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Bauhaus-Siedlung

30. März 2009

Vor 90 Jahren entwickelte Gropius in Deutschland den Bauhaus-Stil, der die Architektur revolutionierte. Doch was viele nicht wissen: Die größte Ansammlung von Häusern im Bauhaus-Stil befindet sich heute in Tel Aviv.

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Das Dunkelblum-Haus in der Ya’el Street, Tel Aviv, Foto: Rottscheidt/ DW
Die israelische Version des Bauhaus-Stils: Das Dunkelblum-Haus in Tel AvivBild: Ina Rottscheidt

Von Bäumen gesäumt liegen der Rothschild-Boulevard, Allenby und die Dizengoffstraße im Zentrum von Tel Aviv. Hier reihen sich kubistische Würfel in makellosem Weiß aneinander, bei anderen bröckelt der Putz von der Fassade. Daneben Gebäude mit Flachdach und ausladenden Balkonen und runden schwingenden Formen.

Das 1936 gebaute "Thermometer House" entworfen von Yehuda Lulka, Foto: Rottscheidt/ DW
Charakteristische Merkmale sind vertikale LichtleistenBild: Ina Rottscheidt

Die "Weiße Stadt" die erst 1909 gegründet wurde hat die weltgrößte Ansammlung von Gebäuden im Bauhaus-Stil, errichtet von jungen europäischen Architekten. Diese kamen vor allem nach der Machtergreifung der Nazis in Deutschland 1933; innerhalb weniger Jahre verdreifachte sich die Einwohnerzahl Tel Avivs auf 150.000. Für sie musste Platz sparender und vor allem bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden. Der funktionale Bauhausstil, der wegen der vielfältigen Herkunft seiner Vertreter auch "Internationaler Stil" genannt wurde, trug diesen Bedürfnissen Rechnung.


Eine neue Gesellschaft

Unter den Neuankömmlingen befanden sich viele Architekten und Künstler, die in Deutschland mit den Ideen der Bauhausschule in Kontakt gekommen waren. Arieh Sharon, Shmuel Miestechkin, Shlomo Bernstein, Zeev Rechter, Richard Kauffmann, Dov Karmi oder Genia Averbuch hießen die Schüler. Walter Gropius, Erich Mendelsohn, Mies van der Rohe oder Le Corbusier waren die Lehrer.

In Israel traf der neue Architekturstil den Nerv der Zeit, denn unter der jüdischen Bevölkerung von "Eretz Israel" herrschte eine Stimmung des Neubeginns. Man wollte eine neue, egalitäre Gesellschaft gründen und das spiegelte sich auch in der Architektur wider: Keine Schnörkel des Jugendstils mehr, keine Symbole der Repräsentation, sondern erschwinglicher, funktionaler Wohnraum für Jedermann. Kaum irgendwo sonst wurde die Leitidee der Bauhausschule "form follows function" so konsequent umgesetzt, wie in Tel Aviv.



Tel Aviver Bauhaus-Version

Schnell merkte man jedoch, dass klimatische und wirtschaftliche Bedingungen im Nahen Osten anders waren: "Die Menschen kamen aus Deutschland, wo es kalt ist und hier wird es im August sehr heiß", erklärt Shlomit Gross, Mitbegründerin des Bauhaus-Centers in Tel Aviv. Typische Merkmale des dortigen Bauhaus-Stils seien Flachdächer, vertikale Lichtleisten über den Treppenhäusern und riesige Balkone, in deren Balustraden horizontale Schlitze eingezogen wurden, damit die Luft besser zirkulieren konnte.

Gebäude am Dizengoff Platz in Tel Aviv, Foto: Rottscheidt/ DW
Hinter den nüchternen Fassaden mit tief heruntergezogenen Balkons, flachen Sonnendächern und abgerundeten Ecken verbargen sich meist kleine und einfache Wohnungen, die selten über mehr als zwei Zimmer verfügten.Bild: Ina Rottscheidt

Das Gemeinschaftsdach


Das Dach gehörte allen: "Ich kann mich noch erinnern, dass wir uns in meiner Jugend dort oft getroffen und Partys gefeiert haben", erzählt Shlomit lächelnd. Der Gemeinschaftsbesitz als Treffpunkt für alle passte nicht nur zum Wetter in Israel sondern auch zu den sozialistischen Gedanken der neuen Städter, die der Kibbutz-Bewegung ähnlich waren: Viel Licht, Luft und Platz sollten ein besseres Leben ermöglichen. "Der Mensch stand im Mittelpunkt", sagt die Bauhaus-Expertin, "das war das Wichtigste. Später wurde dann wichtiger, dass schnell viele Häuser gebaut wurden, um mehr zu verdienen."

Vergessener Glanz

Darum ist der einstige Glanz der Bauhaus-Idee in Tel Aviv heute verblasst. Die ehemals weißen Fassaden leiden unter Hitze, Feuchtigkeit und Autoabgasen. Balkone wurden zugebaut, um mehr Wohnraum zu schaffen und an den Außenfassaden röhren hässliche Klimaanlagen. Lange hat sich in der Stadt niemand für das architektonisches Erbe interessiert.

Erst in den letzten zwei Jahrzehnten besann man sich; Bürgerinitiativen entstanden und Tel Avivs Stadtherren riefen zur Rettung der herunter gekommenen Häuser auf. Schließlich adelte die UNESCO die "Weiße Stadt als ein einzigartiges Phänomen der Geschichte der Modernen Architektur" und setzte die Häuser 2003 auf die Liste des Weltkulturerbes. Geld gab es dafür allerdings nicht – nur Anerkennung.

Teures Erbe

Darum tragen heute die Besitzer der Wohnungen die finanzielle Hauptlast für Renovierungsmaßnahmen, die umgerechnet rund 250.000 Euro pro Haus kosten können, erklärt Shlomit Gross. Darum verkaufen immer mehr Eigentümergemeinschaften das gemeinsame Dach. Das Geld fließt in die Instandhaltung, der Käufer darf im Gegenzug zwei weitere Stockwerke darauf bauen. Darum wachsen Tel Avivs Bauhäuser heute in die Höhe, und haben nicht mehr, wie ursprünglich, nur drei Stockwerke.

Das 1934 von Zeev Rechter entworfene 'Engel- Haus', Foto: Rottscheidt/ DW
An den Fassaden nagen Hitze, Feuchtigkeit und AutoabgaseBild: Ina Rottscheidt
Renoviertes Gebäude im Bauhausstil am Dizengoff Square, Tel Aviv, Foto: Rottscheidt/ DW
Die Dächer werden verkauft und aufgestocktBild: Ina Rottscheidt

Diese Entwicklung hat auch ihre Schattenseiten. Die Wohnungspreise in diesen weiß leuchtenden, fast idyllischen Straßenzügen kann man heute getrost astronomisch nennen. Tel Aviv wird immer teurer, Familien verlassen die Stadt und immer weniger Menschen könnten sich diesen Wohnraum, der einmal für alle gedacht war, leisten, sagt Shlomit Gross: "Es gibt Leute, die befürchten, dass Tel Aviv eine Tages nur noch eine Stadt der Reichen sein wird."

Autorin: Ina Rottscheidt

Redaktion: Gaby Reucher