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Christo ohne Jeanne-Claude

8. November 2010

Sie waren ein außergewöhnliches Künstlerehepaar: Christo und Jeanne-Claude. Als sie 2009 starb, blieb er allein zurück. Doch ihre gemeinsamen Projekte laufen weiter. Ein Besuch bei dem Künstler in New York.

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Verhüllungskünstler Christo in New York (Foto: Michael Marek/ DW)
Christo (November 2010)Bild: DW/Marek
Howard Street, New York City: Hier, zwischen den Stadtvierteln Soho, Little Italy und Chinatown residierten Christo und Jeanne-Claude viele Jahre gemeinsam in einem alten Fabrikgebäude, zunächst als Mieter, später als Besitzer des Hauses, das von außen eher unauffällig wirkt. Jetzt lebt Christo hier allein. An der roten Eingangtür des Backsteingebäudes sucht man vergeblich nach einem Namensschild, stattdessen gibt es eine kleine Videokamera.

Die Arbeit geht weiter

Die Künstlerin Jeanne-Claude, Archivfoto vom 15.04.2009 (Foto: Roland Schlager/dpa)
In Gedanken immer bei ihm: Jeanne-ClaudeBild: Picture-alliance/dpa

"Unser Haus ist das Nervenzentrum für unsere Projekte", sagt Christo und lächelt. Auch nach dem Tod seiner Frau sprich er weiterhin von "wir" – stets freundlich, in kariertem Hemd und verschlissener Jeans. "Hier zeichne ich und arbeite weiterhin an den Entwürfen." Was das Büro betrifft, so habe er großes Glück gehabt, erzählt er. Jeanne-Claude sei so intelligent gewesen, drei junge Assistenten zu gewinnen, die ihm jetzt helfen. "Einer ist ihr Neffe, der kümmert sich um die Banken und das Bezahlen von Rechnungen. Der zweite beschäftigt sich mit den Dingen, die mit der Kunst zu tun haben. Und mein Neffe Vladimir macht alles, was an Praktischem anfällt. Zum Beispiel Auto fahren. Ich habe keinen Führerschein, und ich verstehe überhaupt nichts von Computern."

Sie nahm nichts hin, hatte stets ihren eigenen Kopf

Auf mehreren Etagen sind Atelier, Büro und Wohnung untergebracht. Im ersten Stock befindet sich ein Ausstellungs- und Showroom mit Christo-Zeichnungen. Gelassen, gestenreich und einnehmend spricht Christo und erzählt, dass seine Frau ihren Leichnam der Forschung zur Verfügung gestellt hat. "Wir sind überhaupt keine Anhänger irgendeiner Religion. Jeanne-Claude liebte 'Imagine' von John Lennon, vor allem die Textzeile 'Imagine there's no religion too'. Sie hat immer darüber gewitzelt, dass die Sonne der einzige Gott ist, an den sie glaube. Denn ohne die Sonne, würde es kein Leben geben."

Christo sieht ein wenig schmaler aus als noch vor ein paar Monaten, das Haar ist weiß geworden. Jeanne-Claude sei immer bei ihm, sagt er. Sie sei sehr diskussionsfreudig gewesen, mit ihr habe es permanent kritische Auseinandersetzungen gegeben. "Wenn sie etwas nicht wollte, dann kam es überhaupt nicht in Frage, dass es anders gemacht wurde. Und das ist es, was ich wahrscheinlich am Stärksten vermisse."

Der amerikanische Verhüllungskünstler CHRISTO steht am Montag mittag auf einer Plattform vor dem verpackten Reichstagsgebäude in Berlin und lächelt in die Kamera des Fotografen. Der Reichstag war am Sonntag für die Besucher freigegeben und von Christo offiziell zum Kunstwerk erklärt worden. (COLORplus)
Christo vor dem verhüllten Reichstag in Berlin (1995)Bild: picture-alliance/dpa

Das nächste Großprojekt - geplant für 2013

Fast fünfzig Jahre lang haben Christo und Jeanne-Claude Gegenstände und Landschaften in aller Welt verhüllt. Darunter die Pont Neuf in Paris, die 11 Miniinseln vor Miami und der Reichstag in Berlin. Insgesamt realisierten sie 22 Projekte, die sie im Anschluss stets sorgfältig dokumentierten. Sie sammelten Kabel, Stoffe, Dokumente, Fotos und Maßstabsmodelle. Jeanne-Claude habe immer im Blick gehabt, dass sie nicht mehr die Jüngsten seien, so Christo, und dass sie daher einen Ort für diese Sammlungen finden sollten. Genau das hat er jetzt mit dem Verhüllten Reichstag vor, sagt er. "Es gibt annähernd 400 Ausstellungsstücke. Die sollten in Deutschland bleiben, denn es war ja ein deutsches Projekt. Das ist für kommende Generationen eine wichtige Quelle."

2013 will Christo Teile des Arkansas River in Colorado (USA) mit halb transparenten Stoffbahnen überdachen. "Over the River" soll das Projekt heißen. Die Vorbereitungen laufen seit 1992. Jeanne-Claude und er haben auf der Suche nach dem richtigen Gelände unzählige Flüsse und Bundesstaaten bereist, erzählt Christo. Ein 1.460 Seiten umpassendes Exposé liegt den zuständigen US-Behörden vor. Ausgearbeitet bis zur letzten Verankerungsschraube lässt sich darin nachlesen, wie das Projekt realisiert werden soll. Im Mai 2011 werden die Regierungsstellen über die Genehmigung entscheiden. "Für gewöhnliche Künstler ist es vermutlich der Horror, sich mit Behörden herumschlagen zu müssen, um für das eigene Kunstwerk eine Genehmigung zu erhalten. Aber für uns ist das kein Horror, sondern hat eine poetische Dimension. Das Leben als Künstler besteht aus Risiken."

Nicht jedem gefällt's...

Christo und Jeanne-Claude 2008 in einer Galerie in Denver (Foto: AP Photo/Ed Andrieski)
Unterwegs für das Projekt "Over the River" (2008)Bild: AP

Die Projekte von Christo und Jeanne-Claude polarisieren. Für die einen sind sie Scharlatane, für ihre Fans gehören sie zu den bedeutendsten Gegewartskünstlern unserer Zeit. Unberührt von ihren Kunstaktionen aber bleibt wohl niemand – vielleicht mit Ausnahme des eigenen Sohnes, der an keinem der elterlichen Projekte beteiligt war: "Unser Sohn geht seine eigenen Wege. Er ist ein unromantischer Aktivist, kämpft für Menschenrechte, ist Tierschützer. Wissen Sie, er will die Welt retten. Er hat seine Vorstellungen vom Leben, wir haben die unsrigen. Aber zum Glück ist er kein Banker geworden!"

Autor: Michael Marek
Redaktion: Petra Lambeck