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Politik

Die Taliban-Regierung bereitet dem Westen Sorgen

8. September 2021

Dass ein von den USA gesuchter Terrorist nun afghanischer Innenminister ist, lässt in Berlin, London und natürlich in Washington die Alarmglocken schrillen. Dennoch will man noch nicht den Stab über den Taliban brechen.

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Bundesaußenminster Heiko Maas und sein US-Kollege Antony Blinken bei der Pressekonferenz in Ramstein
Bundesaußenminster Heiko Maas und sein US-Kollege Antony Blinken bei der Pressekonferenz in RamsteinBild: Michael Probst/AP Photo/picture alliance

Deutschland und die USA haben sich besorgt angesichts der neuen Taliban-Regierung in Afghanistan geäußert. Die Außenminister Heiko Maas und Antony Blinken kritisierten nach einem Treffen auf dem US-Luftwaffenstützpunkt in Ramstein in Rheinland-Pfalz vor allem die Zusammensetzung der Regierung in Kabul. "Die Meldungen stimmen uns nicht optimistisch", sagte Maas.

Die USA zeigen sich vor allem besorgt über einzelne Mitglieder der Regierung sowie deren Werdegang und Vorgeschichte. "Die Welt schaut genau hin", erklärte Blinkens Ministerium in Washington und verwies auch darauf, dass es keine Frauen im Kabinett gebe.

Wie Maas forderte auch Blinken, dass weitere Menschen aus Afghanistan ausreisen können. "Diese Charterflüge müssen fliegen können", sagte Blinken. Die weiteren Beziehungen hingen nun maßgeblich vom Verhalten der Taliban ab, betonten beide Ressortchefs. Maas sagte, dass die Weltgemeinschaft zwar humanitäre Hilfe leisten werde. Eine Isolation Afghanistans sei nicht im Interesse der Taliban.

Die Taliban hatten rund drei Wochen nach der Einnahme Kabuls am Dienstag eine Übergangsregierung mit 33 Mitgliedern ernannt. Mullah Hassan Achund wurde zum amtierenden Regierungschef bestimmt. Er war enger Weggefährte von Mullah Omar, einem der Gründer der Taliban und Staatsoberhaupt während der ersten Taliban-Herrschaft von 1996 bis 2001.

Zehn Millionen Dollar Kopfgeld für Hakkani 

Der Posten des Innenministers wurde an Siradschuddin Hakkani vergeben. Er soll an Selbstmordanschlägen beteiligt gewesen sein und über enge Kontakte zum Extremisten-Netzwerk Al-Kaida verfügen. Hakkani steht als Terrorist auf der Fahndungsliste der USA.  Die US-Bundespolizei FBI hat ein Kopfgeld von bis zu zehn Millionen Dollar (knapp 8,5 Millionen Euro) für Hinweise ausgelobt, die zu seiner Festnahme führen.

Schon lange im Visier der USA: Steckbrief von Siradschuddin Hakkani von September 2011
Schon lange im Visier der USA: Steckbrief von Siradschuddin Hakkani von September 2011 Bild: dpa/picture alliance

Blinken betonte: "Die Art der Beziehungen der von den Taliban geführten Regierung zu uns und zur internationalen Gemeinschaft wird ganz von ihrem Handeln in den kommenden Wochen und Monaten abhängen." Maas wiederum sprach sich gegen eine
Anerkennung der Taliban-Regierung zum jetzigen Zeitpunkt aus, plädierte jedoch dafür, die Gespräche mit den militanten Islamisten fortzusetzen. 

Auch Großbritannien hätte sich mehr Diversität in der Regierung gewünscht, wie ein britischer Regierungssprecher in London mitteilte. "Wir werden die Taliban weiterhin an ihren Taten messen." Russland und Indien erklärten Regierungskreisen zufolge in gemeinsamen Beratungen, die Taliban müssten sich an ihre Zusagen halten. Die in Afghanistan operierenden ausländischen Gruppen seien eine Gefahr für die gesamte Region.

Peking: Regierung Schritt zum Wiederaufbau Afghanistans

China betrachte die Einsetzung der neuen Regierung hingegen als notwendigen Schritt zum Wiederaufbau Afghanistans, sagte ein Sprecher des Außenministeriums in Peking. "Wir hoffen, dass die neuen afghanischen Behörden den Menschen aller Ethnien und Fraktionen umfassend zuhören werden, um den Wünschen der eigenen Bevölkerung und den Erwartungen der internationalen Gemeinschaft gerecht zu werden." China respektiere die Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität Afghanistans.

Die EU will ihre Nothilfe für Afghanistan fortsetzen - die neue Taliban-Regierung aber genau im Auge behalten. "Die Europäische Union ist bereit, weiter humanitäre Hilfe zu leisten", sagte der Vizepräsident der Europäischen Kommission, Maros Sefcovic. Längerfristig hingen Gelder aber davon ab, ob die neuen Machthaber in Kabul Grundfreiheiten aufrechterhielten. Die Vereinten Nationen haben vor dem Zusammenbruch der Grundversorgung in Afghanistan gewarnt. 

Deutschland hatte seine Entwicklungshilfe nach der Machtübernahme der Taliban Mitte August eingefroren. Humanitäre Hilfe für notleidende Menschen wird aber weitergezahlt. Derzeit sind 600 Millionen Euro zugesagt. Maas warnte in Ramstein vor einer dreifachen humanitären Krise: "In vielen Teilen des Landes herrscht jetzt schon Nahrungsmittelknappheit aufgrund der Dürre. Gleichzeitig sind internationale Hilfszahlungen gestoppt worden, von denen viele Menschen abhängen. Und wenn eine neue Regierung nicht in der Lage ist, die Staatsgeschäfte am Laufen zu halten, droht nach dem politischen der wirtschaftliche Kollaps - mit noch drastischeren humanitären Folgen."

Blinken trifft afghanische Flüchtlinge

Blinken traf in Ramstein auch mit afghanischen Flüchtlingen zusammen. Der Minister zeigte dem Sohn eines ehemaligen afghanischen Mitarbeiters der US-Botschaft auf seinem Smartphone Bilder seiner eigenen Kinder. In Ramstein sind derzeit rund 11.000 Afghanen untergebracht, die auf ihren Weiterflug in die USA warten. 

US-Außenminister Antony Blinken im Gespräch mit einer afghanischen Flüchtlingsfamilie
US-Außenminister Antony Blinken im Gespräch mit einer afghanischen FlüchtlingsfamilieBild: Olivier Douliery/AP Photo/picture alliance

Blinken ist selbst Stiefsohn eines Holocaust-Überlebenden und setzt sich seit langer Zeit für die Recht von Geflüchteten ein. Er besuchte in Ramstein auch eine provisorische Unterkunft für Kinder, die ihre Eltern verloren haben. "Viele, viele Amerikaner freuen sich wirklich sehr darauf, euch willkommen zu heißen und dass ihr in die USA kommt", sagte Blinken. 

Mit einer Luftbrücke hatten die USA und ihre Verbündeten binnen weniger Wochen etwa 123.000 Menschen aus der afghanischen Hauptstadt Kabul ausgeflogen. Vor dem endgültigen US-Abzug aus Afghanistan konnten allerdings nicht alle Ausländer und Ortskräfte außer Landes gebracht werden. Die USA nutzen Ramstein als eines von mehreren Drehkreuzen.

sti/kle (afp, dpa, rtr)