1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Weniger Spekulation bei der Deutschen Bank?

Andreas Becker21. März 2012

Treiben Spekulanten Menschen in den Hunger? Die Deutsche Bank hat angekündigt, ihre Spekulation mit Lebensmitteln in diesem Jahr einzuschränken. Foodwatch bezeichnet das als "reine PR-Wolke".

https://p.dw.com/p/14Oai
In this Friday, Oct. 22, 2010 picture, traders at the Chicago Board of Trade work in the wheat options pit. Wheat prices have risen sharply again in 2010. U.S. Senate investigators cited market speculators as a major cause for even sharper price rises in 2007-2008, when people worldwide rioted over rising bread prices. Future wheat supplies are in question because of stagnating yields, crop disease, climate change and the volatile market. (ddp images/AP Photo/M. Spencer Green)
Bild: AP

Preise für Lebensmittel wie Getreide oder Reis werden von zahlreichen Faktoren beeinflusst: So führen schlechtes Wetter und Wasserknappheit zu Missernten, die Nachfrage steigt mit der wachsenden Weltbevölkerung, und Rohstoffe für Biosprit belegen knappes Ackerland. Auch die Spekulation auf Nahrungsmittelpreise wird seit einigen Jahren verstärkt für Preissteigerungen verantwortlich gemacht.

In ihrem Bericht "Die Hunger-Macher", der im Oktober 2011 erschienen ist, warf die Nichtregierungsorganisation Foodwatch der Deutschen Bank, Goldman Sachs und anderen Geldhäusern vor, durch Spekulation die Preise für Lebensmittel in die Höhe zu treiben. Mit ihren Anlageprodukten "beteiligen sie Hunderttausende Anleger an einem ethisch und rechtlich unhaltbaren Wettspiel, das für die Armutsbevölkerung in vielen Ländern der Welt unhaltbare Folgen hat", heißt es im Bericht.

Die Deutsche Bank reagierte schnell. "Sollten sich ausreichende Belege dafür finden, dass diesbezügliche Aktivitäten der Bank die von Ihnen beschriebenen Auswirkungen haben könnten, werden wir die entsprechenden Konsequenzen ziehen", schrieb Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann in einem persönlich unterzeichneten Brief an Foodwatch.

Eingeschränkte Spekulation

Eine erste Konsequenz ist nun im aktuellen "Bericht zur gesellschaftlichen Veranwortung" zu lesen, den die Deutsche Bank am Dienstag (20.3.2012) mit ihrem Geschäftsbericht veröffentlichte. "In diesem Jahr werden wir keine neuen börsengehandelten Anlageprodukte auf der Basis von Grundnahrungsmitteln auflegen", heißt es dort.

"Mit Besorgnis" verfolge die Deutsche Bank, "dass immer mehr Menschen unter Nahrungsmittelknappheit leiden müssen". Eine Arbeitsgruppe der Bank analysiere nun die Gründe.

Die Ankündigung der Deutschen Bank, die Spekulation diesem Jahr einzuschränken, bedeutet auch, dass bereits aufgelegte Spekulationsprodukte am Markt bleiben. Darüber hinaus bleiben einige Fragen: Wird die Bank ihre bereits bestehenden Fonds ausweiten? Wird sie neue Anlagefonds auflegen, die nicht an Börsen gehandelt werden? Auf diese Fragen erhielt DW bis zum Erscheinen dieses Berichts von der Deutschen Bank keine Antwort.

"PR-Wolke für Hochglanzbroschüren"

"Die Ankündigung ist alles andere als eine Abkehr vom folgenschweren Geschäft mit hochspekulativen Wetten auf Nahrungsmittelpreise", teilte Foodwatch nach Vorlage des Deutsche Bank-Berichts mit. Sie sei vielmehr "eine reine PR-Wolke für Hochglanzbroschüren." Foodwatch fordert daher weiterhin den "vollständigen Ausstieg" aus der Spekulation mit Nahrungsmitteln.

Die Arbeitsgruppe der Deutschen Bank, die die Ursachen für steigende Nahrungsmittelpreise erforscht, wird ihren Bericht noch in diesem Jahr veröffentlichen, schreibt die Nachrichtenagentur Reuters. Doch schon jetzt scheint die Bank zu wissen, wo das Problem liegt: die stark gewachsene Weltbevölkerung, sich verändernde Ernährungsgewohnheiten in Entwicklungs- und Schwellenländern und die Produktion von Biokraftstoffen hätten zu einer steigenden Nachfrage geführt, mit der das Angebot nicht Schritt halten kann, heißt es im Bericht der Deutschen Bank. Spekulative Finanzprodukte dagegen hätten eine stabilisierende Wirkung. Durch sie werden die Preise abgesichert, die Liquidität am Markt vergrößert und Preisschwankungen reduziert, so der Bericht der Bank.

In der Tat sichern sich Erzeuger und Verarbeiter - etwa Weizenbauern und Mehlfabrikanten - schon seit Jahrhunderten mit solchen Instrumenten gegen Preisschwankungen ab. Auch Kritiker wie die Nichtregierungsorganisation Foodwatch erkennen an, dass Spekulanten "in einer gewissen Anzahl" unverzichtbar sind, "damit Börsen überhaupt funktionieren können". Nur wenn genug Akteure am Markt sind, kommen Angebot und Nachfrage solcher Termingeschäfte zur Deckung.

75 Prozent Spekulation

Allerdings hat sich der Anteil des rein spekulativen Handels an den großen Terminbörsen seit Beginn des Jahrtausends drastisch erhöht. Für Weizen etwa lag er 1998 bei 30 Prozent, der Rest diente ausschließlich der Absicherung der Preise. Bis Ende 2008 war der Anteil einer reinen Spekulation auf 75 Prozent gestiegen. Das geht aus Angaben der Commodity Futures Trading Commission hervor, einer Behörde, die die Futures- und Optionsmärkte in den USA reguliert.

Ein Grund für diesen Anstieg: Nach dem Zusammenbruch der New Economy und dem Platzen der Immobilienblase suchten Investoren neue Anlagemöglichkeiten für ihr Kapital. In den Jahren 2007 und 2008 hatten sich die Preise für Weizen und Reis verdoppelt, in mehr als 30 Ländern gab es Hungeraufstände. Die Vereinten Nationen und die Weltbank warnten kürzlich bereits davor, dass sich die meisten Rohstoffpreise wieder dem Niveau von 2008 annähern.

"Die Aktivitäten der Finanzanleger beeinflussen den Realmarkt inzwischen ganz erheblich", so Joachim von Braun gegenüber DW. Der Leiter des Zentrums für Entwicklungsforschung an der Universität Bonn gehört zu den führenden Agrarökonomen der Welt, zuvor leitete von Braun das International Food Policy Institute in Washington.

Transparenz und Kontrolle

Von Braun fordert deshalb Transparenzregeln und eine Verteuerung der Spekulation für "die Indexfonds, die am Produkt als solches überhaupt gar kein Interesse haben".

Für die Deutsche Bank dagegen ist es noch nicht erwiesen, dass spekulative Finanzprodukte wie Indexfonds die Preise für Nahrungsmittel in die Höhe treiben. "Die Meinungen der Wissenschaftler und Experten gehen bei diesem Thema weit auseinander", schreibt die Bank in ihrem Bericht. Immerhin teilt die Bank die Ansicht der G20-Staaten, dass "die Märkte für Agrarrohstoffderivate transparenter gestaltet und die Kontrollmechanismen verstärkt werden sollten".

Mehr über die Position der Deutschen Bank wird man spätestens durch den Bericht ihrer Arbeitsgruppe erfahren. Bis es soweit ist, werde die Bank "in diesem Bereich besonders sorgsam agieren".