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Mit Hefezellen gegen Corona

Nicolas Martin
15. Juni 2020

Der Wettlauf um einen COVID-19-Impfstoff ist weltweit in vollem Gange. Auch ein Biotechunternehmen aus Deutschland mischt mit. Dort will man das Virus mit Hefe austricksen.

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Symbolbild | Forschung | Impfstoff | Covid-19
Bild: picture-alliance/ANE

Michael Piontek tauscht sein legeres, graues Sakko gegen einen weißen Laborkittel und führt festen Schrittes durch die hellen Räume. Im Kühlschrank eines Labors befindet sich das Herzstück: Hefezellen in einer Petrischale. Mit denen will Piontek das Coronavirus besiegen.

"Das ist unser Schatz. Da steckt unser ganzes Know-how drin. Damit kann man überall auf der Welt eine Produktion aufsetzen", sagt der 60-jährige Mikrobiologe. Noch wird sein "Schatz" nur mit einer Videokamera und einem Wachdienst überwacht. Ob wohl die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt werden, sollte der Impfstoff auch am Menschen funktionieren? Piontek lacht: "Wenn es so weitergeht, will ich das nicht ausschließen."

Artes-Biotechnology-Firmeninhaber Michael Piontek in seinem Labor
Pionier in der Forschung an Hefeviren: Michael Piontek Bild: DW/N. Martin

Schon seit dem Studium forscht Piontek an Hefezellen. Sein Unternehmen ARTES Biotechnology im nordrhein-westfälischen Langenfeld hat auf Basis der Technologie bereits einen Impfstoff gegen Hepatitis B zur Marktreife gebracht. Seit April arbeitet er nun mit seinen 25 Mitarbeitern auch an einem Corona-Impfstoff. Die Hefe ist dabei nur ein Helfer: Durch sie kann Artes ein Protein herstellen, das im Körper Corona-Antikörper hervorrufen soll.

Der große Wettlauf

Weltweit ist ein Wettrennen um den Corona-Impfstoff entbrannt: In Deutschland hat dieFirma BioNtech bereits klinische Studien mit Menschen begonnen - sogenannte Phase-1-Studien. Das Biotechnologieunternehmen CureVac will in diesem Monat damit beginnen, berichtet der Verband Forschender Arzneimittelhersteller auf DW-Anfrage.

Rund um den Globus gibt es derzeit 150 Impfstoff-Projekte - ganz vorne dabei ist daschinesische Unternehmen CanSinoBio, das bereits eine sogenannte Phase-II-Studie gestartet hat. Dabei wird eine größere Anzahl von Personen auf die Immunbildung und die Verträglichkeit eines Stoffes getestet. Danach folgt die dritte Phase mit einem noch größeren Personenkreis, und erst danach geht der Impfstoff in die Zulassung. Ein langer Weg, der sich normalerweise über fünf bis zehn Jahre erstreckt.

Ein Markt von sieben Milliarden Menschen

Einige Unternehmen geben an, schon bis Ende des Jahres einen Impfstoff liefern zu können. Das sei sehr optimistisch, kommentiert Piontek. Er selbst will im Sommer den Impfstoff an Tieren testen, Ende des Jahres könnten die ersten klinischen Studien am Menschen beginnen.

Für diesen Zeitpunkt ist Artes bereits jetzt im Gespräch mit Partnern. Denn dann beginnt die Impfstoffentwicklung Millionen zu verschlingen. Trotz des Rückstandes und der starken Konkurrenz sei das Projekt ökonomisch sinnvoll: "Es gibt einen Markt für fast acht Milliarden Menschen. Das ist dermaßen groß. Da müssen viele Firmen mit vielen verschiedenen Ansätzen auf den Markt, um diese Stückzahlen zu liefern", sagt Piontek.

Mitarbeiter des deutschen Biotech-Unternehmen CureVac mit Pipetten
US-Präsident Trump soll Ende März versucht haben, sich den Impfstoff des deutschen Unternehmens CureVac gegen das Coronavirus exklusiv zu sichernBild: picture-alliance/dpa/S. Gollnow

Die globale Pharmaindustrie präsentiert sich derzeit geeint. Der Generaldirektor der internationalen Pharmalobby IFPMA, Thomas Cueni, erklärte kürzlich bei einem Pressebriefing: "Die Idee eines Impfstoffes, der gerecht, verfügbar und bezahlbar ist, ist der Industrie wahrhaftig wichtig."

Der Lobbyist folgt damit rhetorisch der Aufforderung mehrerer Regierungschefs - darunter auch Angela Merkel - , dass der Impfstoff ein öffentliches Gut sein müsse. Tatsächlich arbeiten derzeit viele Unternehmen unter dem Dach der Weltgesundheitsorganisation WHO in einem Forum zusammen, um den Forschungsprozess zu beschleunigen.

Geldsegen für Forschung

Rund 7,4 Milliarden Euro haben Regierungen, Organisationen und Privatleute Anfang Mai dafür gesammelt. Damit andere Impfungen nicht vernachlässigt werden, hat die internationale Impf-Allianz Gavi zu einer internationalen Geberkonferenz aufgerufen und dort nochmals 7,8 Milliarden Euro einsammeln können. Die EU-Kommission will durch Vorverträge mit Pharmafirmen den EU-Bürgern einen raschen Zugriff auf ausreichende Mengen eines Impfstoffs sichern. Finanziert werden soll das mit einem erheblichen Teil der Gelder aus dem sogenannten EU-Notfallinstrument mit einem Budget von 2,7 Milliarden Euro. 

Der Geldsegen für die Forschung und Entwicklung bedeutet auch eine Verantwortung der Industrie für günstige Endpreise, meint Jörg Schaaber von der BUKO-Pharma-Kampagne. Er befürchtet allerdings, dass die Industrie derzeit vor allem leere Versprechen abgebe und es am Ende auf faule Kompromisse hinauslaufe.

Schaaber: "Wenn die Industrie ihren Worten Taten folgen lassen will, dann müssten die Unternehmen die Patente für ihre Impfstoffe auf dem internationalen Medicine Patent Pool zur Verfügung stellen." Das habe auch bei HIV die Produktion von wesentlich günstigeren Generika ermöglicht.

Proteine aus Hefe

Für Artes Biotechnology stellt sich diese Frage erst einmal nicht, denn es produziert seine Impfstoffe nicht selbst. Die Firma lebt vom Verkauf der Herstellungslizenzen - staatliche Fördergelder für Corona Forschung habe er noch nicht benötigt, sagt Piontek. Aber: "Wir müssen sehen, dass wir unsere Investitionen auch wieder hereinbekommen." 

Artes Biotechnology Coronavirus Forschung
Hoffnungsträger: Die Anlage von Hefekulturen ist laut Firmengründer Piontek vergleichsweise einfachBild: DW/N. Martin

Im unteren Stockwerk des Unternehmens richt es süßlich. Hier brodelt in Stahl- und Glaskolben die "Kulturbrühe", wie Piontek es nennt. In dieser Brühe werden die genetisch veränderten Hefestämme vermehrt. Aus 15 Litern kommen in vier bis fünf Tagen anderthalb Kilo Hefe zusammen. "Daraus können wir dann 1,5 Gramm der entsprechenden Proteine produzieren."

Klingt erst mal nach wenig Material, doch laut Piontek könnte das schon für 100.000 Impfdosen reichen. Weil die Produktion vergleichsweise einfach ist, ist sich der Unternehmer sicher, dass er dazu beitragen kann, die Versorgung weltweit zu garantieren. Sein Hepatitis-B-Impfstoff wird bereits in Indien, USA, Vietnam, Indonesien, Thailand produziert. In den dortigen Fabriken könne man mit wenig Aufwand direkt in die Produktion des Corona-Impfstoffes gehen, sagt Piontek.

"Im Spiel bleiben"

Doch noch ist der Weg bis zur Zulassung weit. Bis dahin haben die Teilnehmer im Wettlauf um den Impfstoff ein hohes unternehmerisches Risiko. Denn ähnlich wie beim SARS-Virus, könnte SARS-CoV-2 einfach verschwinden. Und damit auch der öffentliche Druck auf Regierungen, einen Impfstoff zu kaufen.

Piontek lässt sich davon nicht abschrecken. "Wenn wir mit der Technologie Erfolg haben, dann sind wir auch bei der nächsten Suche für einen Impfstoff im Spiel", sagt er. Piontek ist sich sicher: "Die wird es immer wieder geben."