1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Wenn Landsleute Flüchtlinge ausbeuten

Imane Mellouk kk
1. März 2019

Viele Arbeitgeber in Deutschland halten sich bei Flüchtlingen an die Vorschriften im Umgang mit Arbeitnehmern. Doch es gibt Ausnahmen, auch bei Chefs, die einen ähnlichen kulturellen Hintergrund haben.

https://p.dw.com/p/3DfeJ
Deutschland Aufnahmestelle für Flüchtlinge Zirndorf
Bild: picture-alliance/dpa/D. Karmann

Anderthalb Jahre lebte Imad* seit seiner Flucht bereits in Deutschland, als er für ein Reinigungsunternehmen zu arbeiten begann. Die Besitzerin* des Unternehmens stammte wie Imad aus einer arabischen Familie. Kontakt zu ihr hatte der 30 Jahre alte Syrer auf Empfehlung eines Freundes hin aufgenommen, der ebenfalls für die Frau arbeitete. Angesichts der sprachlichen und kulturellen Nähe, die ein Gefühl von Vertrautheit und Sicherheit vermittelt, war eine Vereinbarung "unter arabischen Landsleuten" schnell erzielt: Imad würde die halbe Zeit mit und die andere ohne Steuerkarte arbeiten. Damit entfiel für die Arbeitgeberin ein Großteil der Sozialabgaben.

"Die meisten derer, die dort arbeiten, sind syrische Flüchtlinge", sagt Imad im Gespräch mit der Deutschen Welle. 200 Personen arbeiteten in dem Unternehmen. "Jeder von uns muss in einer Schicht 20 Zimmer reinigen. Bevor wir das nicht geschafft haben, dürfen wir nicht gehen, auch wenn es spät wird. Die Arbeit ist hart. Wir haben keine Krankenversicherung und genießen auch keine sonstigen Arbeitnehmerrechte."

Seit einiger Zeit beschäftigt die Unternehmerin hauptsächlich Flüchtlinge. Meist erst seit Kurzem in Deutschland, kennen sie die Gesetze und deren Funktionsweise noch nicht; umso stärker wiegt die empfundene kulturelle Vertrautheit. Wer unter den gegebenen Umständen nicht arbeiten wolle, werde jedoch gefeuert, berichtet Imad. Er habe seine Chefin um einen regulären Arbeitsvertrag gebeten, die aber habe abgelehnt. So sei ihm nichts übrig geblieben, als den Job nach drei Monaten der Ausbeutung und Schufterei aufzugeben.

Deutschland  - Arbeitslose stehen Schlange
Nicht durchweg Garant guter Erfahrungen: der deutsche Arbeitsmarkt Bild: picture-alliance/dpa/J. Stratenschulte

Trotz Unterstützung durch die Agentur für Arbeit hatte Imad zuvor keine angemessene Stelle gefunden. Dies führt er auch darauf zurück, dass er Offizier in der syrischen Armee war. Derzeit sucht er nach einer Arbeit, die besser zu seiner Ausbildung passt. So denkt er daran, eine Anstellung in der Security-Branche anzunehmen. Ganz einfach dürfte es allerdings nicht werden, nimmt er an: "Dort, wo ich lebe, gibt es nicht viele Jobs dieser Art. Außerdem werden sie schlecht bezahlt."

Fälle "schwerer Ausbeutung"

Fälle wie der vom Imad und anderer auf dem irregulären Arbeitsmarkt beschäftigter Flüchtlinge sind nicht die Regel, kommen aber vor. Wesentliche Bedeutung für den erfolgreichen Eintritt in den regulären Arbeitsmarkt kommt neben der Sprache der Ausbildung zu. Einer von der Bundesagentur für Arbeit veröffentlichten Studie zufolge ist das im Herkunftsland erworbene schulische und berufliche Bildungsniveau der geflüchteten Männer und Frauen in Deutschland sehr unterschiedlich. 40 Prozent der Geflüchteten haben eine weiterführende Schule besucht, 35 Prozent in Deutschland einen Abschluss gemacht. Rund 12 Prozent der Geflüchteten haben dagegen nur eine Grundschule und weitere 13 Prozent gar keine keine Schule besucht. 

Deutschland Integration von Flüchtlingen
Unverzichtbar für gut bezahlte Arbeit: Deutsch-Kenntnisse. Hier ein Kurs für FlüchtlingeBild: picture-alliance/dpa/H. Kaiser

Vor allem Menschen mit niedriger Ausbildung stoßen auf dem deutschen Arbeitsmarkt auf Schwierigkeiten. Einmal im irregulären Sektor angelangt, finden sie sich in einer sehr schwierigen Lage, wie sich dem im Dezember 2018 veröffentlichten Jahresbericht des Deutschen Instituts für Menschenrechte entnehmen lässt. "Arbeitsmigrantinnen erleben hier nach wie vor schwere Ausbeutung, beispielsweise auf dem Bau, in der fleischverarbeitenden Industrie, der Pflege oder Landwirtschaft. Sie arbeiten letztlich für zwei bis drei Euro die Stunde, mit vielen Überstunden und ohne soziale Absicherung." 

Grundsätzlich, heißt es in dem Bericht weiter, könnten sich von Ausbeutung betroffene Migranten zwar wehren. Tatsächlich aber sei das oftmals schwierig. "Zwar können ausbeuterische Beschäftigungsformen für Arbeitgeber strafrechtliche Konsequenzen haben, in der Praxis kommt es aus verschiedenen Gründen aber eher selten zu Gerichtsverfahren."

Fragwürdige Stellenanzeige

Deprimierende Erfahrungen hat auch Imads Freund gemacht, der seinen richtigen Namen ebenfalls nicht veröffentlicht sehen möchte. Wie alle Migranten, mit denen die DW sprach, ist auch er ein anerkannter Flüchtling. Und wie alle anderen auch hat er die Unterstützung des Arbeitsamtes angenommen. Dennoch blieben seine Bemühungen erfolglos. So habe er 20 Tage für einen arabisch-stämmigen Unternehmer in Düsseldorf gearbeitet, sei aber nicht bezahlt worden. Auf die Stelle sei er durch einen Hinweis bei Facebook aufmerksam geworden, berichtete er der DW. Einen Tag später sei er zum Vorstellungsgespräch gekommen. Man war sich auch hier schnell einig, kurz darauf konnte er anfangen.

Nach einigen Tagen habe er um einen Arbeitsvertrag gebeten, berichtet der junge Mann. Doch der Arbeitgeber lehnte ab. Stattdessen bot er ihm eine schlecht bezahlte Stelle ohne Absicherung an. Darauf habe er sich nicht eingelassen, berichtet der Syrer. Er habe dann den Lohn für die vergangenen Tage gefordert, doch davon wollte der Arbeitgeber nichts wissen. Nach dieser Methode täusche er weiterhin Flüchtlinge, um sie anschließend auszubeuten, versichert der junge Mann im Interview. Das habe sich in der Flüchtlingsszene zwar längst herumgesprochen, dort gelte der Unternehmer als "schwarzes Schaf". "Aber der Mann ändert auf Facebook immer wieder seinen Namen und gibt dann einfach eine neue Anzeige auf."

Deutschland Frankfurt - Ausbildung von Flüchtlingen
Angekommen: Flüchtling aus Eritrea bei der Ausbildung in einem Handwerksbetrieb, 2016Bild: picture-alliance/dpa/A. Arnold

Besserer Job im zweiten Anlauf

Ungeachtet dessen verläuft die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt nach Ansicht von Experten insgesamt jedoch weitgehend erfolgreich. Im Januar 2019 waren der Bundesagentur für Arbeit zufolge in Deutschland 455.000 arbeitsuchende Geflüchtete registriert. Davon waren rund 187.000 arbeitslos gemeldet. Allerdings sei die Integration in den Arbeitsmarkt aufwendig, heißt es in einer Studie der Bundesagentur. "Die mit 32,7 Prozent vergleichsweise geringen Beschäftigungsquoten von Beschäftigten aus nichteuropäischen Asylherkunftsländern zeigen, dass die Integration in den Arbeitsmarkt einen langen Atem braucht", heißt es dort. "Für alle Ausländer lag die Beschäftigungsquote im November 2018 bei 51,0 Prozent, für Deutsche sogar bei 69,4 Prozent."

Zu denen, die es zunächst nicht geschafft hatten, zählt Samah*, eine als Flüchtling anerkannte Syrerin. Aus Angst vor ihrem Arbeitgeber habe sie einige Zeit gebraucht, bis sie sich entschloss, ihre Geschichte öffentlich zu machen, sagt sie im DW-Gespräch. Auch sie habe zunächst bei einem Arbeitgeber arabischer Herkunft angefangen - die kulturell empfundene Nähe zu einem "arabischen Landsmann" hatte auch hier den Zugang erleichtert. "Er hat mir dann allerdings Arbeit bis zur Erschöpfung gegeben und mich beim geringsten Anlass beschimpft. Ich habe unter schlimmsten Umständen gearbeitet, die ich nicht beschreiben kann."

Heute arbeitet Samah bei einem anderen Arbeitgeber, ebenfalls mit arabischen Wurzeln - und hier ist die kulturelle Vertrautheit plötzlich ein Pluspunkt. "Er behandelt mich respektvoll und mit Anstand. Er versorgt uns mit kostenlosen Mahlzeiten." Das sei eine ganz andere Atmosphäre als bei dem vorhergehenden Arbeitgeber, der ihnen keine Zeit zum Essen, Trinken und für Pausen zugestand.

Verletzliche Akteure

Flüchtlinge sind auf dem Arbeitsmarkt besonders verletzliche Akteure - darauf verweisen auch Menschenrechtler. Insbesondere mangelnde Sprachkenntnisse machten es ihnen oft schwer, sich zurechtzufinden und, wenn nötig, zu wehren. Die Gefahren, denen sie ausgesetzt sind, seien enorm, heißt es im Jahresbericht des Deutschen Instituts für Menschenrechte. "Für die Betroffenen sind besonders die finanziellen Folgen existenziell: Der ausbleibende Lohn in Verbindung mit den oft prekären Lebensumständen der Betroffenen befördert Armut und Obdachlosigkeit."

*Alle Namen und Identitäten sind der DW bekannt und wurden aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes und der Sicherheit geändert.