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LiteraturDeutschland

Wie China den Rückruf eines Kinderbuchs beeinflusste

12. März 2021

Der deutsche Carlsen-Verlag hat auf Drängen des chinesischen Kosulats ein Kinderbuch vom Markt genommen, weil es den Corona-Ausbruch in China verortet.

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Buchcover des Carlsen-Kinderbuches "Ein Corona-Regenbogen für Anna und Moritz"

Wenn der Urprung der Corona-Pandemie öffentlich in China verortet wird, sieht und hört das kommunistische Regime in Peking ganz genau hin: Das musste schon der ehemalige  US-Präsident Trump feststellen, der von einer "chinesischen Seuche" sprach. Das erlebten Spezialisten der Weltgesundheitsorganisation (WHO), als sie kürzlich im chinesischen Wuhan nach Spuren des Coronavirus suchten. Und das zeigte nicht zuletzt der regierungskritische Künstler Ai Weiwei in seinem Film "Coronation", der die Corona-Maßnahmen der Behörden während des Lockdowns in der Millionenstadt dokumentiert.

Prof. Ralph Weber -  Professor für European Global Studies am Europainstitut der Universität Basel
China-Kenner: Der Schweizer Politologe Ralph WeberBild: Universität Basel

"Die Volksrepublik China", sagt der Baseler China-Experte Ralph Weber, "versucht zu steuern, wie wir über China denken und sprechen. Über China soll es nur gute Geschichten geben!" Gut scheint es nicht zu klingen, wenn in dem Corona-Kinderbuch "Ein Corona-Regenbogen für Anna und Moritz" der Grundschüler Moritz sagt: "Das Virus kommt aus China und hat sich von dort aus auf der ganzen Welt ausgebreitet."

Das Kinderbuch von Constanze Steindamm und der Illustratorin Dorothea Tust ist in der Welterklärer-Reihe "Lesemaus" des Hamburger Carlsen-Verlags erschienen. Laut Verlag gebe es "die wichtigsten Tipps für Kita und Grundschule zum richtigen Verhalten in der Corona-Zeit", erzählt als "liebevolle Sachgeschichte".

Gute Geschichten über China

"In dem Buch geht es darum, die weitreichenden Veränderungen des Alltags in der Pandemie und die Hygiene- und Verhaltensmaßnahmen zu erklären, mit denen Kinder wie Erwachsene sich vor einer Infektion schützen können", teilt der Carlsen-Verlag mit. "Dem Verlag war es wichtig, im Frühjahr 2020 möglichst schnell ein Buch anzubieten, das diese Aspekte kindgerecht und auf Fakten basierend vermittelt und Tipps für das Verhalten im Alltag gibt." Wie sich herausstellen sollte, wurde dies in China anders beurteilt.

Eine Frau steht vor einem Graffity zum Thema Corona
Chinesische Behörden wollen verhindern, dass Corona ein schlechtes Licht auf China wirft Bild: Getty Images

Das chinesische Konsulat in Hamburg drohte dem Carlsen-Verlag mit einer Strafanzeige und forderte den Rückruf des Buches, verbunden mit einer öffentlichen Entschuldigung. Der Carlsen-Verlag erfüllte die Forderung: "Die Zuschriften zu diesem Thema haben wir aufgegriffen", schreibt der Verlag auf Anfrage der Deutschen Welle, "und die Auslieferung des Buches gestoppt." Eine neue Auflage sei bereits veranlasst. Doch muss sie ohne den Satz von Moritz auskommen. Der habe zwar "dem seinerzeitigen Stand der Berichterstattung" entsprochen, doch "heute würden wir diese Formulierung, deren Bedeutung sich als weitaus offener erwiesen hat, als wir es beabsichtigt hatten, nicht mehr treffen." Zudem habe der Verlag sich "an seine Leserinnen und Leser gewendet und um Entschuldigung gebeten für den Fall, dass sie sich durch die Formulierung in ihren Gefühlen verletzt fühlen sollten."

Warum interveniert China?

Was geradezu unterwürfig klingt, wirft Fragen auf. Warum interveniert die Weltmacht China ausgerechnet bei einem Kinderbuch, das in relativ kleiner Auflage von wenigen tausend Exemplaren auf den Markt gekommen ist? Wie kann es sein, dass ein großer deutscher Kinderbuchverlag sich dem Druck aus Peking beugt? Dazu gibt sich der Carlsen-Verlag auffällig zugeknöpft, Fragen nach Details bleiben unbeantwortet, ebenso beim Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, das den Carlsen-Verlag bei seinem Corona-Kinderbuch fachlich beraten hat. Dort herrscht Funkstille, man verweist lediglich auf die Pressestelle des Kinderbuchverlags.  

Der Journalist und China-Experte Shi Ming
Der Journalist und China-Experte Shi MingBild: DW

Das Thema sei politisch heikel, bestätigt auch der Journalist und China-Kenner Shi Ming. Er sieht vor allem drei Gründe für Pekings Haltung: "Anfangs sprach die chinesische Propaganda selbst davon, dass die Krankheit zuerst in China ausgebrochen sei. Sie nannte sie 'Wuhan Lungenentzündung'. Aber jetzt will sie das Gedächtnis mit einer weltweiten political-correctness-Kampagne löschen."  Peking fürchte immense Entschädigungsforderungen, so Shi Ming. Ein Imageverlust passe ebenfalls nicht in Chinas geopolitische Strategie.

Wachsender Einfluss Chinas

Wie aber klingen gute Geschichten über China? Von welchem Land erzählen sie? "Zu zeigen, wie effizient China diese Corona-Pandemie bekämpft hat, ist ein schönes Beispiel", sagt der Basler Politologe Weber, der selbst einige Zeit in China gelebt hat. "Aber dazu gehört auch, in China zu erzählen, dass es in Europa nicht so gut läuft. Dass Europa ein Auslaufmodell ist, dass es gescheitert ist, dass Demokratie, wie sie in Europa praktiziert wird, nicht funktioniert." Auf diese Weise rücke sich die Volksrepublik in ein gutes Licht und mache "eine Art Autoritarismus" gesellschaftsfähig.

Videokonferenz der EU-Regierungschefs im Februar 2021 beim Corona-Gipfel
Gelebte Demokratie: EU-Regierungschefs diskutieren im Februar 2021 über Corona-MaßnahmenBild: Olivier Hoslet/AP Photo/picture alliance

Der Fall des Carlsen-Verlags habe ihn gar nicht gewundert, sagt Weber, vielmehr sei das Teil eines Musters. "Schon seit langem nimmt China Einfluss auf das Kulturleben in Europa, das haben wir bisher vielleicht nicht so mitgekriegt." Da würden Tanzgruppen um die Welt geschickt. Chinas Konfuzius-Institute seien aktiv, und eben auch chinesische Behörden wie Konsulate oder Botschaften. "Da wird ganz viel unternommen, damit wir heute viel weniger etwa über Tibet, Tiananmen oder Taiwan sprechen."

Ein großer Verlag wie Carlsen könne sich gegen chinesischen Einfluss zwar wehren. "Doch die Frage ist, welche Konsequenzen das für ihn hätte." Tatsächlich, vermuten Insider, könnte eine regimetreue chinesische Community dem Verlag mit Leserbriefen oder schlechten Bewertungen auf Buchverkaufsportalen das Leben schwer machen. Hier sei der demokratische Staat gefragt, so der Schweizer Politologe: "Alleine wird niemand stark genug sein."