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Weltweit hungern 925 Millionen Menschen

11. Oktober 2010

Die internationale Gemeinschaft hat sich hohe Ziele im Kampf gegen den Hunger gesteckt, aber in den letzten 20 Jahren nur wenig erreicht. Der Welthungerindex 2010 zieht eine erschreckende Bilanz, vor allem für Afrika.

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Äthiopisches Kind wird auf dem Arm seiner Mutter gefüttert (Foto: dpa)
2,2 Millionen Kinder sterben jährlich wegen Mangel- oder UnterernährungBild: picture-alliance/dpa
Somalische Flüchtlinge an einem Zaun in einem Lager im Jemen (Foto: dpa)
Hungersnot treibt Millionen in die Flucht (hier Somalier in einem Lager im Jemen)Bild: picture alliance/dpa

"Erschreckend und beschämend" nennt die Präsidentin der Deutschen Welthungerhilfe, Bärbel Dieckmann, die globale Situation: Ungeachtet vereinzelter Fortschritte hungern weltweit noch immer 925 Millionen Menschen, und in 29 Ländern muss die Lage als "ernst" oder sogar "gravierend" eingeschätzt werden. Das sind zentrale Ergebnisse des Welthungerindexes, der nun in Berlin, Washington und Neu-Delhi veröffentlicht wurde. Aufgrund der weltweiten Rezession hat sich die Lage noch einmal verschärft. Besonders dramatisch: 2,2 Millionen Kinder sterben jährlich durch Mangel- und Unternährung.

"Millenniumsziele" in weiter Ferne

Der Auftakt der jährlichen Strategiedebatte bei der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) in dieser Woche in Rom wurde denn auch von zahlreichen Protesten begleitet.

Oxfam-Expertin Marita Wiggerthale (Foto: Oxfam)
Marita Wiggerthale, Handels- und Agrarexpertin von Oxfam DeutschlandBild: Oxfam

Die Hilfs- und Entwicklungsorganisation Oxfam zum Beispiel prangert insbesondere das "Land Grabbing" an. Allein in den letzten beiden Jahren seien 45 Millionen Hektar in armen Ländern aufgekauft worden, eine Fläche der Größe Schwedens, analysierte die Oxfam-Agrarexpertin Marita Wiggerthale. Die geplanten Maßnahmen von FAO und Weltbank seien völlig unzureichend.

Nachdrücklich erinnert wurde überall an die Verpflichtung der Weltgemeinschaft aus dem Jahr 2000 auf das so genannte "Millenniumsziel", den Anteil der Hungernden bis 2015 im Vergleich zu 1990 zu halbieren.

Lage im Kongo am schlimmsten

Ausschlaggebend für den Welthungerindex, ermittelt durch das "International Food Policy Research Institute" (IFPRI) in Washington, sind drei Indikatoren: der Anteil der Unterernährten an der Bevölkerung, der Anteil der Kinder unter fünf Jahren mit Untergewicht und die Sterblichkeitsrate von Kindern unter fünf Jahren. Die Länder mit den schlechtesten Werten liegen überwiegend in Afrika. Die Demokratische Republik Kongo führt die Negativliste an, gefolgt von Burundi, Eritrea und dem Tschad. Als Ursachen zählen die Experten regionale Konflikte, schlechte Regierungsführung und die hohen Aids-Raten auf.

Grafik zum Welthungerindex (Quelle: DW)

Die schlechtesten regionalen Werte haben Afrika südlich der Sahara und Südasien. Klaus von Grebmer, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit des Instituts, erläutert, in Südasien gehe der hohe Anteil untergewichtiger Kinder zu einem großen Teil auf den niedrigen Status der Frauen zurück, wenn es um Ernährung und Bildung gehe.

Mangelernährung von Kleinkindern im Fokus

Beim mittlerweile fünften Welthungerindex liegt der Schwerpunkt auf der Mangelernährung von Kindern unter zwei Jahren. Dieckmann berichtete in Berlin, mangelnde Ernährung in der Zeitspanne zwischen Empfängnis und dem zweiten Geburtstag des Kindes habe lebenslange Auswirkungen auf Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Betroffenen. "Wenn in diesen 1000 Tagen zu wenig oder die falsche Nahrung zur Verfügung steht, sind die negativen Folgen der Unterernährung irreversibel", so die Chefin der Welthungerhilfe.

In Mali Ziegen- statt Muttermilch

Bärbel Dieckmann und Klaus von Grebmer präsentieren den Welthungerindex (Foto: dpa)
Bärbel Dieckmann (Welthungerhilfe) und Klaus von Grebmer (IFPRI) präsentieren in Berlin den Welthungerindex 2010Bild: picture alliance/dpa

Nach der Geburt würden viele Babys nicht ausschließlich mit Muttermilch ernährt, da Frauen wegen Arbeitsüberlastung oder Mangelernährung nicht ausreichend stillen könnten, erklärte Dieckmann. In Mali bekämen Kleinkinder Ziegen- statt Muttermilch in den ersten Tagen. Dort herrsche der feste Glaube, dies sei für die Babys besser.

In Entwicklungsländern seien rund ein Drittel aller Kinder unter fünf Jahren zu klein für ihr Alter und damit unterentwickelt, sagte Dieckmann. Mehr als 90 Prozent der Kinder, die Anzeichen für chronische Unterernährung aufwiesen, lebten in Afrika und Asien. Der Welthungerindex zeige: Wo umfassende Gesundheitsdienste zur Vorsorge und Ernährungsmaßnahmen für Kinder unter zwei Jahren sowie für deren Mütter während der Schwangerschaft zur Verfügung stünden, könne die Unterernährung der Kinder um ein Viertel bis ein Drittel gesenkt werden.

"Kurzfristige Wirtschaftsinteressen" im Vordergrund

Ein schlechtes Zeugnis stellt die Welthungerhilfe der Berliner Koalition von Union und FDP nach ihrem ersten Regierungsjahr aus. "Kurzfristige außenwirtschaftliche Interessen" dürften nicht wichtiger sein als Investitionen in ländliche Entwicklung, Ernährungssicherheit und Bildung, beklagte die frühere Bonner Oberbürgermeisterin und ehemalige SPD-Spitzenpolitikerin.

In diesem Jahr habe die Regierung die Zuschüsse für das Welternährungsprogramm um über die Hälfte auf 59 Millionen Euro und die Ausgaben für humanitäre Hilfe um 20 Prozent auf knapp 77 Millionen Euro gekürzt. Bundeskanzlerin Angela Merkel habe im September in New York betont, dass nicht der Höhe der Entwicklungshilfe wichtig sei, sondern deren Wirkung. Nach fast 50 Jahren praktischer Erfahrungen in den Ländern des Südens wisse man aber, "dass weniger nicht mehr" sei, kommentierte Dieckmann bitter.

Autor: Siegfried Scheithauer (ap, afp, dpa, epd)
Redaktion: Thomas Grimmer