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Wie Berlin zu seinen Litfaßsäulen kam

Sarah Hucal/ekl10. Februar 2016

Andere Pariser Passanten sahen nur eine mit Werbung beklebte Toilette: Für Ernst Litfaß war es die Idee der Zukunft. Vor 200 Jahren wurde der Erfinder der Litfaßsäule geboren.

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Deutschland Litfaßsäule im Mauerpark in Berlin
Bild: picture-alliance/dpa/J. Kalaene

In der deutschen Hauptstadt Berlin schlug 1854 die Geburtsstunde der mit Poster beklebten Säule. Benannt ist sie nach ihrem Erfinder, Ernst Litfaß, der in Berlin vor genau 200 Jahren, am 11. Februar 1816 zur Welt kam.

Seitdem ist viel passiert: Berlin erlebte zwei Weltkriege, war Jahrzehnte lang eine geteilte Stadt, dann kam die Wiedervereinigung. Und die Litfaßsäulen blieben: 3100 gibt es noch immer in Berlin.

Toiletten als Inspirationsquelle

Ernst Litfaß war ein erfolgreicher Druckereibesitzer und Verleger, der während der Industriellen Revolution im 19. Jahrhundert zur aufstrebenden Mittelschicht gehörte. Die Idee, auf diese Weise in der Öffentlichkeit Werbung zu verbreiten, kam ihm bei einer Reise nach Paris im Jahre 1843. "Er war völlig überwältigt von der Werbung, die er dort gesehen hatte", sagt Marlies Ebert, Historikerin im Berliner Stadtmuseum. Am meisten beeindruckt hatte Litfaß ein mit Werbung beklebtes, kreisförmiges Pissoir. Wo andere nur eine stinknormale öffentliche Toilette sahen, stand für Litfaß eine Idee für die Zukunft.

"In dieser Zeit war Berlin übersät mit Flugblättern, Zeichnungen und politischen Botschaften. Überall hingen die - an Häusern, Bäumen oder was immer man dafür finden konnte", erklärt die Historikerin im DW-Gespräch. "Es war ein totales Chaos. Litfaß' Erfindung half, der Unordnung Herr zu werden."

Berlin, Berlinale 1967
Diese Litfaßsäule verkündet den Beginn der Berlinale 1967Bild: picture-alliance/dpa

Vierzehn Jahre nach der ersten deutschen Litfaßsäule bekam Paris im Jahre 1868 seine eigenen Werbeklötze. Hier heißen die säulenartigen Werbeflächen allerdings "colonnes Morris". Der Name geht zurück auf den Druckereibetreiber Gabriel Morris, der die deutsche Litfaßsäule in Frankreich einführte.

Berlin: Ordnung statt Chaos

Ernst Litfaß war nicht nur Erfinder, er setzte sich auch für seine Mitmenschen ein, veranstaltete etwa Feierlichkeiten mit Freibier und Feuerwerk für verwundete Soldaten, berichtet Ebert. Doch auch wenn der Druckereibetreiber gerne wilde Partynächte feierte, so hasste er doch Berlins "wilde Werbung". Das ungeordnete Plakatieren in der Stadt empfand Litfaß als Schandfleck.

"Er traf eine Abmachung mit dem Chef der Berliner Polizeibehörde (Heutzutage wäre dafür der Berliner Senat zuständig, Anmerk. d. Red.), der ihm erlaubte, Werbesäulen aufzustellen", berichtet Marc Bieling, Direktor von "Die Draussenwerber", die mittlerweile für die Berliner Litfaßsäulen verantwortlich sind. "Wenn dann zum Beispiel die Oper ein Poster aufhängen wollte, erhielt Litfaß Geld und gab einen Anteil an die Polizeibehörde weiter", weiß Bieling. "Dieses Konzept funktioniert mehr oder weniger bis heute so."

Litfaßsäule vor dem Erfurter Hauptbahnhof
Nicht nur in Berlin: Diese Litfaßsäule steht vor dem Erfurter HauptbahnhofBild: picture-alliance/dpa/Gerig

Eine Litfaßsäule als Stütze im Krieg

Anfangs dienten Litfaßsäulen vorwiegend zur Ankündigung von Kulturveranstaltungen. Ein Kontrolleur überprüfte die Säulen täglich. Im Jahre 1870, als der Deutsch-Französische-Krieg ausbrach, übernahmen Litfaßsäulen eine ganz neue Rolle. Litfaß überzeugte das Berliner Stadtoberhaupt, hier die neuesten Meldungen von der Front auszuhängen. Gerade die Säulen im Zentrum waren ideal, um wichtige Informationen zu verbreiten.

"Die Menschen versammelten sich und konnten die Nachrichten viel schneller lesen, als sie in irgendeiner Zeitung erscheinen konnten", sagt Ebert, "denn die brauchten viel länger, um gedruckt zu werden."

Im 20. Jahrhundert, nach den beiden Weltkriegen, dienten Litfaßsäulen auch der Suche nach vermissten Personen - die Suchanzeigen hingen direkt neben Plakaten für Seife und Waschpulver. Und immer noch ´wurden und werden dort Kulturveranstaltungen angekündigt.

"Als Theater hat man meist ein begrenztes Budget, mit dem man vorsichtig umgehen muss", meint Bieling. Während Werbung in einer freistehenden Glasvitrine etwa 20 - 24 Euro pro Tag kostet, liegt der Preis für ein einen Quadratmeter großes Poster an der Litfaßsäule bei ein bis zwei Euro. Auch das macht Litfaßsäulen zur begehrten Werbefläche. Und anders als auf dem Smartphone lässt sich Werbung auf der Litfaßsäule nicht einfach blockieren.

Leben in der Litfaßsäule

Das Theater an der Parkaue, ein junges Berliner Theater, bewirbt sein neues Stück "Moritz in der Litfaßsäule" momentan genauso. Das Skript basiert auf einer Kindergeschichte von Christa Kozik aus den 1980er Jahren. Der verträumte Moritz hat die Nase voll von seiner strengen Familie und läuft von zu Hause weg. Sein neues Leben beginnt er in einer Litfaßsäule.

"Weil unser eigentlicher Spielort gerade renoviert wird und wir die nächsten zwei Jahre im Prater auftreten", sagt Betty Riecke, die Pressesprecherin der Gruppe, "dachten wir, dass wir so besonders gut unsere neue Location bekannt machen könnten – und das in der ganzen Stadt." Gleichwohl sei auch diese Werbemethode noch kostspielig genug für ein städtisches Jugendtheater.

Deutschland Schauspieler Jonas Lauenstein im Theaterstück Moritz in der Litfaßsäule
Ein Berliner Theater zeigt ein Stück über einen Jungen, der in eine Litfaßsäule einziehtBild: Christian Brachwitz

Die "Komische Oper Berlin" warb im letzten Jahr für ihr Stück "My Square Lady" auch so. "Über die Poster an Litfaßsäulen erreichen wir mal eine andere Zielgruppe als sonst", sagt Charlotte Jaquet vom Marketingteam der Oper. "Nicht jeder liest Zeitung oder liebt die Oper", sagt sie, "aber niemand kommt um Litfaßsäulen herum."