Afrikas Bevölkerung wächst am stärksten

Seit Jahren wächst die Bevölkerung in Afrika am stärksten. In Lateinamerika und Asien hat sich die Geburtenrate von etwa 6 Kindern pro Frau im Jahr 1950 auf heute durchschnittlich zwei Kinder pro Frau verringert. In Asien wächst besonders Indonesien - Schätzungen zu Folge werden dort bis 2050 etwa 320 Millionen Menschen leben.

Mitte des Jahrhunderts werden bei gleichbleibender Entwicklung mit 2,5 Milliarden Menschen rund doppelt so viele Menschen auf dem afrikanischen Kontinent leben wie heute. In einigen Ländern – insbesondere in Ostafrika – gehen allerdings aktuell die Geburtsraten zurück. Wurden in Ruanda und Äthiopien 1990 noch statistisch rund 6 Kinder pro Frau zur Welt gebracht, sind es heute nur noch knapp vier.

Deutlich weniger bis gar keine Fortschritte lassen sich dagegen in den meisten west- und zentralafrikanischen Staaten beobachten, wo die Geburtenziffern im Schnitt noch immer bei über 5 Kindern pro Frau liegen.

Argentinien Buenos Aires | Protestaktion für legale Abtreibung
Protestaktion für die Legalisierung von Abtreibung in Buenos Aires. Dort, wo Abtreibungen illegal sind, werden sie häufig heimlich durchgeführt und nicht immer unter gesundheitlich sicheren Bedingungen.Bild: picture-alliance/AP Images/N. Pisarenko

Fortschritte trotz Widerstand

Nein zu Kondomen und der Pille, nein zur Wahl von Frauen für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch – so sehen es viele konservative religiöse Gruppen und Politiker auch in reichen Ländern.  Der US-amerikanische Präsident Donald Trump setzte 2017 wieder die sogenannte „Global Gag Rule" in Kraft und stoppte damit Fördermittel in Höhe von 100 Mio. US-Dollar an Nichtregierungsorganisationen in aller Welt, die über Schwangerschaftsabbrüche informieren oder sie durchführen. In Polen und einigen anderen Ländern wurden zuletzt sehr strikte Gesetze gegen Abtreibungen beschlossen.

Arthur Erker sieht die Errungenschaften und Ziele der Frauenbewegung durch konservative Gruppen und Politik dennoch nicht in Gefahr. "Ohne Zweifel gibt es Stimmen, die die Uhr gerne zurückdrehen wollen. Aber wir sollten uns auf die große Unterstützung konzentrieren, die diese Agenda erfährt.” Naisola Likimani sieht die Konferenz in Nairobi dazu als wichtigen Impuls: "Wir wollen, dass von Nairobi eine neue Welle der Energie ausgeht, damit konkrete Zusagen gemacht werden und unser Traum von Kairo endlich wahr wird.”