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Wie geht's weiter in Nordirland?

Grahame Lucas29. November 2003

Nach der nordirischen Parlamentswahl vom 26.11.2003 deutet alles auf einen Sieg für die Radikalen in beiden religiösen Lagern. Welche Folgen hat ein solcher Wahlausgang für Nordirland?

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Die Regionalwahlen sind ohne Zweifel ein wichtiges Stimmungsbarometer für den Friedensprozess in der Unruheprovinz. Mehr als 1,1 Millionen Wähler waren aufgerufen, das Regionalparlament zu wählen und damit die Übertragung der Regierungsgewalt von London nach Belfast wieder zu ermöglichen. Im Vorfeld der bereits zwei Mal verschobenen Wahlen setzten die Regierungen in London und Dublin auf die gemäßigten Kräfte bei der protestantischen Mehrheit und der katholischen Minderheit. Doch die Wähler entschieden anders.

Die kleineren radikalen Parteien Nordirlands haben die größten Zuwächse erzielt und gehen daher als deutliche Sieger aus den Wahlen hervor. Bei den Protestanten hat Ian Paisley, der selbsternannte Priester und politische Demagoge, mit seiner Democratic Unionist Party (DUP) das Rennen gemacht und führt nun die stärkste Partei im neuen Regionalparlament an. Paisley steht für absolute Kompromisslosigkeit gegenüber den nach Unabhängigkeit strebenden Katholiken und lehnt das Karfreitags-Abkommen aus dem Jahre 1998 ab. Mit einem erstarkten Paisley im Regionalparlament haben die Wähler den Bock zum Gärtner gemacht. Sinn Feín, der politische Flügel der Terror-Organisation IRA, hat die moderate Social Democratic and Labour Party (SDLP) überholt und ist nun die stärkste Kraft im katholischen Lager.

Rückenwind für Radikale

Für die gemäßigten Kräfte auf beiden Seiten der religiösen Trennlinie ist die Niederlage besonders bitter. Bei den Protestanten wurde der Friedensnobelpreisträger David Trimble und seine Ulster Unionist Party deutlich geschwächt. Trimble, der von Paisley als Verräter beschimpft wird, zahlt jetzt dafür den Preis, dass die IRA in der Frage der Entwaffnung zu keinen Kompromissen bereit ist. Er hätte ein Zeichen für seine Stammwähler gebraucht, dass die IRA den Friedensprozess mitträgt. Das Scheitern der Gespräche mit der IRA kurz vor den Wahlen hat protestantische Wähler regelrecht in die Arme von Paisley getrieben. Die gemäßigten Katholiken der SDLP haben viele Jahre Gespräche mit der radikaleren Sinn Feín geführt, bis diese überhaupt bereit war, sich am Friedensprozess zu beteiligen. Nun verliert ausgerechnet die SDLP dramatisch an Bedeutung und Einfluss.

Vor diesem Hintergrund muss man die Frage stellen, ob es ein Fehler war, die Wahlen abzuhalten, bevor das Problem der Entwaffnung der IRA gelöst wurde. Denn nichts hat die Vertrauensbildung auf protestantischer Seite mehr gestört, als die unnachgiebige Haltung der Untergrundorganisation IRA. Der Schluss liegt nämlich nahe, dass die IRA weiterhin nur aus taktischen Gründen auf Gewalt verzichtet. Für die IRA kommt wohl eine Entwaffnung nicht in Frage, bis auch Extremisten auf protestantischer Seite endgültig auf Gewalt verzichten. Beide Seiten fordern, die andere Seite müsste den nächsten Schritt tun. Solange diese Frage ungeklärt ist, kann und wird kein Vertrauen in Nordirland entstehen.

Blockade der Selbstverwaltung?

Zwar wollen alle Nordiren auf jeden Fall verhindern, dass die Provinz weiter direkt aus London verwaltet wird, wie seit über einem Jahr. Nun aber droht ihnen eine Blockade des neuen Parlaments durch die radikalen Kräfte. Ein Gewinn ist das nicht, denn der demokratische Prozess wird so zwangsläufig missbraucht und diskreditiert.

Für den britischen Premier Blair ist der Ausgang der Wahlen ebenfalls eine große Niederlage. Er hat die Initiative seines Vorgängers John Major seinerzeit aufgegriffen und mit dem Karfreitags-Abkommen eine Basis für eine friedliche Lösung unter den gemäßigten Kräften geschaffen. Nun steht er vor einem Scherbenhaufen, weil der grundsätzliche Dissens zwischen den Radikalen auf beiden Seiten bleibt. Sinn Feín will auf lange Sicht die Wiedervereinigung Nordirlands mit der irischen Republik im Süden der Insel. Der harte Kern der Protestanten will dagegen, dass die Provinz Teil Großbritanniens bleibt. Kompromisse wären also nur mit einem überwältigenden Sieg der gemäßigten Kräfte möglich gewesen. Eine Lösung des Konfliktes in Nordirland ist nach dieser Wahl in weite Ferne gerückt.