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GlobalisierungEuropa

Wie die EU Zwangsarbeit bekämpfen will

Sonya Angelica Diehn
17. September 2022

Menschenrechtsorganisationen warten schon lange darauf, dass die EU Zwangsarbeit effektiver bekämpft. Jetzt hat die Europäische Kommission einen Vorschlag vorgelegt. Doch geht er weit genug? Aktivisten bezweifeln das.

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Ein Mensch hält auf seinen ausgestreckten Händen Diamanten (symbolbild)
Zwangsarbeit ist weltweit anzutreffen, zum Beispiel im Bergbau und MinenBild: Felipe Dana/AP Photo/picture alliance

Vermutlich sind Sie bislang davon ausgegangen, dass Produkte, die Sie in der Europäischen Union gekauft haben, frei von Zwangsarbeit sind. Doch mit dieser Annahme können Sie durchaus daneben liegen. Das will die Europäische Kommission ändern. Nachdem bereits verschiedene Versionen an die Öffentlichkeit gelangt waren, stellte sie nun einen Vorschlag für eine neue Verordnung vor, die den Kauf oder Verkauf von Produkten, die mithilfe von Zwangsarbeit hergestellt wurden, auf dem EU-Markt verbieten soll. Sowohl Arbeitsrechtsorganisationen als auch Unternehmen begrüßten den Vorschlag weitgehend. Kritiker weisen jedoch auf Mängel hin.

Langes Warten

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte bereits in ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union im September 2021 ein solches Verbot in Aussicht gestellt. "Wir können niemals hinnehmen, dass [Menschen] gezwungen werden, Produkte herzustellen - und dass diese Produkte dann in Geschäften hier in Europa landen", sagte sie damals.

Laut einem kürzlich veröffentlichten Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation sind weltweit 27,6 Millionen Menschen von Zwangsarbeit betroffen - 2,7 Millionen mehr als noch vor fünf Jahren. Von Zwangsarbeit spricht man, wenn Menschen durch Gewalt oder Einschüchterung oder auch zur Begleichung von Schulden zur Arbeit gezwungen werden. Weltweit ist Zwangsarbeit in vielen Bereichen üblich, von der Fertigung bis zum Bergbau.

Container-Schiff im Duisburger Hafen
Ein Verbot von Zwangsarbeit würde alle in die EU eingeführten Waren betreffenBild: Rupert Oberhäuser/picture alliance

Ein Jahr nach von der Leyens Ankündigung, stößt der Entwurf jedoch auf wenig Begeisterung. "Von Anfang an scheint man mit diesem Vorschlag nicht sehr viel Ehrgeiz entwickelt zu haben", sagt Christopher Patz, politischer Referent bei der European Coalition for Corporate Justice, einem Zusammenschluss zahlreicher Nichtregierungsorganisationen. Es sei eine Schande, dass es so lange gedauert habe, denn schon seit mehr als zehn Jahren setzten sich Gruppen für einen solchen Vorschlag ein.

Wie kann Zwangsarbeit verhindert werden?

Unter der vorgeschlagenen Verordnung könnte jeder, der Zwangsarbeit vermutet, eine Beschwerde bei der jeweiligen nationalen Behörde einreichen, die für die Überwachung von Importen in diesem EU-Land zuständig ist. Diese Behörde könnte verhindern, dass das Produkt in die EU eingeführt wird oder es sogar vernichten. Die Verordnung soll alle Produkte abdecken und würde auch die Einrichtung einer öffentlichen Datenbank umfassen, die Hinweise darauf gibt, wie wahrscheinlich der Einsatz von Zwangsarbeit in einer bestimmten Region ist.

Organisationen, die sich für die Abschaffung von Zwangsarbeit stark machen, weisen auf verschiedene positive Aspekte der Verordnung hin, wie die offene Datenbank oder dass sich die Verordnung nicht gegen Unternehmen richtet, sondern gegen alle Produkte, bei deren Herstellung Zwangsarbeit beteiligt war. Sie begrüßen außerdem, dass der Vorschlag solche Produkte klar verbietet. "Zum vielleicht ersten Mal ist es eindeutig illegal, Zwangsarbeit einzusetzen und dadurch entstehende Produkte zu verkaufen", sagt Muriel Treibich, vom Brüsseler Büro der NGO "Kampagne für Saubere Kleidung".

Hohe Hürde der Beweislast

Doch Beobachter weisen auch auf Mängel des Vorschlags hin. "Die Kommission schlägt vor, Waren erst dann vom Markt zu nehmen, wenn die Existenz von Zwangsarbeit in der Lieferkette nachgewiesen ist, und nicht schon bei einem Verdacht", sagt die deutsche Europaabgeordnete Anna Cavazzini, die bei den Grünen für das Thema Zwangsarbeit zuständig ist. Im Gegensatz dazu geben die Rechtsvorschriften in den USA Behörden die Möglichkeit, Einfuhren bereits auf Grundlage eines begründeten Verdachts zu verbieten. Zudem müssen Unternehmen nachweisen, dass ihre Produkte frei von Zwangsarbeit sind.

Der Vorschlag der EU weist die Beweislast den europäischen Behörden zu, die, so Kritiker, unterfinanziert sind und die Regelungen nur unvollständig durchsetzen können. "Mir wäre es lieber gewesen, wenn die Beweislast auf Seiten der betroffenen Unternehmen läge, denn für sie ist es einfacher, die notwendigen Informationen innerhalb ihrer Lieferkette zusammenzutragen", erläutert Cavazzini gegenüber der DW.

Die hohen Anforderungen, die der EU-Vorschlag an die Beweisführung stellt, "setzen die Messlatte für die Zivilgesellschaft und die nationalen Durchsetzungsbehörden sehr hoch", kritisiert auch Ben Vanpeperstraete, leitender Rechtsberater des in Brüssel ansässigen Europäischen Zentrums für Verfassungs- und Menschenrechte. Diese hohen Beweisanforderungen machen es in Verbindung mit undurchsichtigen EU-Zollimportdaten "ausgesprochen unwahrscheinlich, dass die Regelungen wirklich durchgesetzt werden", vermutet Vanpeperstraete im Gespräch mit der DW.

Die deutsche EU-Abgeordnete Cavazzini ist da optimistischer. Sie ist überzeugt, dass der Mechanismus trotzdem funktionieren kann und fügt hinzu, dass sie sich bei den anstehenden Verhandlungen im EU-Parlament dafür einsetzen wird, die Beweislast auf die Unternehmen zu verlagern. Auch den Europäischen Rat muss der Vorschlag noch passieren, es könnten also noch ein oder zwei Jahre verstreichen.

Sorge um das Geschäftsergebnis

Solaria, ein spanisches Photovoltaik-Unternehmen, gehört zu den Unternehmen, die sich besorgt über den Vorschlag äußern. "Wir dürfen nicht vergessen, dass Privatunternehmen die gesamte Lieferkette nur begrenzt überprüfen können", erklärte Solaria im Juni gegenüber der Kommission. Sandra de Linos Sanz, Nachhaltigkeitschefin des Unternehmens mit Sitz in Madrid, betont gegenüber der DW, dass Solaria seine Lieferkette überprüfe und keine Produkte aus Zwangsarbeit beziehe. Solaria sei sich bewusst, dass Praktiken vermieden werden müssten, die Menschenrechte verletzen.

Mitarbeiterin bei der Produktion von Solarpaneelen
Metalle der Seltenen Erden werden für Solarpaneele ebenso wie Smartphones benötigtBild: STR/AFP/Getty Images

"Doch wir sind der Meinung, dass das Problem auf globaler Ebene angegangen werden muss", sagt sie und weist darauf hin, dass Daten zufolge 35 Prozent des im Jahr 2021 weltweit eingesetzten Polysiliziums - das zu den zentralen Rohstoffen für Solarpaneele gehört - aus der chinesischen Region Xinjiang stammten. Diese Region steht im Fokus, weil Zehntausende Angehörige der muslimischen Minderheit der Uiguren mutmaßlich in Lagern und Fabriken zur Arbeit gezwungen werden.

Der Solarmarkt boomt und ein Verbot von Rohstoffen aus Zwangsarbeit könnte die Produktionskosten in die Höhe treiben und sich auf die Gewinnspanne von Unternehmen oder auf die Produktpreise auswirken. "Wir sind überzeugt, dass sich ein sehr strenges Verbot negativ auf den Markt auswirken wird", so Linos.

Geschäftsabläufe neu definieren

Doch für Menschenrechtsaktivisten gibt es keine Entschuldigung für den Einsatz von Zwangsarbeit. Rechtsberater Vanpeperstraete weist darauf hin, dass Unternehmen verschiedene Wege offenstehen, mit solchen möglichen Kostensteigerungen umzugehen - zum Beispiel, indem sie ihre Gewinnmargen reduzieren. Lohnkosten machen bei der Fertigung von Kleidung etwa ein Prozent des Einzelhandelspreises aus, während die Kosten für Marketing bis zu 50 Prozent betragen können. Ein Unternehmen könne also die Ressourcenverteilung in der Produktion ändern oder die Preise erhöhen. "Eine Preiserhöhung von einem Prozent für ein T-Shirt scheint mir keine schlechte Idee", kommentiert er.

Christopher Patz, der politische Referent, verweist auf Daten der OECD, die zeigen, dass verantwortungsbewusste Geschäftspraktiken zwar eine Anfangsinvestition erfordern, langfristig jedoch Effizienz und Widerstandsfähigkeit steigern. "Wenn Sie nicht sicher sein können, dass Ihr Geschäftsmodell nicht zu Zwangsarbeit beiträgt, dann sollten Sie nicht im Geschäft sein", sagt er. "Auch die Abschaffung der Sklaverei führte zu einem wirtschaftlichen Schock".