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Intelligente Stromnetze

15. Januar 2011

2020 sollen 35 Prozent des Stroms in Deutschland aus erneuerbaren Energien stammen - mehr als doppelt so viel wie heute. Ohne den Aufbau sogenannter intelligenter Stromnetze - Smart Grids - ist das nicht zu erreichen.

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Strommasten (Foto: ABB)
Zukunftsfähige Stromnetze fordern unpopuläre MaßnahmenBild: ABB AG

Wie intelligente Stromnetze funktionieren könnten, das wird seit zwei Jahren in sechs E-Energy Modellregionen in Deutschland mit unterschiedlichen Schwerpunkten entwickelt und erprobt. Ein erster Schritt, dem noch viele folgen müssen. Denn der Umbau der Energieversorgung einer der führenden Industrienationen der Welt wird nicht einfach werden.

Smart Grid Modell Intelligentes Stromnetz (Foto: Henrik Böhme/DW)
Smart Grid-ModellBild: DW

Es ist kurz nach Mitternacht. In der Küche eines Wohnhauses springt die Stromampel von gelb auf grün. Energie ist jetzt besonders preiswert und so schaltet eine Steuerungsbox die Spülmaschine an und regelt den Kühlschrank auf volle Leistung hoch. Im Keller startet gleichzeitig eine Waschmaschine. Das alles funktioniert vollautomatisch, die Hausbewohner schlafen. Was wie eine Szene aus einem Science-Fiction-Film anmutet, ist in ausgewählten Haushalten rund um Karlsruhe und Stuttgart bereits Realität. Im Forschungsvorhaben MeRegio, das als Abkürzung für "Minimum Emission Region" steht, wird seit einem Jahr das CO2-arme und effiziente Energienetz von morgen getestet.

Dynamische Preissignale

1000 Kunden, so berichtet Projektleiter Hellmut Frey vom baden-württembergischen Energieversorger EnBW, sind aktuell in das Projekt eingebunden. "Diese 1000 Kunden bekommen alle dynamische Preissignale, so dass wir von Tag zu Tag auf mehr Daten und Erfahrungen zugreifen können, wie denn die Preisdynamik auch wirklich das Verbrauchsverhalten beeinflusst." 250 Kunden sind zusätzlich mit einer Steuerbox und einem speziellen Gefrierschrank ausgestattet worden. "Aktuell geht es", so Hellmut Frey, "um die Frage, wie man zusätzlich ein Konzept zur Speicherbewirtschaftung einbindet."

Infografik dazu, wie Smart Grids funktionieren (Grafik: DW)

Denn auch die dezentrale Speicherung von Energie, beispielsweise in aufladbaren Batterieblöcken in Wohnhäusern oder auch in Elektroautos, wird im Stromnetz der Zukunft einen hohen Stellenwert haben. Bislang ist die Stromversorgung eine Einbahnstraße. Ein Netz von Kraftwerken produziert verbrauchsabhängig und das funktioniert selbst dann, wenn besonders viel gebraucht wird. In einem Versorgungssystem, das zunehmend auf volatile erneuerbare Energiequellen wie Sonnenlicht und Wind aufbaut, ist das unmöglich. Strom muss dann verbraucht werden, wenn er verfügbar ist, oder aber er muss gespeichert werden. Das erfordert ein intelligentes, hochkomplexes und dynamisches Netz.

Modellprojekt Internet

Seit Ende 2008 wird das Internet der Energie nicht nur in Stuttgart und Karlsruhe, sondern auch in fünf weiteren Modellregionen in Deutschland erprobt. 60 Millionen Euro hat die Bundesregierung für die Finanzierung der Projekte bereitgestellt, die Wirtschaft steuert weitere 80 Millionen Euro für die Erforschung und Erprobung neuer mit Informations- und Kommunikationstechnologie gesteuerter Energiesysteme bei. Die großen Energieversorger sind mit eingebunden. Für sie bringt das zukünftige Netz die größten Veränderungen und auch Herausforderungen mit sich.

Die Umstellung, so formuliert es Hildegard Müller, die Vorsitzende des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft, sei wie eine Operation am offenen Herzen. Es gehe nicht mehr um die Photovoltaikanlage auf dem Dach oder das Windrad im Garten: "Es geht darum, wie wir eine der wichtigsten Industrienationen der Welt praktisch vollständig auf CO2-neutrale Energieversorgung umstellen, und es geht darum, wie wir bei der Zersplitterung der Energielandschaft in viele hunderttausend Einzelanlagen die Gesamtstabilität der Versorgung sicherstellen."

Hand in Hand mit Europa

Das alles soll nicht nur im deutschen, sondern auch im europäischen Kontext geschehen. Wirtschaftsminister Brüderle (FDP) mahnt immer wieder, es müsse unbedingt über den deutschen Tellerrand hinausgeblickt werden, sonst gebe es am Ende kein Internet der Energie, sondern nur ein Intranet Deutschland. Schwierigkeiten macht der Minister aber auch im eigenen Land aus. Seit den Protesten gegen Stuttgart 21, also die Verlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofs in den Untergrund, wissen Politiker und Wirtschaftsbosse, dass gegen den Widerstand aus der Bevölkerung keine großen Infrastrukturmaßnahmen mehr durchzusetzen sind.

Screenshot zum Thema E-Energy - das intelligente Stromnetz der Zukunft (Grafik: BMWi)
Wenn die Stromampel auf grün schaltet...Bild: BMWi

Das Stromnetz der Zukunft erfordert höchst unpopuläre Maßnahmen, wie beispielsweise den Bau neuer Stromleitungen. Deutschland brauche 3600 Kilometer neue Leitungen, so Brüderle. Das entspreche der Strecke von Kiel nach München - mal vier. Die neuen Stromtrassen seien für Deutschland zwingend, sonst gebe es am Ende zwar Offshore-Windparks in der Nordsee - aber der dort produzierte Strom könne nicht über die Lüneburger Heide hinaus geleitet werden.

Einen zusätzlichen Hochspannungsmast will aber kaum ein Bürger vor seiner Haustür stehen haben. Werner Schnappauf, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, sieht daher große Probleme auf die Republik zukommen. Verfahren, so mahnt er, die 15 bis 20 Jahre lang dauerten und dann doch keine Investitionssicherheit brächten, seien Gift für den Investitionsstandort Deutschland und auch Gift für E-Energy.

Transparente Verfahren

Die Verfahren für den Ausbau der Leitungsinfrastruktur müssten transparent und bürgernah gestaltet werden, so Schnappauf, aber gleichzeitig auch innerhalb der nächsten fünf Jahre abgeschlossen werden. Die Wirtschaft drängt auf schnelle politische Entscheidungen, weil sie in dem Geschäft mit den intelligenten Stromnetzen weltweit ein Milliardenpotenzial wittert. Allein China veranschlagt in seinem jüngsten Fünfjahresplan einen vierstelligen Milliardenbetrag für die Umstellung auf erneuerbare Energien, energieeffiziente Technologien und intelligente Netze. Doch beim BDI weiß man, dass nur Technik, die sich auch in Deutschland durchsetzt, international zum Exportschlager werden kann.

Autorin: Sabine Kinkartz

Redaktion: Monika Lohmüller