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Politik

"Westbalkan ist ein seltsamer Kunstbegriff"

6. Juni 2018

Im Juli übernimmt Österreich die EU-Ratsprädidentschaft. Ein Schwerpunkt: Die sechs Westbalkan-Länder sollen näher an die EU herangeführt werden. Die DW sprach darüber mit Österreichs Außenministerin Karin Kneissl.

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Flaggen Westbalkan-Konferenz in Berlin 2014
Bild: Getty Images/AFP/T. Schwarz

DW: Frau Ministerin, welche Ziele haben Sie für die EU-Ratspräsidentschaft?

Karin Kneissl: Aus außenpolitischer Sicht geht es vor allem um eine Heranführung der Staaten Südosteuropas an die Europäische Union. Diese Region ist uns wichtig, sie wurde schwer vernachlässigt in den vergangenen zwanzig Jahren. Ich selbst vermeide den Begriff "Westbalkan", das ist ein seltsamer Kunstbegriff, und für mich sind Städte wie Sarajevo und Belgrad jedenfalls europäische Städte.

Sie sagen "Heranführung". Nach dem Gipfel von Sofia gab es ja eine relativ große Enttäuschung in den sechs Staaten, die sich in unterschiedlichen Zuständen als Kandidaten oder Nichtkandidaten befinden. Was konkret werden Sie anbieten? Was versuchen Sie zu erreichen?

Wir können hier nur eine Dynamik nutzen. Die Staaten selber müssen eine ganze Reihe von Reformen umsetzen. Bei Bosnien-Herzegowina geht es vor allem um eine Wahlrechtsreform mit Blick auf die Wahlen am 7. Oktober. Wir können hier nicht etwas anbieten, wir können nur die Staaten daran erinnern, dass sie ihre Reformen weiterführen müssen. Wir werden uns vor allem auch bei unseren EU-Kollegen in jenen Hauptstädten, die vielleicht geographisch und historisch ein bisschen weiter weg sind, dafür einsetzen, dass diese Region wichtig ist.

Das heißt, Sie sind für eine Fortsetzung des Aufnahme- oder Integrationsprozesses der sechs Länder?

Wir sind dafür, dass diejenigen, die heute in Entscheidungspositionen sind, Reformen umsetzen, damit es zu einer Heranführung an die Europäische Union kommt. Es handelt sich hier um äußerst unterschiedliche Staaten mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen bei der Bevölkerung und der Administration. Sie können diese Staaten nicht alle in einen Topf werfen, sondern sie werden in einem positiven Wettbewerb untereinander jeweils ihren Reformprozess fortführen.

Heranführung der Staaten Südosteuropas an die EU

In den vergangenen Tagen gab es in Österreich im Vorfeld der EU-Ratspräsidentschaft eine hitzige Debatte um das Thema Migration und mögliche neue Grenzkontrollen. Was ist da dran?

Die Grundfreiheit in der Europäischen Union, auf der wir aufbauen - also auf der Integration bis hinein in die Europäische Union -, muss natürlich in einer klugen Balance gehalten werden. Aber es darf in dieser Debatte auch keine Denkverbote geben.

Apropos Denkverbote - der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn hat gesagt: Wir wollen kein Visegrád plus Österreich. Was erwidern Sie ihm?

Ich kann diese Warnung oder diesen Vorwurf nicht ganz nachvollziehen. Wir dürfen hier eines nicht außer Acht lassen: Zwar sind wir historisch und geographisch nah, aber der Unterschied, den ich zwischen den vier Visegrád-Staaten und Österreich sehe, ist: Es handelt sich bei den Vieren um NATO-Staaten und wir sind kein NATO-Staat, und das ist sehr wohl auch etwas, was uns fundamental in vielen außenpolitischen Entscheidungen unterscheidet.

Trotzdem erhofft man sich ja auch von Österreich einen gewissen Einfluss auf diese Länder. Herr Asselborn hat in Bezug auf Polen gesagt: dort haben wir kein funktionierendes Rechtssystem. Und er sagte mit Blick auf Ungarn: Dort haben wir keine Pressefreiheit. Was kann Österreich da an Einfluss geltend machen, vielleicht auch gerade im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft?

Wir haben gegenüber Polen ein Verfahren laufen, das Artikel-7-Verfahren (eine Überprüfung, ob die EU-Werte durch ein Mitgliedsland verletzt wurden, Anm. d. Red.). Und wir werden uns davor hüten, in laufende Verfahren einzugreifen. Man führt als Ministerin natürlich auch das eine oder andere Hintergrundgespräch, aber wir greifen nicht in laufende Verfahren ein.

Welches Europa schwebt Ihnen denn vor? Wir müssen ja doch Szenarien entwickeln, um aus der Krise zu kommen.

Genau diese Szenarien hat ja der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, vor eineinhalb Jahren entwickelt und die wurden im Europäischen Parlament vorgestellt. Die österreichische Bundesregierung hat im Dezember ein Regierungsprogramm vorgelegt, in dem es ganz klar um das Szenario IV geht.

Das heißt, entscheidend ist, im Sinne der Subsidiarität dafür zu sorgen, dass die EU sich auf die wesentlichen großen Themen fokussiert, für die wir gemeinsame Lösungen brauchen, das sind zum Beispiel der Schutz der EU-Außengrenzen, die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik oder der Klimawandel. Da, wo die Nationalstaaten oder die Regionen bessere Lösungen finden können, weil sie näher an den Bürgern sind, brauchen wir weniger EU.

Karin Kneissl ist parteilose österreichische Politikerin. Seit dem 18. Dezember 2017 ist sie Bundesministerin für Europa, Integration und Äußeres der Republik Österreich.

Das Interview führte Adelheid Feilcke am Rande der 1. EU Strategic Talks in Wien.