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Auma Obama: "Wer kann sich Nachhaltigkeit leisten?"

Mirjam Gehrke30. November 2012

Nachhaltigkeit und Green Economy sind vom Westen geprägte Begriffe, die kaum etwas mit der Wirklichkeit der Menschen in Afrika zu tun haben, sagt die kenianische Soziologin Auma Obama.

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Dr. Auma Obama, Initiatorin und Vorsitzende der Jugendinitiative und Stiftung "SautiKuu - powerful Voices for a powerful youth" in Kenia (Foto: DW/H. Jeppesen)
Bild: DW/ H. Jeppesen

Deutsche Welle: Frau Obama, 2012 - das Jahr der Rio+20 Konferenz - neigt sich dem Ende zu. Der UN-Gipfel für nachhaltige Entwicklung war mit Spannung erwartet worden - was ist Ihrer Ansicht nach davon noch übrig?

Auma Obama: Es ist wichtig zu erkennen, dass es keine schnellen Lösungen gibt. Wir müssen noch stärker zusammenarbeiten und vor allem pragmatische Antworten für die Bewältigung von Umweltproblemen entwickeln.

Aber wir dürfen dabei nicht vergessen, dass es sehr viele Menschen auf dieser Welt gibt, die so arm sind, dass sie sich den Luxus gar nicht leisten können, über einen umweltverträglichen, nachhaltigen Lebensstil nachzudenken. Diese Menschen stehen vor der Frage, wie sie die Armut überwinden können. Luftverschmutzung oder Überdüngung sind beispielsweise Probleme, mit denen diese Menschen nichts anfangen können.

Kann nachhaltige Entwicklung also keinen Beitrag zur Armutsbekämpfung leisten?

Man kann nicht einfach über Nachhaltigkeit reden, ohne zu erklären, was man damit meint. Nachhaltig bedeutet doch, dass ein Zustand über einen langen Zeitraum anhält. Nachhaltigkeit kann also auch negativ sein. Nicht nur in Afrika, auch in Europa, gibt es nachhaltige Armut und soziale Ungleichheit. Das Wort an sich bedeutet also gar nichts. Es bekommt erst einen Sinn, wenn man definiert, wie man ökologisch, sozial und ökonomisch verantwortungsvoll handeln will.

Und wieder stellt sich hier die Frage, wer sich das leisten kann. Die Menschen, mit denen ich in Kenia arbeite, stehen zunächst einmal vor der Frage, wie sie ihre Grundbedürfnisse befriedigen können. Und dann kämpfen sie darum, nicht wieder in die Armut zurückzufallen. Wer von Nachhaltigkeit spricht, sollte das stets sehr differenziert tun!

Was brauchen die Menschen, mit denen Sie in Kenia arbeiten, um die Armut zu überwinden?

Sie müssen zunächst aus der Opferrolle herauskommen. Ich arbeite in den Projekten meiner Stiftung überwiegend mit jungen Leuten aus sehr armen Verhältnissen. Sie haben die Vorstellung, dass man nur über die Entwicklungshilfe aus der Misere kommen kann. Sie erwarten, dass jemand ihnen hilft.

Wir versuchen den Menschen zu erklären, dass sie sich selbst helfen können, und dass sie vorhandene lokale Ressourcen nutzen müssen. Ein Bauer, der nur an einem Morgen das Land bestellt und es dafür neun Morgen brach liegen lässt, muss lernen, dass das Land wertvoll ist, und dass er gar nicht so arm ist, wie er denkt.

Kinder trinken in Kibera, dem größten Slum Afrikas, Wasser aus einer gebrochenen Leitung auf der Straße (Foto: dpa)
In Kibera (Nairobi), dem größten Slum Afrikas, haben viele Menschen kein TrinkwasserBild: picture-alliance/dpa

Green Economy wird häufig als Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft gepriesen. Welche Bedeutung hat die Idee der Green Economy für Ihre Heimat Kenia?

Ich stelle die Gegenfrage: Was bedeutet Green Economy? Auch dieser Begriff ist nicht genau definiert. Wenn wir alle mit ins Boot holen wollen, dann müssen sie auch wissen, wo die Reise hingehen soll.

Green Economy ist ein westlicher Begriff, der besagt, dass die Wirtschaft umweltfreundlicher werden muss. Diese Frage stellt sich in unseren Ländern aber noch nicht. Die Mehrheit der Menschen kämpft täglich ums Überleben. Wenn man diesen Menschen etwas von Green Economy erzählt, stellen sie sich die Frage 'Wie ändert das mein Leben, was bringt es für mich?' Oft gibt es darauf keine Antwort für sie.

Das auf Konsum und Ausbeutung von Ressourcen basierende Wirtschafts- und Finanzmodell des Nordens stößt sichtbar an seine Grenzen. Welche Lehren zieht man daraus in den Ländern Afrikas, denen dieses Modell bislang immer als Vorbild aufgezeigt worden ist?

Die Skyline von Nairobi, der Hauptstadt Kenias (Foto: N. Pushchina)
Die Skyline von Nairobi: Wer profitiert vom Wirtschaftswachstum in Kenia?Bild: Fotolia/Natalia Pushchina

Europa hinterfragt dieses Modell selbst gerade sehr kritisch. Unsere Botschaft an die Menschen im Süden lautet, dass man sich zunächst auf sich selbst verlassen muss. Die Menschen kennen ihre eigenen Probleme am besten und sie wissen auch, wie sie gelöst werden können. Manchmal ist dafür sicher Hilfe von außen notwendig. Aber nicht die Lösung muss von außen kommen, sondern nur die Hilfe dazu.

Könnte die Krise in Europa auch eine Chance für Afrika bedeuten?

Es gibt in jeder Krise eine Chance. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Länder Afrikas nicht nur aus Regierungen und aus Leuten bestehen, die tun, was die Europäer wollen und sie nachahmen. Es gibt auch sehr innovative Menschen in Afrika. Allerdings wird darüber kaum berichtet, weil es nicht interessant genug ist.

Die Perspektive auf Afrika als Kontinent ist eine europäische, eine westliche Perspektive. Wenn zum Beispiel von aufstrebenden Ländern oder von Schwellenländern die Rede ist, dann wird der wirtschaftliche Erfolg nach westlichen Standards gemessen und nicht nach den Kriterien des jeweiligen Landes. Das hat aber häufig wenig mit der Wirklichkeit in den Ländern zu tun. Kenia ist auf dem Weg, ein Schwellenland zu werden. Aber wie aussagekräftig ist diese Kategorie, solange es Kinder gibt, die auf der Müllhalde leben? Wenn man die vielen armen Menschen in den Straßen von Nairobi sieht, fragt man sich, für wen ist Kenia ein Schwellenland?

Dr. Auma Obama ist promovierte Soziologin. Sie hat 16 Jahre lang in Deutschland gelebt und an den Universitäten in Heidelberg und Bayreuth Germanistik und Soziologie studiert. In Kenia hat sie fünf Jahre lang die Arbeit der Hilfsorganisation Care International koordiniert. 2011 gründete sie ihre eigene Hilfsorganisation Sauti Kuu, mit der sie benachteiligte Kinder und Jugendliche fördert.