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Engpässe bei Schlangen-Gegengift

Nele Rößler
24. August 2017

Seren gegen Schlangengift sind schwer herzustellen - und es gibt immer weniger Unternehmen, die sie produzieren. Besonders Menschen in Entwicklungsländern leiden darunter: Im Notfall wird es lebensbedrohlich.

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Eine Arabische Sandrasselotter
Die Sandrasselotter ist die giftigste Schlange der Welt. Auch für ihre Bisse gibt es immer weniger Gegengift.Bild: picture-alliance/WILDLIFE

Ein Kind läuft über Felsgeröll und Schutt. Es ist barfuß. Dabei stößt es auf etwas Schuppiges. Eine ungefähr 60 Zentimeter lange, grau- und sandbraun gemusterte Schlange beißt zu: die Sandrasselotter. Sie lebt in vielen Teilen Asiens, von Bangladesch bis zur arabischen Halbinsel. Es sind Regionen, in denen viele Menschen barfuß auf dem Feld arbeiten.

Das Gift der Sandrasselotter ist gefährlich - es reicht theoretisch aus, um 250 erwachsene Menschen zu töten.

Gegengifte fehlen

Mittlerweile ist die Rettung des Opfers aber nicht nur ein Zeitproblem: Weltweit fehlt Antiserum. Ein Problem: Jedes Gift braucht ein spezifisches Gegengift. Denn nicht jedes Gegengift hilft bei jeder Schlange. Wenn ein asiatischer Taipan zubeißt, hilft nur ein Mittel, das aus den Giftkomponenten derselben Tierart hergestellt wurde. Serum aus dem Gift indischer Nattern bewirkt in Afrika hingegen wenig. "In Ghana hat ein indisches Produkt 2004 das französische ersetzt - die Todesrate durch Schlangenbisse stieg um das Sechsfache", erklärt David Williams, bekannt als Schlangenexperte aus der Serie Snake Hunter.

Eine Schlange wird gemolken. (Adek Berry/AFP/Getty Images)
Um das Gegengift zu gewinnen, benötigt man zunächst das Gift der Schlange. Dafür wird sie gemolken.Bild: Getty Images/AFP/A. Berry

In Afrika ist das Problem besonders groß, weil es dort kein einziges geeignetes Mittel mehr gibt. Bis zu 30.000 Menschen sterben dort jedes Jahr an Schlangenbissen. Der französische Pharmakonzern Sanofi Pasteur hat bereits im Jahr 2014 die Produktion des Präparats Fav-Afrique eingestellt. Dieses Produkt ist besonders: Es hilft gegen das Gift gleich vieler verschiedener Schlangen. Der Grund: Es ist eine Mischung aus Gegengiften. Unter anderem wirkt Fav-Afrique gegen das Gift von Puffottern, Vipern, Kobras und Mambas.

Afrika ist besonders betroffen

"Insbesondere in Afrika südlich der Sahara gibt es große Engpässe", sagt Micha Nübling von der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Das Problem: "In vielen Ländern gibt es keine eigene Qualitätsprüfung für Medikamente", erklärt Nübling. So wurden manche Märkte in Afrika über Jahre mit kaum wirksamen Gegengiftmedikamenten aus Asien überschwemmt. Die halfen nicht. Die Menschen gingen eher zu Heilern und kauften kein Gegengift mehr. So ging der Markt kaputt.

Auch Indien, das selbst Gegengift herstellt, hat Probleme. "Viele Produkte sind von zweifelhafter Qualität", sagt Williams. Mindestens 50.000 Menschen sterben dort schätzungsweise pro Jahr durch Schlangen.

Hilfe ist in Arbeit

Die WHO hat jetzt reagiert. Sie setzte Schlangenbisse zum einen auf die Liste der vergessenen tropischen Krankheiten; das soll die Aufmerksamkeit für das Thema erhöhen. Zudem arbeitet die WHO an Richtlinien für die sichere Produktion wirksamer Gegengifte und lässt nun auch selbst Mittel testen. Sie sollen gegen die Bisse möglichst vieler Giftschlangen im südlichen Afrika wirken.

"Die erste Phase der Labortestung ist abgeschlossen, als nächstes stehen Tests auf Wirksamkeit bei Mäusen an", sagt Nübling. Sobald die WHO Mittel mit ihrem Gütestempel versieht, sollte die Produktion anlaufen. Das Gütesiegel soll dabei helfen, Skepsis in der Bevölkerung zu überwinden, die von schlechten Erfahrungen mit anderen Mitteln herrührt. Zwölf Monate könnte es aber noch dauern, bis die Produktion läuft, meint Nübling.

Wichtig für die Produktion des Gegengifts in großem Maßstab: Der Hersteller braucht große Pferdeherden. Giftschlangen werden gemolken, mit den Giftkomponenten werden Pferde infiziert. Sie sterben daran nicht. Aber sie bilden Antikörper, die bei der Blutentnahme gewonnen werden. Daraus entsteht das Gegengiftpräparat für Menschen.

Neue Möglichkeiten

Es gibt auch einige Stoffe, die mit Kühen und Schafen gewonnen werden. Bei den Tieren werden Gene für das Immunsystem durch menschliche Gene ausgetauscht: Sie werden "humanisiert". Mit diesen Tieren liefen in den USA vielversprechende Tests. Für die großen Mengen Schlangengift, die benötigt werden, sei das bisher aber keine Alternative, sagt Nübling.