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Geheime Kontrolle

Sandra Petersmann25. November 2008

Drei angebliche BND-Mitarbeiter werden mit dem Anschlag auf das EU-Hauptquartier am 14.11. in Pristina in Verbindung gebracht. Die Geheimdienste werden vom Parlament kontrolliert. Aber funktioniert die Kontrolle?

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Bild: Fotomontage/DW

Für besonders dicke Schlagzeilen hat in diesem Jahr der Fall der Spiegel-Reporterin Susanne Koelbl gesorgt. Die Afghanistan-Expertin geriet in das Visier des "Wiederholungstäters" BND, weil die Geheimen aus Pullach den afghanischen Handelsministers Amin Farhang ausspähten.

Mohammad Amin Farhang
Amin FarhangBild: AP

Der BND hörte seine Telefonate ab und infizierte das Computer-Netzwerk des afghanischen Handelsministeriums mit einer speziellen Spähsoftware. Spiegel-Reporterin Susanne Koelbl arbeitete damals an ihrem Afghanistan-Buch "Geliebtes, dunkles Land" und pflegte einen regen Gedankenaustausch mit dem angezapften Minister in Kabul, selbstverständlich auch per E-Mail. Amin Farhang spricht fließend deutsch. Bevor er Mitglied der Regierung von Präsident Hamid Karsai wurde, lebte der Minister über 20 Jahre in der Bundesrepublik und lehrte an der Ruhruniversität Bochum. Seine Familie lebt noch heute dort, der Kontakt zu vielen deutschen Journalisten ist eng. Der Bundesnachrichtendienst las mindestens zwischen Juni und November 2007 die persönlichen E-Mails zwischen Susanne Koelbl und dem afghanischen Handelsminister rechtswidrig mit. Das Grundgesetz schützt die journalistische Arbeit ausdrücklich vor solchen staatlichen Übergriffen.

Gestörtes Verhältnis

Die Sache flog durch anonyme Hinweise aus den Reihen des BND selber auf, der nicht zum ersten Mal verbotenerweise Journalisten bespitzelt hat.

Foto: Herlinde Koelbl
Susanne KoelblBild: Herlinde Koelbl

Susanne Koelbl erhielt nach eigenen Angaben im Januar 2008 vage Andeutungen, die sie nicht glauben wollte. Als die Hinweise aber im Februar immer konkreter wurden, bat die Journalistin um ein persönliches Gespräch mit BND-Chef Ernst Uhrlau. Dieses Gespräch hat nach Koelbls Angaben rund zwei Stunden gedauert. Uhrlau habe sich bei ihr entschuldigt und um Verständnis für die schwierige Lage des BND gebeten. Laut Koelbl will Uhrlau selber erst gegen Ende Dezember 2007 von der Abhör-Affäre erfahren haben. "Wenn ich nicht auf ihn zugegangen wäre", sagte die Journalistin nach dem Treffen in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung, "glaube ich nicht, dass ich etwas erfahren hätte."

Zufallstreffer?

Das zuständige Parlamentarische Kontrollgremium (PKG) erfuhr erst von der rechtswidrigen Online-Überwachung, als Koelbl und der Spiegel in die Offensive gingen. Hans-Peter Uhl, der für die CDU/CSU im PKG sitzt, sprach von einer parteiübergreifenden Empörung über die Missachtung des Parlaments: "So kann das nicht weitergehen, dass wir den Spiegel lesen müssen, um in unserem Gremium die Frage stellen zu können, was macht Ihr da eigentlich?"

Das PKG hat in dieser Legislatur-Periode insgesamt neun Mitglieder. Sie sind aus den Reihen des Parlaments gewählt. Alle Fraktionen, die im Deutschen Bundestag vertreten sind, sind auch im PKG vertreten. Die Mitglieder sind zur Verschwiegenheit verpflichtet, getagt wird hinter schalldichten Türen.

11.10.2008 DW-TV Journal Interview Uhrlau
Ernst Uhrlau

Im April 2008 musste BND-Präsident Ernst Uhrlau dem Parlamentarischen Kontrollgremium dann im Fall Koelbl Rede und Antwort stehen. Die Befragung zog sich über zwei Tage hin. Danach stellte das PKG fest, dass das Vertrauensverhältnis zum BND und zu seinem Präsidenten "gestört ist". Trotzdem beharrte der PKG-Vorsitzende Thomas Oppermann von der SPD anschließend im Interview mit dem Deutschlandfunk darauf, dass der BND kontrollierbar ist: "Die Tatsache, dass wir einen Grundrechtsverstoß festgestellt haben, dass wir überdies auch das Vertrauen als gestört betrachten und dass wir die Bundesregierung und die BND-Leitung aufgefordert haben, dieses Vertrauen wiederherzustellen zeigt ja, dass die Kontrolle funktioniert."

Kontrolle! Welche Kontrolle?

Aber zeigt der Ausspäh-Skandal Koelbl/Farhang nicht vielmehr, wo die Grenzen der parlamentarischen Kontrolle liegen und dass es innerhalb des BND sehr wohl ein Eigenleben gibt? Zumindest einige Mitarbeiter der Auslandsaufklärung scheinen sich spätestens seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in einem rechtsfreien Raum zu wähnen.

Spion mit Schlapphut Symbolbild

Die Agenten haben heute die zentrale Aufgabe, Deutschland vor den Gefahren des internationalen Terrorismus zu schützen. Sie müssen dabei zwangsläufig im Verborgenen agieren, um handlungsfähig zu sein. Ihre Arbeit ist ein täglicher Balanceakt, weil sie den Boden des deutschen Grundgesetzes nicht verlassen dürfen. Sie sehen aber im Einsatz fast täglich, dass andere Geheimdienste sehr viel mehr dürfen. Sicherheitsexperten gehen zum Beispiel davon aus, dass Amerikaner und Briten die Regierungen in Kabul und Bagdad komplett überwachen lassen.

In Deutschland koordiniert der Kanzleramtsminister die Arbeit der Geheimdienste. Er trifft sich regelmäßig mit den Präsidenten von Bundesnachrichtendienst, Militärischem Abschirmdienst und Verfassungsschutz. Das Parlamentarische Kontrollgremium ist bei diesen streng vertraulichen Treffen nicht dabei, aber der Kanzleramtsminister hat die Aufgabe, das PKG umfassend zu informieren. Wie erfolgreich kann aber eine Kontrolle sein, in dem die Kontrollierten selber Art und Umfang der parlamentarischen Kontrolle definieren? Was ist das für eine Kontrolle, in der Journalisten mit guten Verbindungen zu den Geheimdiensten mehr wissen als die Abgeordneten, die die Geheimen kontrollieren sollen?

Multipolare Welt statt Kalter Krieg

Vom Fall Koelbl/Farhang will BND-Präsident Ernst Uhrlau nach eigenen Angaben erst im Dezember 2007 erfahren haben. Danach passierte wochenlang und monatelang nichts. Uhrlau informierte weder Kanzleramtsminister Thomas de Maiziere noch das PKG. Der BND-Chef durfte trotzdem im Amt bleiben, weil die Verantwortlichen zu wissen scheinen, dass das Problem mit einem Wechsel an der BND-Spitze nicht zu beheben ist.

Fakt ist, dass sich der BND in einem schwierigen Reformprozess befindet. Er war ein Instrument des Kalten Krieges und ist heute ein Instrument im Kampf gegen den Terror. Für die Arbeit in einer multipolaren Welt brauchen die Geheimdienste neues Personal und neue Methoden. Um diesen Prozess zu beschleunigen, hat die Politik entschieden, dass rund Zwei Drittel der 6000 BND-Mitarbeiter von Pullach bei München nach Berlin umziehen müssen. In der Hauptstadt werden die jahrzehntelang gewachsenen Abteilungen neu gegliedert, was unter den betroffenen Mitarbeitern für große Unruhe und auch für großen Unmut sorgt. Vom großen Umzug nach Berlin verspricht sich vor allem der stark angeschlagene Ernst Uhrlau mehr Transparenz. Ihm bleibt ohnehin nichts anderes übrig, als das verloren gegangene Vertrauen durch eine Transparenzoffensive zurückzugewinnen.

Geheime Einflüsterer

Aber auch die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste gehört auf den Prüfstand.

Christian Ströbele in Hannover
Hans-Christian StröbeleBild: AP

Hans-Christian Ströbele, der die Grünen im PKG vertritt, fordert ein "professionelles Controlling beim BND", das auch regelmäßige und unangemeldete Kontrollen bis in die letzte Außenstelle einschließen soll. Wolfgang Neskovic von der Linken verlangt, dass die üblichen und nicht nachprüfbaren mündlichen Absprachen durch "präzise Dokumentationspflichten mit ausführlichen Begründungen" ersetzt werden. Auch Union und SPD wollen die Rechte des parlamentarischen Kontrollgremiums stärken und professionalisieren. Die Union plädiert für einen hochrangigen Sonder-Beauftragten mit Vollmachten, die Sozialdemokraten wollen lieber einen Arbeitsstab mit einem leitenden Beamten an der Spitze einsetzen, der still im Hintergrund und nur auf Weisung des PKG selber agiert.

Einigkeit herrscht allerdings darüber, dass sich die Mitarbeiter der Geheimdienste in Zukunft direkt an das PKG wenden dürfen sollen. Nicht, um sich durch Petzen zu rächen oder um persönliche Angelegenheiten zu klären, sondern immer dann, wenn dem demokratischen Rechtsstaat Gefahr aus den eigenen Reihen droht. Der Fall Koelbl hat gezeigt, dass die Kontrolle der Geheimdienste nur dann funktioniert, wenn es dort verantwortungsbewusste Einflüsterer ("whistle blower") gibt.