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Neues Oral Art History-Projekt geht online

12. April 2018

Was hat Deutschlands Künstler, Galeristen, Sammler und Kuratoren nach dem Krieg angetrieben? Gut 50 Jahre später haben zwei Kulturjournalistinnen namhafte Zeitzeugen befragt. Ihr "Audioarchiv Kunst" geht jetzt online.

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Klebemarken vom ersten Kunstmarkt 1967
Bild: Franz Fischer

Art-Cologne-Gründer Rudolf Zwirner, der Fotografie-Papst Klaus Honnef, der Galerist Rolf Ricke, die Künstler Konrad Klapheck oder Fluxus-Pionierin Mary Bauermeister - allesamt große Namen der rheinischen Kunstszene. Sie und viele andere Akteure kommen im "Audioarchiv Kunst" zu Wort, erzählen frei von der Leber weg vom Aufbruch der Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg, ergehen sich in Anekdoten und persönlichen Geschichten und fügen so der Kunstgeschichte ein vielstimmiges und sehr menschliches Kapitel hinzu. Die Idee zu dem aufwändigen "Oral Art History"-Projekt hatten Sabine Oelze und Marion Ritter.

Anekdoten von Insidern

Mary Bauermeister
Schöne Geschichten von damals: Die Kölner Künstlerin Mary BauermeisterBild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Für ausführliche, meist mehrstündige Interviews rückten die beiden Journalistinnen ihren Gesprächspartnern mit dem Aufnahmegerät zu Leibe. Dass sie selbst "vom Fach" sind und in der Kunstgeschichte bewandert, kam ihnen zugute. Viele der Befragten plauderten "aus dem Nähkästchen", erinnerten sich an wichtige Begegnungen und historische Ereignisse: Wie etwa der kleine Zirkel um die Galeristen Rudolf Zwirner und Rolf Ricke einen damals neuartigen Kunstmarkt aus der Taufe hob. 1967 war das. Erst kürzlich feierte die Art Cologne ihr 50. Jubiläum. Doch welche Konkurrenz in den Anfangsjahren herrschte, welche Erwartungen mitschwangen, welche Initiativen und Gegeninitiativen es gab, all das fördern erst die Gespräche des "Audioarchivs Kunst" zutage.

Schwarz-weiß-Bild bei der ART COLOGNE 1984 vom Eingangsbereich mit Banner über der Rolltreppe.
Erst seit 1984 firmierte der Kunstmarkt im Rheinland als Art CologneBild: Rheinisches Bildarchiv Köln

Dankenswerterweise, denn die Zeit wird knapp: Viele der Künstler, Galeristen, Kuratoren und Kritiker sind in die Jahre gekommen, manche inzwischen hochbetagt. Die Kölner Künstlerin Mary Bauermeister etwa, die dem Mikrofon verriet: "Alles, was Rang und Namen hat, schlief auf meinen Matratzen - John Cage ebenso wie Christo oder Nam June Paik, der Erfinder der Videokunst." Geld war Mangelware: "Unsere bewusstseinserweiternde Droge war der Hunger", erinnert sich die 83-Jährige. Von ihr wird - neben ihren Kunstwerken - nun auch die Stimme erhalten bleiben.

Sabine Oelze und Marion Ritter wollen insgesamt bis zu 40 Interviews zusammentragen. Die ersten zehn, illustriert mit berührenden Bildern des Kölner Fotografen Albrecht Fuchs, gingen am Donnerstag (12.04.2018) online. Die Stadt Köln und der Landschaftsverband Rheinland fördern das Projekt.

DW: Sabine Oelze und Marion Ritter, Kunst ist überwiegend eine Frage des Sehens. Woher stammt nun die Idee eines Audioarchivs?

Sabine Oelze: Die Idee entstand bei einem Besuch im Atelier des Malers Gotthard Graubner, der quasi ungefragt über diese für ihn wichtigen Jahre in Düsseldorf erzählte. Es tauchten viele Namen auf. Das hat uns neugierig gemacht und auf die Idee gebracht, möglichst viele dieser Personen zu treffen, bevor ihre Sichtweisen verloren gehen.

Sabine Oelze und Marion Ritter
Initiatorinnen des Audioarchivs Kunst: Sabine Oelze (l.) und Marion Ritter (r.)Bild: DW/S. Oelze

Marion Ritter: Unsere Methode basiert auf der Oral History, das ist ein Versuch, Geschichte möglichst lebendig aufzuzeichnen. So hoffen wir, auch die persönliche Erinnerung an eine Zeit, die für das Rheinland revolutionär war, zu bewahren.

Wollten denn die Künstler, Galeristen oder Sammler in die Rolle des sprechenden Zeitzeugen schlüpfen?

Marion Ritter: Die meisten Interviewpartner erinnern sich sehr gerne an diese für sie prägende Zeit. Der Galerist Rudolf Zwirner etwa, der 1967 gemeinsam mit Hein Stünke von der Galerie "Der Spiegel" den Kunstmarkt miterfand, war ganz begeistert von unserer Idee.

Das Rheinland als die Wiege des Kunstmarkts in Deutschland, die Aufbruchsstimmung nach dem Zweiten Weltkrieg - was lernen wir noch aus Ihren Künstlergesprächen?

Schwarz-weiß Foto mit Rudolf Zwirner in der Ausstellung  "bis das Ei hartgekocht ist.
Galerist Rudolf Zwirner 1963 in der Daniel Spoerri-Ausstellung "bis das Ei hartgekocht ist"Bild: Jaschinski und Dreger; ZADIK, A 2, X, 123

Sabine Oelze: Es ist spannend zu erfahren, wie damals mit Kunst umgegangen wurde. Kunst war auch eine Währung in dieser Zeit, Kunstwerke wurden getauscht, viele sind heute von unfassbarem Wert! Eine unserer Lieblingsgeschichten ist, wie Rudolf Zwirner sich von seinem Bruder Geld lieh, um seine Galerie zu eröffnen. Der Deal war so, dass Zwirner seinem Bruder regelmäßig Kunst vorbeibrachte, darunter Zeichnungen von dem US-Amerikaner Cy Twombly. Carl Rosarius war der Kurier, fuhr also mit den Twomblys in seinem kleinen PKW nach Freiburg und es wurde ausgepackt - dann hieß es, was denn das für ein Quatsch sei. Da haben sie Linien wegradiert, einfach so! Die Arbeiten kosteten um die 200 Mark. Und solche Geschichten gab es öfter! Kunst war eben noch viel weniger auratisch als heute: Galerien hatten Werkstattcharakter.

Muss die jüngere Kunstgeschichte jetzt umgeschrieben werden?

Marion Ritter: Ich denke, unsere Aufzeichnungen können die Kunstgeschichte um viele persönliche Perspektiven erweitern. Man erfährt viel über die Zeit und was es damals bedeutete, Kunst zu machen, zu handeln oder auszustellen. Die Leute glaubten an die Relevanz von zeitgenössischer Kunst - gegen alle Widerstände.

Sabine Oelze: Heute ist der Kunstmarkt ja global. Seit der ersten Konkurrenzmesse zur Art Cologne in Basel, der "Art Basel", haben alle großen Städte der Welt Kunstmessen. Keiner kennt mehr keinen. Alle investieren in dieselben Blue Chips, um auf Nummer sicher zu gehen. In den 1960ern war Kunst noch kein Spekulationsobjekt, sondern mit Expertise und Weltverbessertum verbunden.

Das Interview führte Stefan Dege.