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Politik

Wie generationengerecht ist die Bundestagswahl?

Sandro Schroeder
6. September 2017

Vor der Bundestagswahl steht fest: Jungwähler haben schlechte Karten, entscheidend sind die Stimmen der Älteren. Wie generationengerecht ist die Bundestagswahl?

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Deutschland Wahl-O-Mat
Zwei Jungwähler vor einem Bildschirm des Wahl-O-Mat - haben sie wirklich die Wahl?Bild: picture-alliance/dpa/P. Kneffel

In Deutschland "regieren" die Älteren. Eine Art Mini-Opposition sind die Jungwähler bis 30 Jahre - sie sind beinahe chancenlos, ihren Willen, durchzusetzen. Denn so groß, so bequem ist die Mehrheit aus den Generationen ihrer Eltern und Großeltern. Das geht aus den jüngsten Daten des Bundeswahlleiters hervor. Demnach haben ältere Wähler einen zahlenmäßigen Vorteil an der Wahlurne: Die Wahlberechtigten ab 60 Jahren haben einen Anteil von über 36 Prozent, die unter 30-Jährigen von gut 15 Prozent.

Vorboten einer Rentnerdemokratie?

Und dieser Vorsprung wird durch den demografischen Wandel weiter zunehmen. Bei der letzten Bundestagswahl war erstmals mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten über 50 Jahre alt. Eindeutig erkennbar wird der Trend im Vergleich zu der Bundestagswahl 1980, als die jüngsten und ältesten Wahlberechtigten sich noch ansatzweise die Waage hielten: Damals waren 26,8 Prozent der Wahlberechtigten über 60 und 22,3 Prozent unter 30 - beide Gruppen hatten also ein ähnliches Gewicht. Die Verschiebung seitdem deutet an: Mit den jungen Stimmen allein ist längst keine Bundestagswahl zu gewinnen - mit den älteren Wählern hingegen schon eher. Erst recht in der nahen Zukunft. Dazu kommt: Seit 2005 ist die Wahlbeteiligung bei Menschen über 70 sogar auf ein überdurchschnittliches Niveau gestiegen.

Deshalb zeigte sich Ex-Bundespräsident Roman Herzog besorgt, als 2008 eine außerplanmäßige Rentenerhöhung beschlossen wurde: "Ich fürchte, wir sehen gerade die Vorboten einer Rentnerdemokratie: Die Älteren werden immer mehr, und alle Parteien nehmen überproportional Rücksicht auf sie", sagte Herzog der "Bild"-Zeitung damals und erntete für diesen Satz viel Kritik.

Infografik Wahlberechtigte Bundestagswahl DEU
Den größten Anteil der Wahlberechtigten bei der Bundestagswahl 2017 stellt die Altersgruppe ab 70 Jahre

Wolfgang Gründinger teilt die Sorge von Herzog. Er ist Autor der Bücher "Alte Säcke Republik" und "Aufstand der Jungen". Er engagiert sich außerdem im Vorstand der Stiftung Generationengerechtigkeit. "Jeder dritte Wähler ist über 60 Jahre alt, die Hälfte der SPD- und CDU-Mitglieder ist über 60 Jahre alt. Und natürlich wird in einer Demokratie Politik für die stärksten Wählergruppen gemacht." Und das seien heute die Alten. "Das erkennt man auch an den Themen im Wahlkampf, wo die Themen der Jungen - zum Beispiel Bildung, Digitalisierung - ja gar nicht mehr vorkommen", sagt der 33-Jährige.

Ältere Wähler wählen zukunftsorientierter als junge

Stimmt die alternde Gesellschaft in Deutschland an der Wahlurne gegen die Interessen die Jugend? Eine gemeinsame Studie des Rheingold-Instituts und der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2014 widerspricht jedenfalls der häufig vertretenen Meinung, dass die ältere Generation eher gegenwarts- als zukunftsorientiert wählen würde. Im Gegenteil: Laut der Studie handeln und wählen Ältere sogar im Schnitt zukunftsorientierter als Jüngere, obwohl letztere mehr Lebensjahre vor sich haben. 

"Wir haben festgestellt, dass es inbesondere Menschen, die eine sehr starke Verankerung in einem politischen Weltbild haben, leichter fällt, tatsächlich langfristig orientierte Entscheidungen zu treffen", sagt Christina Tillmann, eine der Autorinnen der Studie. Dagegen hätten die 19- bis 32-Jährigen - die "Generation Wahl-O-Mat" - eher eine Art "Supermarkt- oder Shopping-Mentalität", wenn sie wählen gehen. Das heißt: Sie entscheiden eher aus ihrer eigenen Lebenslage heraus jedes Mal neu über Einzelaspekte, "weil ihnen der stabile Orientierungsrahmen, den die älteren Generationen haben, eben fehlt", sagt Tillmann.

Wahlrecht ab 16 Jahren?

Dass die Jungwähler statistisch einen immer kleineren Anteil am Wahlausgang haben, liegt aber nicht allein an der Demografie - sondern auch an den Jungwählern selbst. Seit 1953 bleibt die jüngste Altersgruppe bei der Wahlbeteiligung hinter den älteren Wähler zurück. Sogar unter den Erstwählern, die also bis zur Volljährigkeit warten mussten, um endlich das politischen Geschehen mitzubestimmen, ist der Drang die Stimme abzugeben vergleichsweise gering: Von ihnen bleibt ein höherer Anteil am Wahlsonntag zu Hause als im Durchschnitt aller Altersgruppen.

Die SPD, die Grünen und die Linken in ihren Wahlprogrammen sprechen sich dafür aus, das bundesweite Wahlalter auf 16 Jahre abzusenken. Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter sagte im Vorfeld einer Diskussionsveranstaltung mit Jungwählern: "Wir sind der Meinung, dass das Wahlrecht generell auf 16 Jahre abgesenkt werden sollte. Jugendliche können auch zum Teil vor 16 viele Entscheidungen für sich selbst treffen; sie sind ab 14 Jahren keine Kinder mehr, sondern strafmündig. Und da viele Entscheidungen, die jetzt getroffen werden, sie sehr, sehr lange betreffen werden, sind wir der Meinung: Ab 16 kann, wer will, mitwählen." 

Wolfgang Gründinger von der Stiftung Generationengerechtigkeit würde noch einen Schritt weitergehen. Er fordert ein Kinder- und Jugendwahlrecht: "Jeder junge Mensch sollte dann wählen dürfen, sobald er das möchte. Das werden die meisten erst mit 12 oder 13 wahrnehmen. Aber prinzipiell ohne Altersgrenze nach unten, es gibt ja auch keine Altersgrenze nach oben."

Gegen die demografische Unwucht komme man nicht an, sagt der langjährige Jugendforscher Klaus Hurrelmann - selber Jahrgang 1944. Neben der Absenkung des Wahlalters hat er eine andere Idee, um die Wahl generationengerechter zu gestalten: "Dass man an die Verantwortung der älteren Menschen appelliert. Manche wissen das ja gar nicht, dass sie diese überwältigende Übermacht haben."