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Politik

Widerstand im Pandschir-Tal gegen Taliban

19. August 2021

Handstreichartig haben die Taliban die Macht in Afghanistan an sich gerissen. Fast nirgendwo sind sie auf Gegenwehr gestoßen. Allein im Pandschir-Tal formiert sich Widerstand.

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Symbolbild Waffenstillstand mit den Taliban in Afghanistan
(Archiv) Soldat im Pandschir-TalBild: picture alliance/Photoshot/J. Harper

Seit dem Wochenende haben die Taliban die Macht in Afghanistan übernommen. Nur im 150 Kilometer nordöstlich von Kabul gelegene Pandschir-Tal formiert sich Widerstand. Dorthin haben sich auch der geflüchtete Vizepräsident der Regierung Ghani, Amrullah Saleh, und der ehemalige Verteidigungsminsiter Bismillah Mohammadi zurückgezogen. Saleh beansprucht für sich die Präsidentschaft, da Ghani das Land verlassen hat, und erklärte auf Twitter: "Ich werde mich niemals und unter keinen Umständen den terroristischen Taliban beugen. Ich werde meine Seele und das Erbe meines Kommandanten und Führers, der Legende Ahmad Shah Masud, niemals verraten."

Das Pandschir-Tal ("Tal der fünf Löwen") hat in der Geschichte Afghanistans immer wieder eine entscheidende militärische Rolle gespielt, denn seine geographische Lage schließt es gegen den Rest des Landes fast vollständig ab. Der einzige Zugang führt über einen schmalen Durchgang, den der Pandschir-Fluss geschaffen hat. Der Flaschenhals lässt sich militärisch leicht verteidigen. Die meisten der bis zu 150.000 Einwohner des Tals gehören der Ethnie der Tadschiken an, während der Großteil der Taliban den Paschtunen zugerechnet wird. Das Tal ist außerdem bekannt für seine Smaragde, die in der Vergangenheit für die Finanzierung des Widerstands gegen die jeweiligen Machthaber genutzt wurden. Vor der Machtergreifung der Taliban hatte die gleichnamige Provinz Pandschir mehrfach mehr Autonomie von der Zentralregierung gefordert.

Karte Afghanistan Provinz Pandschir Deutsch
Bild: DW

 

Geschichte des Widerstands

Das Tal bewahrte sich seine Unabhängigkeit sowohl während der Zeit der Besatzung durch die Sowjetunion (1980-1985) als auch unter der ersten Herrschaft der Taliban (1996-2001). Während der Zeit der von der NATO gestützten Regierung (2001-2021) in Kabul gehörte das Tal zu den sichersten Regionen des ganzen Landes.

Die Geschichte der Eigenständigkeit des Pandschir-Tals ist eng verbunden mit dem charismatischen und in ganz Afghanistan bekannten Ahmad Shah Masud, der auch Mentor des ehemaligen Vizepräsident Saleh war. Der 1953 in dem Tal geborene Ahmad Shah gab sich 1979 den Nom de guerre "Masud" ("der Glückliche", "der Begünstigte"). Er ging damals in den Widerstand gegen die kommunistische Regierung in Kabul und die Sowjetunion und wurde schließlich zu einem der einflussreichsten Mudschahidin-Kommandeure des Landes. Eine seiner Losungen, die heute noch auf zahlreichen Plakaten mit seinem Konterfei im Tal prangen, lautete "Abhängigkeit ist Schande".  

Archiv I 20 Jahre Konflikt in Afghanistan
Pandschir-Tal ist von der Außenwelt abgeschnitten. Große Herausforderung für die LogistikerBild: Ahmad Masood/REUTERS

Nordallianz contra Taliban

Nach dem Abzug der Sowjetunion 1989 kam es in Afghanistan zum Bürgerkrieg, den die Taliban schlussendlich für sich entscheiden konnten. Allerdings gelang es Masud mit seiner Vereinten Front (auch: Nordallianz), nicht nur das Pandschir-Tal, sondern fast das gesamte nordöstliche Afghanistan bis an die Grenze zu China und Tadschikistan zu kontrollieren und damit dem Einfluss der Taliban zu entziehen.

Masud vertrat ebenfalls einen konservativen Islam, versuchte aber demokratische Institutionen aufzubauen und vertrat persönlich die Überzeugung, dass Frauen einen gleichberechtigten Platz in der Gesellschaft erhalten müssten. Sein Ziel war ein vereinigtes Afghanistan, in dem die ethnischen und religiösen Grenzen weniger deutlich wären. Allerdings warf die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch Masuds Truppen beim Kampf um Kabul während des Bürgerkriegs massive Menschenrechtsverletzungen vor. 

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(Archiv) Masud (l.) wurde 2001 ermordetBild: AP

2001 wurde Masud ermordet. Die beiden Attentäter gaben sich als Reporter aus und hatten in ihrer Kamera eine Bombe versteckt. Sie handelten vermutlich auf Anweisung des Chefs der Terrorgruppe Al-Kaida, Osama bin Laden, der den Taliban mit der Ermordung Masuds einen Gefallen tun wollte. Die Taliban hatten Al-Kaida in Afghanistan Zuflucht gewährt. Von Afghanistan aus hatte Osama bin Laden die Terroranschläge vom 11. September 2001 auf das World Trade Center in den USA organisiert. 

Neue Keimzelle des Widerstands?

Vor diesem Hintergrund formiert sich in der Region erneut Widerstand. Ahmad Masud, Sohn des legendären Kommandanten Masud, der seinem Vater in Aussehen und Habitus sehr ähnelt, kommandiert im Pandschir-Tal eine Miliz und hat gemeinsam mit dem geflüchteten Vizepräsident Saleh erklärt, sich den Taliban nicht zu beugen. Auf Twitter kursierte eine Foto von einem Treffen der beiden. Saleh und Masud scheinen gemeinsam eine neue Widerstandsbewegung aufbauen zu wollen. Bereits im April 2021, als die USA einen Deal mit den Taliban schlossen, waren die Bewohner des Tals empört und begannen mit der Reaktivierung ihrer Milizen, wie aus einer Reportage der NZZ hervorgeht. 

Osama Bin Laden Pakistan Dschalabad
Terrorchef der Al-Kaida Osama bin LadenBild: picture-alliance/dpa

Ein Einwohner des Pandschir-Tals, der namentlich nicht genannt werden wollte, sagte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP: "Wir werden den Taliban nicht erlauben, Pandschir zu betreten. Wir werden mit all unserer Macht und Kraft gegen sie kämpfen." 

Zukunft des Widerstands ungewiss

Wie stark der Widerstand tatsächlich ist, ist noch völlig unklar, und auch wie die Taliban reagieren werden. Michael Kugelman, Südasienexperte vom Wilson Center in den USA, sagte im Interview mit der DW: "Wenn wir die Taliban bei ihrem Wort nehmen können, dann sollte Pandschir sicher sein, denn der Krieg in Afghanistan ist vorbei. Die Taliban haben zugesagt, keine Gewalt mehr anzuwenden, was nahelegt, dass sie Gebiete, die nicht von den Taliban beherrscht werden, in Ruhe lassen. Aber das werden wir abwarten müssen." 

Kugelman fügt  hinzu: "Sollte sich aber ein organisierter militärischer Widerstand in der Region formieren, halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass die Taliban dagegen vorgehen. Und wenn sie es tun, dann werden sie schnell und leicht siegen."

Rodion Ebbinghausen DW Mitarbeiterfoto
Rodion Ebbighausen Redakteur der Programs for Asia