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Hilfe für Helfer

Monika Dittrich22. August 2008

Dramatische Unfälle wie das Flugzeug-Unglück in Madrid oder Naturkatastrophen machen auch Nothelfer zu Opfern. Oft brauchen sie nach schweren Einsätzen psychologische Betreuung, damit das Erlebte nicht zum Trauma wird.

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Sanitäter im Einsatz (20.8.08, Madrid, Quelle: AP)
Absturz in Madrid: Auch die Helfer brauchen oft HilfeBild: AP

Laura Escobar erinnert sich noch genau an diesen Sonntag, der für sie zu einem schwarzen Sonntag werden sollte. Die Sonne schien, zarte Schäfchenwolken verzierten den Himmel. "Perfektes Motorradwetter", sagt die 22-Jährige und verzieht ihren Mund zu einem bitteren Lächeln. Sie hatte Dienst an diesem Tag, als Rettungsassistentin bei der Johanniter-Unfall-Hilfe im niedersächsichen Gronau. Am Nachmittag kam der Notruf: Zwei Motorradfahrer waren frontal zusammengestoßen.

Frau steht in einem Hausflur, hält eine rote Sanitäterjacke in der Hand (August 2008, Banteln - Deutschland, Quelle: Monika Dittrich)
Trotz schlimmer Erfahrungen: Rettungsassistentin Laura Escobar hat ihren LieblingsjobBild: Monika Dittrich

"Als wir mit unserem Rettungswagen an der Unfallstelle ankamen, lagen die beiden Männer reglos auf der Straße", erinnert sich Laura Escobar. "Und drumherum war eine riesige Menschenmenge." Es sei chaotisch gewesen: Angehörige der Opfer, die auch auf ihren Motorrädern unterwegs waren, hätten selbst Hand angelegt, in den Koffern der Sanitäter gewühlt und die Helfer bei der Arbeit behindert. Der Notarzt sei noch jung und unerfahren gewesen und habe selbst nicht recht gewusst, was zu tun sei.

Immer wieder die gleichen Bilder vor Augen

Einer der beiden Motorradfahrer war bereits tot; Laura Escobar hat sich dann um den zweiten Mann gekümmert. "Der war auch ziemlich deformiert und er lag in einer riesigen Blutlache", erzählt die Rettungsassistentin. Mehr als eine Stunde versuchten sie und ihre Kollegen, den Mann zu reanimieren. Vergeblich: Auch der zweite Motorradfahrer starb an der Unfallstelle.

Laura Escobar kennt schwere Verkehrsunfälle. Sie weiß, wie Menschen aussehen, die im Auto eingequetscht oder auf dem Motorrad zerfetzt werden. Und doch ging ihr dieser Einsatz nicht mehr aus dem Kopf. Vielleicht, weil es so chaotisch zuging und sie nicht so helfen konnte, wie sie es gelernt hatte. In den Tagen danach hat sie immer wieder die beiden toten Männer vor Augen, die zu Schrott gefahrenen Motorräder, die vielen Schaulustigen.

Ausbrechen aus der Trauma-Schleife

Sich gefangen zu fühlen in der Situation, immer wieder die gleichen Bilder zu sehen, Albträume – all das sind typische Reaktionen nach einem sehr belastenden Erlebnis. "Die Betroffenen fühlen sich wie in einer Schleife, aus der sie nicht ausbrechen können", erklärt Pfarrer Knuth Fischer, der sich bei der Johanniter-Unfall-Hilfe um die Betreuung von Einsatzkräften kümmert, die Dramatisches erlebt haben. "Es ist wichtig, den Mitarbeitern schnell zu helfen und ihnen zu zeigen, dass ihre Gefühle ganz normal sind", so Fischer.

Luftaufnahme eines zerstörten Busses neben einem Flussufer, daneben Nothelfer (22.7.07, Vazille - Frankreich, Quelle: AP)
Der Anblick von Tod und Zerstörung lässt viele der Helfer nicht losBild: AP

Denn aus der psychologischen Forschung ist bekannt, dass nicht verarbeitete belastende Ereignisse zu schweren psychischen Störungen führen können. Fachleute sprechen dann von einer "posttraumatischen Belastungsstörung". Entwicklungshelfer, Sanitäter und Krankenschwestern im Kriseneinsatz, aber auch Soldaten sind davon vergleichsweise oft betroffen – denn sie erleben häufig Ausnahmesituationen. Das können Naturkatastrophen sein wie der Tsunami 2004 oder Unfälle wie das Zugunglück 1998 in Eschede, als 101 Menschen starben – mitunter bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Aber auch vermeintlich alltägliche Verkehrsunfälle können Rettungskräfte aus der Bahn werfen. "Da spielen auch Versagensängste und Hilflosigkeit eine Rolle", erklärt der Pfarrer Knuth Fischer.

Nachsorgeteams kümmern sich um Einsatzkräfte

Fast alle Hilfsorganisationen haben inzwischen professionelle Konzepte, um traumatisierte Mitarbeiter zu betreuen. Die Johanniter-Unfall-Hilfe setzt auf fünf deutschlandweit einsetzbare Nachsorgeteams. "Die können kurzfristig über eine Meldestelle angefordert werden, auch anonym", sagt Knuth Fischer. Die wichtigste Aufgabe der Teams sei es, die Betroffenen zum Sprechen zu bringen: "Denn beim Sprechen sortieren wir die Erlebnisse und bekommen Distanz dazu."

Die Johanniter-Nachsorgeteams kümmern sich in den ersten vier bis sechs Wochen nach einem schlimmen Vorfall um die betroffenen Einsatzkräfte – das ist die Phase des akuten Traumas. Sollten die Symptome andauern, wird eine weiterführende Traumatherapie empfohlen.

Knuth Fischer von der Johanniter-Unfall-Hilfe, Quelle: Johanniter-Unfall-Hilfe
Knuth Fischer von der Johanniter-Unfall-HilfeBild: Johanniter-Unfall-Hilfe

Jedes Nachsorgeteam besteht aus drei Personen: einer so genannten psychosozialen Fachkraft, das kann ein Psychologe, ein Sozialpädagoge oder auch ein Pfarrer sein. "Am wichtigsten sind aber die beiden so genannten Peers im Nachsorgeteam", erklärt Knuth Fischer. Das sind Kollegen aus dem Umfeld der Betroffenen, die für ihre Aufgabe in der Krisenbetreuung speziell geschult werden. "Die sind das Besondere in den Nachsorgeteams", sagt Fischer, "denn sie sind mit ihrer Sprache und ihrer Art ganz nah dran an dem, was die Hilfesuchenden erleben."

"Ich hatte das richtig verschluckt"

Auch Laura Escobar hat die Hilfe eines Nachsorgeteams in Anspruch genommen – ihr Chef hatte für alle an dem Motorradunfall beteiligten Einsatzkräfte ein solches Team gerufen. Es gab Gruppengespräche, im Kreis sitzend, in der Mitte eine Kerze. Erst da habe sie realisiert, wie sehr der Einsatz sie mitgenommen habe, erzählt Laura Escobar. "Ich hatte das richtig verschluckt", sagt sie. Doch das Nachsorgeteam habe die belastenden Gefühle, das Mitleid und die Hilflosigkeit an die Oberfläche geholt, bis ihr "ein richtiger Stein vom Herzen gefallen" sei.

Heute spricht sie gelassen über diesen schwarzen Sonntag, und auch die Bilder sind aus ihrem Kopf verschwunden. Eines war für sie aber die ganze Zeit über klar - der Rettungswagen ist und bleibt ihr liebster Arbeitsplatz: "Ich muss einfach auf die Straße und helfen können. Das ist mein Leben."

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