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Wenn das Denken zur Sucht wird

29. Juli 2002

Vor acht Jahren bekamen der Ökonom Reinhard Selten und sein amerikanischer Kollege John Forbes Nash den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Im Gespräch mit DW-WORLD erzählt Selten, an was er derzeit forscht.

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Pionier der Spieltheorie: Nobelpreisträger Reinhard SeltenBild: DW

An einem Tag im Herbst 1994 kam Wirtschaftsprofessor Reinhard Selten vom Einkauf und befürchtete angesichts der Traube von Menschen vor seinem Haus, es sei eingebrochen worden. Als man ihm stattdessen gratulierte, wunderte er sich "wozu?"

Reinhard Selten ist der bislang einzige deutsche Wirtschaftsnobelpreisträger. Sein Forschungsgebiet, die Spieltheorie, wurde durch den Nobelpreis aufgewertet und wird inzwischen auch in anderen Disziplinen angewandt. Aufgabe der Spieltheorie ist es, vorauszusagen, wie Akteure handeln werden, um daraus eine Strategie zu entwickeln. So lassen sich zum Beispiel auch politische Zusammenhänge besser verstehen.

Herr Selten, während Kollegen bereits damit gerechnet hatten, dass Sie den Nobelpreis bekommen, waren Sie selbst ganz überrascht. Wie empfinden Sie die Verleihung rückblickend?

Man konnte es nicht emotional verarbeiten. Man hat zwar verstanden was geschehen ist, es vermittelte trotzdem den Eindruck des Irrealen. Das ist etwas, mit dem man erst langsam fertig werden muss.

Sie sprechen von der Droge Wissenschaft. Wie würden Sie Ihre "Sucht" beschreiben?

Man ist abhängig, denksüchtig. Das geht so weit, dass man eben manchmal andere Dinge, die wichtig sind, vernachlässigt, weil man von diesen Dingen völlig erfüllt und gefasst ist. Es ist eine Faszination, die etwas Rauschhaftes besitzt. Man gerät in die Gefahr, zum Beispiel die eigenen finanziellen Angelegenheiten nicht ordentlich wahrzunehmen.

Was zieht Sie derzeit in den Bann?

Die ökonomische Theorie ging bislang ausschließlich davon aus, dass die Menschen stets nach Optimallösungen streben und auch entsprechend handeln. Aber die Art und Weise, wie Menschen tatsächlich Entscheidungen fällen ist nicht die, die in der noch herrschenden Wirtschaftstheorie weitgehend unterstellt wird. Diese Vorstellung lockert sich etwas auf. Ich wirke an diesem Umbruch mit. Wir müssen vor allem erforschen wie Menschen mit komplexen Situationen fertig werden, die sie nicht richtig überblicken können.

Ein bekanntes Beispiel für die Spieltheorie ist die milliardenschwere Versteigerung der Mobilfunklizenzen. Dabei mussten die Beteiligten bei ihrem Bieterverhalten das Handeln ihrer Konkurrenten vorwegnehmen. Vor allem im Zusammenhang mit der Diskussion um die Krise der Deutschen Telekom wurde der Vorwurf erhoben, die Vorstände hätten sich bei der Auktion der UMTS-Lizenzen erheblich verschätzt.

Natürlich ist das nicht zur Zufriedenheit der Beteiligten ausgegangen. Aber das liegt eben auch an Einschätzungen, die damals gängig waren. Wenn man das jetzt kritisiert, was damals gemacht worden ist, gerät man in die Gefahr, einem Rückschaufehler zu unterliegen. Man glaubt später immer, dass man früher alles besser gewusst hat. Das ist aber nicht richtig. Wir wissen das aus psychologischen Untersuchungen.

Die Menschen neigen dazu, das Wissen von heute im Rückblick zu berücksichtigen?

Sie erinnern sich nicht richtig wie ihre damalige Ansicht war, sondern glauben etwas gesagt zu haben, was näher an den Tatsachen liegt als das was tatsächlich der Fall war. Man sagt dann jetzt ‘ja das hätte man doch alles sehen müssen, dass das nicht so viel wert ist’. Also ich will da keinen Vorwurf erheben gegen die Beteiligten. Natürlich hätte man die Lizenzen etwas weniger teuer erwerben können. Aber die Beteiligten sahen sich auch einer Konkurrenzsituation ausgesetzt, wollten die Gefahr vermeiden, dass sie nicht mindestens so viel bekommen wie die anderen.

Wie würden sich die Bieter also heute verhalten?

Mit dem Wissen von heute würde niemand so viel bieten. Wenn Sie heute so eine Auktion veranstalten würden, dann würden Sie nur einen Bruchteil von dem erzielen, was damals erzielt worden ist. Das ist der Markt, der hat sich ja ganz anders entwickelt. Heute würde man vielleicht einen Preis erzielen, der weit unter dem langfristigen Wert liegt. Was der langfristige Wert dieser Lizenzen ist, weiß ja niemand. Das wusste auch damals wirklich niemand. Das war auch eine große Schwierigkeit dieser Auktion. Dass man für etwas bieten musste, dessen Wert eigentlich nicht bekannt war und auch nicht abzuschätzen war.

Sie haben den Nobelpreis zusammen mit John Nash und John Harsanyi erhalten. Wie finden Sie den Film ‘A Beautiful Mind’, der Nash porträtiert?

Das ist ein natürlich künstlerisch hochwertiger Film. Man darf das nur nicht als ein Dokument über John Nash oder gar die Spieltheorie missverstehen. Das, was da zum Beispiel über das Gleichgewicht gesagt wird, ist völliger Unsinn. Trotzdem ist der Film sehr gut. Er konzentriert sich auf einen Aspekt seines Lebens, das ist die Geisteskrankheit und diese wird etwas vereinfachend und künstlerisch dargestellt. Ich glaube es gibt viele Episoden, die nicht der Wirklichkeit entsprechen, aber das wird von einem Kunstwerk auch nicht erwartet und sollte von einem Kunstwerk auch nicht erwartet werden.

Das Gespräch führte Jessica Sturmberg.