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Nordafrika: Wald statt Wüste

Oliver Ristau, Ägypten 17. Juni 2016

Wüsten breiten sich weltweit aus. Ägypten versucht jetzt, Wälder mit Abwässern aufzuforsten. Mit Erfolg: Die Bäume wachsen so gut, dass deutsche Firmen daraus ein Investmentprojekt machen wollen.

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Ägypten Dürre Aufforstung Forstwirtschaft Jojoba Foto: Oliver Ristau
Bild: DW/O.Ristau

Blaues Wasser unter blauem Himmel: Wie in einem überdimensionierten Swimmingpool glitzert es im hellen Sand, zu zwei Seiten idyllisch von Bäumen gesäumt. Hier in der Wüste Unterägyptens, zwei Autostunden von Kairo entfernt, lädt allerdings keine Ferienanlage Gäste zum Baden ein - das Bassin speichert Abwässer aus der ägyptischen 500.000-Einwohner-Stadt Ismailia. Wo sich ringsum sonst nur trockener Wüstensand ausbreitet, lassen sie einen üppigen Wald sprießen.

Der Forst von Serapium, so sein Name, ist eines der positiven Ergebnisse eines Forschungsprogramms, das die ägyptische Regierung in den 1990er-Jahren lancierte, um an 36 Standorten im Land die Wüste zu begrünen. Hier wachsen eine Vielzahl einheimischer Baumarten, aber auch international gefragte wie Eukalyptus und Mahagoni.

Abwässer als Nährstoffquelle

Der Boden ist mit trockenem Laub bedeckt, darunter unterscheidet er sich nicht vom Wüstensand jenseits des Waldes. Dort in der Wüste strahlt die Sonne mit etwa 2200 Kilowattstunden pro Quadratmeter doppelt so kräftig vom Himmel wie in Deutschland. Wo sie schutzlosen Sand vorfindet, macht sie Leben unmöglich.

Im Wald aber treibt sie das Wachstum der Bäume an, die Schatten und Feuchtigkeit und ein kleines Paradies für Blumen und Tiere entstehen lassen. Mücken sind auf der Jagd, Vögel zwitschern in den Wipfeln.

Ägypten Dürre Aufforstung Forstwirtschaft Jojoba Foto: Oliver Ristau
Im Schatten der Bäume gedeihen Pflanzen, die in der unerbittlichen Wüstensonne nicht überleben könntenBild: DW/O.Ristau

Ahmed Ragaie leitet die Plantage unweit des Suezkanals. Regelmäßig prüfen er und seine 18 Mitarbeiter Wuchs und Zustand der Bäume und der schwarzen Bewässerungsschläuche. "Zweimal am Tag bekommen die Bäume fünf Liter", erzählt er während eines Rundganges durch die zwei Quadratkilometer große Plantage.

Ohne die regelmäßige Wasserzufuhr würden die Pflanzen innerhalb kurzer Zeit verdorren: In der Wüste fallen fast keine Niederschläge. Die Abwässer sind das Einzige, was sie je bekommen. "Extra-Dünger ist nicht nötig", sagt Ragaie, "das Wasser liefert alles an Nährstoffen, was die Pflanzen brauchen." Für die Böden sei das Abwasser kein Problem, "unsere regelmäßigen Proben zeigen keine Kontamination".

Die Haushaltsabwässer von Ismailia werden in einem zweistufigen Verfahren gereinigt: erst mechanisch, um groben Dreck wie Plastikteile und Papier herauszufischen. Danach werden Sauerstoff und Mikroben zugegeben, die organische Verbindungen auflösen und alles, was schlecht riecht. Übrig bleibt eine Flüssigkeit mit einem hohen Anteil von Phosphaten und Stickstoffverbindungen: erstklassigen Dünger, wie man ihn auch als Pulver kaufen kann.

Technisch wird auch in Europa nicht anders verfahren. Bis in die 1970er-Jahre gab es in Deutschland keine weiteren Reinigungsstufen. Heute werden Phosphor und Nitrate aus den Abwässern extrahiert, um eine Überdüngung der Gewässer, in die sie später eingeleitet werden, zu verhindern. Und auch für Ägyptens Obst- und Gemüsegärten im Nildelta wären die behandelten Abwässer wegen der Belastung mit anorganischen Stoffen und Bakterien weder gesund noch erlaubt. Doch alles, was nicht auf dem Speiseplan des Menschen steht, kann damit gedeihen: Bäume, Sträucher, nicht zum Verzehr geeignete Ölsaaten.

Vierfaches Wachstum

Hany El Kateb ist Forstwissenschaftler an der Technischen Universität München (TUM). Der gebürtige Ägypter forscht gemeinsam mit den Kollegen der Kairoer Ain-Shams-Universität seit Jahren an den Wüstenwäldern. Die Bäume, sagt TUM-Wissenschaftler am Beispiel des Eukalyptus, könnten das Holz mehr als viermal so schnell produzieren als in Deutschland.

Ägypten Dürre Aufforstung Forstwirtschaft Jojoba Foto: Oliver Ristau
Das nährstoffreiche Abwasser facht selbst am Rand der Wüste das Wachstum anBild: DW/O.Ristau

Erntereif seien die Bäume nach elf bis 15 Jahren und würden dabei rund 350 Kubikmeter Holz pro Hektar auf die Waage bringen. In Deutschland bräuchten die gleichen Pflanzen für die gleiche Menge 60 Jahre.

Für die Abwässer wiederum gebe es kaum alternative Verwendungsmöglichkeiten. Mit sieben Milliarden Kubikmetern fällt jährlich etwa 70 Prozent des Aufkommens Deutschlands an. Würde Ägypten 80 Prozent davon zur Aufforstung einsetzen, könnte damit eine Wüstenfläche von 650.000 Hektar begrünt werden, rechnet El Kateb vor. Das entspräche mehr als der doppelten Fläche des Saarlandes.

Trinkwasser, das stellt er klar, komme dafür nicht in Frage. Das ist kostbar und knapp. Ägypten, das zu 96 Prozent aus Wüste besteht, bezieht es fast ausschließlich aus dem Nil, rationiert und in Absprache mit den anderen Flussanrainerstaaten wie dem Sudan. Laut offizieller Statistik verbraucht die Landwirtschaft vier Fünftel davon. Kaum fünf Prozent konsumieren die privaten Haushalte.

Mittel gegen Desertifikation

Das Brauchwasser könne zur Basis für ein Wirtschaftsmodell einer ganzen Hemisphäre werden, sagt El Kateb. "Wir können es schaffen, damit in ariden Regionen weltweit für dringend notwendige Arbeitsplätze zu sorgen und den Menschen einen Grund zu geben, ihre Heimat nicht zu verlassen." Das betreffe alle Staaten Nordafrikas und der Sahelzone bis in den Nahen Osten und die arabische Halbinsel und andere wüstenreiche Länder Mittel- und Lateinamerikas sowie China.

Zugleich könnte damit dem Fortschreiten der Wüsten Einhalt geboten werden - sofern die Wälder dauerhaft angelegt und nicht irgendwann wieder vollständig abgeholzt würden. Denn nach Auskunft der UN-Landwirtschaftsorganisation FAO sind Wälder die wirksamsten Barrieren dagegen. Notwendig wäre das auch. Nach Berechnung der Vereinten Nationen dehnen sich die Wüstenflächen weltweit jede Minute um 23 Hektar aus, das entspricht der Größe von drei Fußballfeldern.

Ägypten Dürre Aufforstung Forstwirtschaft Jojoba Foto: Oliver Ristau
Wälder gebieten der Wüste EinhaltBild: DW/O.Ristau

Zur Finanzierung könnten Mittel globaler Klimaschutzfonds beantragt werden, wie sie auf der letzten Weltklimakonferenz in Paris beschlossen wurden, schlägt El Kateb vor. Und die positive CO2-Bilanz aus der Speicherung des Treibhausgases in den Bäumen ließe sich über den Emissionshandel noch verkaufen.

Es ist dieses vielfältige Potenzial, aus dem auch deutsche Unternehmen Kapital schlagen wollen. Der Bonner Forstdienstleister Forest Finest, der bereits den Wald von Serapium zu Forschungszwecken nutzt, plant zusammen mit der Krefelder Siempelkamp-Gruppe ein Großprojekt in der ägyptischen Wüste. Für das Holz der Wälder gibt es im Land einen enormen Bedarf - die ägyptische Holz- und Möbelbranche muss den Rohstoff komplett importieren. Damit die Firmen mit der Aufforstung beginnen können, muss das zuständige Ministerium noch das Vergabeverfahren für Land und Abwasser im Detail festlegen.

Ohne den Zugriff auf die beiden Ressourcen werde es keinen frei finanzierten Wüstenwald geben, sagt Dirk Walterspacher, Geschäftsführer von Forest Finest. "Es ist ganz wichtig, dass fehlende Biodiversität dabei zu einem Ausschlusskriterium wird", ergänzt er. Damit niemand bei einer Ausschreibung mit einer billigen Monokultur den Zuschlag bekommen kann.