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Weniger Geld, weniger Flüchtlinge?

Malcom Brabant, Kopenhagen / sp1. September 2015

Mit einem neuen Gesetz will Dänemarks Regierung ungewollte Zuwanderung stoppen. Ab September bekommen Asylbewerber weniger finanzielle Unterstützung. Doch die Maßnahme sorgt für Kritik. Aus Kopenhagen Malcom Brabant.

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Syrische Flüchtlinge und dänische Bürger demonstrieren auf dem Kongens Nytorv in Kopenhagen gegen die Flüchtlingspolitik der Regierung (Foto: DW/M. Brabant)
Bild: DW/M. Brabant

Nour Amouras Finger fliegen über den Bund seiner spanischen Gitarre. Konzentriert begleitet er den syrischen Saxophonisten Mohammed Diab. Die beiden Männer, die dem holzverkleideten Container in einem Kopenhagener Park musizieren, standen schon in Damaskus gemeinsam auf der Bühne.

Dann entschlossen sie sich zur Flucht aus Syrien. Diab beantragte Asyl in Schweden, Amoura in Dänemark. Nun wollen die beiden Musiker ihre Karriere in Europa neu starten. Bis zukünftige Auftritte Geld in die Kasse spülen, halten sie sich mit Hilfe staatlicher Sozialleistungen über Wasser.

Doch vom 1. September an wird Nour Amoura deutlich weniger Geld erhalten. Alleinstehende Erwachsene wie Amoura erhalten dann statt umgerechnet 1.453 Euro 800 Euro pro Monat. Die von der neuen liberalen Minderheitsregierung konzipierte Gesetzgebung unter dem Druck der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei (DF), die sich für einen kompletten Asylstopp einsetzt, verabschiedet.

"Ich bin traurig", sagt Amoura. "In Schweden oder in Deutschland wäre mir das nicht passiert. Ich will arbeiten, ich bin schließlich nicht nach Dänemark gekommen, um auf der faulen Haut zu liegen. Aber ich brauche Starthilfe, denn es ist schwierig."

Der syrische Flüchtling Nour Amoura spielt in Kopenhagen auf seiner Gitarre (Foto: DW/M. Brabant)
Hoffen auf eine Karriere als Musiker in Europa: Nour Amoura und Mohammed DiabBild: DW/M. Brabant

Noch ist es zu früh, um die Auswirkungen der Asylrechtsreform zu beurteilen. Das Vorgehen der dänischen Regierung und ihrer Unterstützer scheint Asylsuchende allerdings zu überzeugen, sich lieber woanders eine neue Heimat zu suchen. In den ersten sieben Monaten dieses Jahres sank die Zahl der Anträge auf Flüchtlingsstatus um 7,52 Prozent auf 5174 Personen.

Dänemark tritt auf die Bremse

"Mir gefällt das gut", sagt der DF-Sprecher Martin Henriksen. Seine Partei hatte beschlossen, sich nicht an einer Regierungskoalition zu beteiligen - obwohl sie bei der Wahl vor zwei Monaten die zweitmeisten Stimmen eingefahren hatte.

"In der Vergangenheit haben wir in Dänemark viele Flüchtlinge aufgenommen. Inzwischen sind wir an einem Punkt angelangt, an dem wir sagen müssen: genug ist genug. Wir können mit dieser Art von Zuwanderung nicht mehr fertig werden. Das ist eine schwere Last für ein kleines Land wie Dänemark. Daher müssen wir auf die Bremse treten", sagt Henriksen.

Martin Henriksen, Sprecher der Dänischen Vokspartei (DF) (Foto: DW/M. Brabant)
Martin Henriksen, Sprecher der dänischen Volkspartei, verteidigt die KürzungenBild: DW/M. Brabant

Johanne Schmidt-Nielsen von der rot-grünen Einheitsliste ist über das Vorgehen der Regierung bestürzt. "Es ist ein großer Rückschritt für die Integration: Menschen ärmer zu machen, hilft nicht beim Integrationsprozess", sagte Schmidt-Nielsen bei einer Kundgebung in Kopenhagen, bei der 2000 Menschen gegen die neuen Maßnahmen demonstrierten.

Der Dänische Flüchtlingsrat hält das neue Gesetz ebenfalls für einen Rückschritt. "Obwohl es Menschen motivieren könnte, sich Arbeit zu suchen, bedeutet es gleichzeitig Armut für viele Flüchtlingsfamilien", sagt Generalsekretär Andreas Kamm.

"Wenn man in der dänischen Gesellschaft erfolgreich Integration betreiben will, muss es Kontakt mit anderen Menschen geben. Beim Fußballspielen, auf Geburtstagen, und so weiter. All dies kostet aber viel Geld in Dänemark. Ich befürchte, dass Flüchtlingsfamilien sich diese Aktivitäten nicht mehr leisten können."

Polarisierung in Europa

Doch DF-Sprecher Henriksen zeigt sich unnachgiebig: "Solange sie [Anm. d. Red.: Flüchtlinge und Migranten] eine Zukunft in Europa sehen, werden sie auch kommen. Wir haben einen Auftrag: Und der lautet, strengere Regeln zu schaffen, damit Menschenschmuggler und Asylsuchende sehen, dass ihre Zukunft nicht in Europa oder in Dänemark liegt."

Schätzungen zufolge sind etwa 300.000 Flüchtlinge und Migranten in diesem Jahr in EU-Länder eingereist. Organisationen wie das Rote Kreuz oder der Flüchtlingsrat fordern eine koordinierte und solidarische EU-Flüchtlingspolitik. Sie befürchten, dass andere Länder dem Beispiel Dänemarks folgen und damit die Spaltung Europas vorantreiben könnten.

Die dänische Regierung denkt währenddessen über weitere Maßnahmen nach, um das Land mit seinen 5,5 Millionen Einwohnern weniger attraktiv für ungewollte Zuwanderer zu machen. Dazu gehört beispielsweise, den Familiennachzug von Flüchtlingen zu erschweren oder die Hürden für die dänische Staatsbürgerschaft höher zu legen.

Im Würgegriff der Milizen

Die neuen Pläne haben einen Geschäftsmann aus Latakia, der Heimatstadt des syrischen Machthabers Baschar al-Assad, alarmiert. Seinen Namen will der Mann, der gerade erst in Dänemark eingetroffen ist, öffentlich nicht preisgeben. Über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Ungarn, Österreich und Deutschland ist er hierhin geflohen.

Während sein Antrag auf Asyl bearbeitet wird, ist er in einem Auffanglager in Helsingor, im Norden Kopenhagens, untergekommen. Seine Heimat hat er verlassen, weil verschiedene Milizen von ihm immer wieder Geld für ihre Feldzüge gefordert hatten.

Seine Frau und seine beiden kleinen Kinder sind in Latakia zurückgeblieben. Soldaten haben sie gewarnt, dass sie die Kinder entführen würden, sollte er nicht bald zurückkommen und seine "Schulden bezahlen", sagte er der DW.

Syrische Flüchtlinge und dänische Bürger demonstrieren auf dem Kongens Nytorv in Kopenhagen gegen die Flüchtlingspolitik der Regierung (Foto: DW/M. Brabant)
Demonstration geen das neue Gesetz: In Kopenhagen gehen Kritiker der Regierung auf die StraßeBild: DW/M. Brabant

Auf dem Kongens Nytorv, dem größten Platz in Kopenhagens Innenstadt, haben sich syrische Asylantragssteller bei einer Demonstration gegen das neue Gesetz versammelt. Zu orientalischer Musik tanzen sie gemeinsam mit dänischen Bürgern, die ihre Sache unterstützen, im Kreis. Einige Syrer tragen T-Shirts mit der Aufschrift: "Danke an die dänischen Bürger für die Unterstützung".

Die Kehrseite der Globalisierung

Flemming Jensen, einer der berühmtesten dänischen Schauspieler, freut sich über den Auftritt. Dennoch sei er "beschämt über das neue Gesetz", sagt er. "Es gibt viele Menschen, die die Flüchtlingspolitik der Regierung für falsch halten", erklärt. Die Flüchtlingskrise sei ein globales Problem.

Für den Schauspieler ist dies die Kehrseite der zunehmenden weltweiten Verflechtung."Wir waren so glücklich, als wir alle unsere T-Shirts günstiger in Asien produzieren lassen konnten. Und dass wir uns nur in ein Flugzeug setzen mussten, um überall in die Welt zu fliegen."

Doch inzwischen könne jeder auf der ganzen Welt hin- und herfliegen. "Damit haben wir nicht gerechnet", meint Jensen. "Die Globalisierung ist längst über uns hereingebrochen. Wir können nicht verhindern, dass wir eine multikulturelle Gesellschaft werden."