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Wider den Judenhass

Alexander Kudascheff14. September 2014

In Berlin hat die gesamte politische Elite gegen Judenhass demonstriert. Und mit ihr rund 6000 weitere Menschen. Viel zu wenige, meint DW-Chefredakteur Alexander Kudascheff.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel, Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und andere demonstrieren gegen Judenhass (Foto: Reuters/Fabrizio Bensch)
Bild: Reuters/Fabrizio Bensch

Es ist ein Zeichen: 6000 Menschen haben sich in Berlin zu einer Demonstration gegen den Judenhass, gegen den Antisemitismus versammelt. 6000. Mehr eben nicht. Noch 1992 haben über eine Million Deutsche mit Lichterketten in Städten, Dörfern und Gemeinden gegen Rassismus in Deutschland protestiert. Damals ist dem Hass der Rechtsextremisten machtvoll und eindrucksvoll entgegengetreten worden.

Diesmal sind es 6000. Es ist die gesamte politische Elite der Bundesrepublik. Der Bundespräsident. Die Bundeskanzlerin. Minister. Gewerkschaftler. Die protestantische, die katholische Kirche. Sie alle setzen ein Zeichen gegen den bestürzenden Judenhass - auf Einladung des Zentralrats der Juden. Denn aus der Mitte der Gesellschaft, aus der Mitte Deutschlands, gab es diese Initiative nicht. Eigentlich beschämend. Wie auch die geringe Zahl der Demonstranten.

Unbestreitbar gibt es eine Kluft in der Wahrnehmung der Juden und vor allem in der Beurteilung Israels. Die Bevölkerung ist deutlich israelkritischer eingestellt als die Politik. Und hinter dieser völlig legitimen Israelkritik lauern archaische antisemitische Ressentiments - auf der Straße durch muslimische Einwanderer, im Netz durch den normalen Deutschen. Was da an Pöbeleien, an Hass, an Wut, an antijüdischer Hetze zu lesen war, ist nicht nur beschämend und bestürzend, es ist verstörend. Und deswegen ist die Kundgebung am Brandenburger Tor doch das richtige Symbol: Deutschland ist verantwortlich für den Holocaust, für die Shoah, für die Ermordung von sechs Millionen europäischer Juden. Hier muss engagierter, eindrucksvoller, machtvoller, entschiedener gegen Antisemitismus aufgetreten werden als irgendwo anders. Da kann es keine auch nur versuchte Normalität geben.

Porträt von Alexander Kudascheff (Foto: DW/M.Müller)
DW-Chefredakteur Alexander KudascheffBild: DW/M. Müller

Umfragen schätzen, in Deutschland seien rund 20 Prozent der Menschen antisemitisch eingestellt oder folgten antisemitischen Stereotypen. Das sind leider mehr als noch vor einem Vierteljahrhundert. Es sind Rechte, Linke, muslimische Einwanderer, der normale Deutsche aus der Mitte der Gesellschaft. In Deutschland müssen 75 Jahre nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs, nach der Vernichtung der Juden, Synagogen durch die Polizei geschützt werden. Auch Kindergärten. Juden mit der Kippa müssen damit rechnen, angepöbelt zu werden. Friedhöfe werden geschändet. Das ist ein Teil der jüdischen Lebenswirklichkeit in der Bundesrepublik.

Aber: Es gibt - trotz des Holocaust, trotz des alltäglich empfundenen Antisemitismus - wieder jüdisches Leben in Deutschland. Die Gemeinden wachsen. Die Juden verstecken sich nicht, sie zeigen Selbstbewusstsein. Auch auf der Kundgebung in Berlin: Und sie zeigen Gefühle. Sie nehmen die Beleidigungen, die Schmähungen nicht hin. Sie sind ein Teil der deutschen Gesellschaft. Sie haben hier ihre Heimat gefunden - eine Heimat, die gegen den Judenhass aufsteht. Und deswegen ist, wie die Bundeskanzlerin gesagt hat, der Kampf gegen Antisemitismus eine republikanische Selbstverständlichkeit. Eine offene Gesellschaft ächtet den Judenhass. Und verabscheut Rassismus.