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Weniger Arme in Kolumbien

Jan D. Walter28. März 2015

Laut nationalem Statistikinstitut sind im vergangenen Jahr 784.000 Kolumbianer der Armut entkommen. Präsident Santos kann feiern, weil er auf der Politik seiner Vorgänger aufbaut.

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Armenviertel Bajamar, Buenaventura, Valle del Cauca, Kolumbien (Foto: Imago)
Bild: Imago

Die Armut in Kolumbien drastisch zu reduzieren war eines der großen Wahlversprechen von Staatspräsident Juan Manuel Santos, als er 2014 zum zweiten Mal für die Präsidentschaft kandidierte. Nach neuesten Erhebungen des nationalen Statistikinstituts DANE ist die Armutsrate seither tatsächlich zurückgegangen.

Als arm gilt in Kolumbien, wer nicht genug Geld hat, um den sogenannten statistischen "Basiskorb" zu bezahlen. Der ist als Existenzminimum definiert und soll genug Geld enthalten für Nahrung und Hygieneartikel, Miete und Kleidung, Bildung und Personentransport. Zur monatlichen Berechnung werden die Preise von rund 400 Produkten und Dienstleistungen einbezogen. Für eine vierköpfige Familie veranschlagt das Statistikamt derzeit 847.228 kolumbianische Pesos - rund 340 Euro.

Skeptische Kolumbianer

Vor Santos' erster Präsidentschaft 2010 galten noch 40 Prozent seiner Landsleute als arm. Heute sind es nur noch 28,5 Prozent. 4,4 Millionen Menschen seien demnach zwischen 2009 und 2014 der Armut entkommen.

Die erfreulichen Daten scheinen sich allerdings nicht mit der Wahrnehmung der Kolumbianer zu decken. Online-Artikel zu den neuen Erhebungen werden teils höhnisch oder gar zynisch kommentiert. Leser zweifeln an der Glaubwürdigkeit von Regierung und Statistikinstitut: "4,4 Millionen? Ich hätte nicht gedacht, dass so viele verhungert sind", schreibt ein User auf der Seite der Wochenzeitschrift "Semana".

Kolumbien Präsident Juan Manuel Santos (Foto: Picture-alliance/dpa)
Präsident Santos versprach, die Armut zu reduzierenBild: picture-alliance/dpa

Wo der Sarkasmus herkommt, ist klar: Immer noch mehr als 13 Millionen Menschen in Kolumbien leben unter der Armutsgrenze, verfügen über weniger als 340 Euro im Monat. Drei Millionen Kolumbianer gelten als völlig mittellos.

Doch die Ökonomin Renata Pardo bestätigt der DW die positive Entwicklung: "Das DENA arbeitet mit verlässlichen Zahlen und einer sehr klaren Methodik." Pardo koordiniert an der privaten Universidad de los Andes eine Langzeitstudie, die ebenfalls die Wohlstandsverteilung misst. "Die Studien sind nicht direkt vergleichbar, aber unsere Daten deuten in die gleiche Richtung: Die Armut in Kolumbien nimmt ab."

Wachsende Wirtschaft

Was dabei hilft: Kolumbien gehört seit einigen Jahren mit rund fünf Prozent Wachstum zu den expansivsten Volkswirtschaften Lateinamerikas. Ein Grund dafür ist der voranschreitende Friedensprozess zwischen Staat, Drogenmafia und Guerillas, der mehr Investitionssicherheit verspricht.

Nach der Zerschlagung der mächtigsten Drogenkartelle in den 1990er-Jahren hatten verschiedene Guerilla-Gruppen das lukrative Geschäft an sich gerissen. Dennoch konnte Präsident Álvaro Uribe (2002-2010) die Aufständischen mit seiner unnachgiebigen Politik erheblich schwächen. Viele Beobachter sehen das als Basis für die Verhandlungen, die Santos derzeit mit den Rebellen führt.

Ein zweiter Grund für die gute Konjunktur ist die wachsende Rolle des Außenhandels. Auch hier legte Uribe die Basis: 2007 brachte er das Freihandelsabkommen mit den USA durch den kolumbianischen Kongress. Santos führte die Öffnung der Wirtschaft mit der Pazifik-Allianz fort.

Politik zu Lasten der Ärmsten

Kolumbien Proteste gegen Regierung Bauern Saatgut Monopol (Foto: Guillermo Legaria/AFP/Getty Images)
2013 protestierten Landwirte gegen die Regeln des FreihandelsBild: Guillermo Legaria/AFP/Getty Images

Allerdings haben in Kolumbien nicht alle gleichermaßen von den wirtschaftlichen Fortschritten profitiert: Mangelnde Sicherheit behindert den sozialen Aufstieg der Bewohner von Armenvierteln. Aber auch die Handelsverträge, die Kolumbien in den letzten Jahren mit zahlreichen Ländern geschlossen hat, kommen längst nicht allen zugute.

Die meisten Nachteile entstehen dort, wo der Wohlstand ohnehin am ungleichmäßigsten verteilt ist: auf dem Land. Dort lebt fast ein Drittel der Kolumbianer. Insbesondere Kleinbauern stellt der sogenannte Freihandel vor große Probleme.

Der hat ihnen nämlich nicht nur die Chancen und Risiken der internationalen Märkte beschert, wie der Name verheißt. Mit ihm sind zahlreiche Auflagen in Kraft getreten, die den Bauern ihre gewohnte Arbeitsweise faktisch verbieten. Halten sie etwa einen Teil der Ernte als Saat zurück, müssen sie Strafen zahlen. Das Saatgut müssen sie dann kaufen.

Rechtlos auf dem Land

Für die Bauern bedeutet das einen weiteren Rückschlag in ihrem simplen Bestreben, ihr Leben von dem Land zu bestreiten, das ihre Familien seit Generationen bewirtschaften. Jahrzehntelang hatten Guerillagruppen, rechte Milizen und Regierungstruppen sie davon vertrieben.

Doch auch jetzt, da in den meisten Regionen Frieden herrscht, scheint der Staat nicht Willens, dieses Recht zu schützen. 2013 gingen Bauern und Minenarbeiter auf die Straße, um abermals die Legalisierung des Koka-Anbaus und den Schutz ihrer Eigentumsrechte an dem Boden einzufordern. Doch statt auf sie einzugehen, reagierte die Regierung mit Polizeigewalt.

Sozial-Programme sollen helfen

Kolumbien: Soldat in Armenviertel in Buenaventura (Foto: Picture-alliance/dpa)
Unsicherheit behindert den sozialen Aufstieg in ArmenviertelnBild: picture-alliance/dpa

Ausgleich versuchen kolumbianische Regierungen seit 2003 mit Sozialtransfers zu schaffen. Familien, deren Einkommen unter dem Existenzminimum liegt, erhalten unter bestimmten Bedingungen Transferzahlungen: Bis zu 561.000 Pesos, knapp 230 Euro, erhalten sie pro Schuljahr, wenn ein Kind regelmäßig am Unterricht teilnimmt. Weitere 350 Euro kommen pro Jahr dazu, wenn die Eltern ihr Kind planmäßig in einem staatlichen Gesundheitszentrum untersuchen lassen.

Die nun gemessenen Effekte seien erst der Anfang dieser Programme, sagt Ökonomin Pardo: "Bisher beschränkt sich ihre Wirkung allein auf die monetäre Umverteilung." Die Nebeneffekte dürften deutlich größer sein, meint sie: "Wenn die Kinder, die von von den Programmen profitiert haben, in den Arbeitsmarkt eintreten, sind sie gesünder und besser gebildet als ihre Eltern. Das eröffnet ihnen ganz andere Chancen."

Mittelfristig würde dann also die Armut noch stärker sinken. Zumal der Friedensprozess mit den Guerillas, den Juan Manuel Santos betreibt, auf einem vielversprechenden Weg zu sein scheint.