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Wie geht es der türkischen Wirtschaft?

Daniel Heinrich
19. Juni 2017

Trotz politischer Krise stellt die staatliche Statistikbehörde der türkischen Wirtschaft ein gutes Zeugnis aus. Der Vertreter der deutschen Wirtschaft in Istanbul frohlockt, Experten bleiben aber skeptisch.

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Türkei Istanbul
Bild: DW/S. Huseinovic

Fünf Prozent hat die türkische Wirtschaft im ersten Quartal des Jahres zugelegt. Das hat die staatliche Statistikbehörde Turkstat im Juni verkündet. Die türkische Wirtschaft im Aufwind? Gareth Jenkins hat daran so seine Zweifel. Der Türkeiexperte vom Institute for Security and Development Policy in Istanbul lebt seit Ende der Achtziger Jahre in der Türkei. Er hat schon viele politische und wirtschaftliche Hochs und Tiefs miterlebt.

"Im vergangenen Dezember hat das Türkische Statistikinstitut ganz plötzlich die Art und Weise geändert, wie es Wirtschaftsdaten bemisst. Mit einem Mal ging es der türkischen Wirtschaft viel besser als alle Analysten und Experten geglaubt hatten. Wir verstehen immer noch nicht wie Turkstat diese neuen Statistiken errechnen lässt."

In einer schick hergerichteten Altbauvilla am Bosporus hat die deutsche Außenhandelskammer (AHK) ihren Sitz. Weißer Anstrich großer Garten, Bosporusblick. Geschäftsführer Jan Nöther kann sich nicht beschweren. Vielleicht liegt es an seinem Arbeitsplatz. Nöther sieht die wirtschaftliche Situation des Landes gegenüber der DW rundum positiv.

 "Der mit dem positiven ersten Quartal erzeugte Stimmungswandel ist begrüßenswert. Das Wirtschaftswachstum des ersten Quartals 2017 wird insbesondere von einer deutlichen Erhöhung der Exporte, staatlich gestützter Infrastruktur- und anderen Projekten und dem Binnenkonsum getragen."

Jan Nöther, AHK Istanbul
AHK-Chef Jan Nöther sieht gute Chancen für weiteres Wachstum in der TürkeiBild: AHK

Wie unterschiedlich doch Statistiken ausgewertet werden können. Auch Gareth Jenkins sieht zwar einen Anstieg beim Konsum. Für den Entwicklungsexperten ist dieser Trend allerdings ein Strohfeuer.

"Die Regierung hat eine ganze Reihe von kurzfristigen Maßnahmen ergriffen. Zum Beispiel hat sie Garantien für Bankkredite ausgestellt. Das unterstützt natürlich einen kurzfristigen Konsumschub. Andererseits werden diese kurzfristigen Maßnahmen mittelfristig einen sehr negativen Effekt haben. Beispielsweise dann, wenn die Leute ihren Kredit nicht zurückzahlen können."

Auslandsinvestitionen entscheidend für türkische Wirtschaft

Gerade der letzte Punkt treibt auch Ege Yazgan die Sorgenfalten ins Gesicht. Der grau melierte Mitfünfziger lehrt Wirtschaftswissenschaften an der Bilgi Universität, einer der bekanntesten Privatuniversitäten der Türkei:

"Es gibt eine unglaublich niedrige Sparquote in der Türkei, daneben noch riesige Investitionslücken." Am meisten aber sorge er sich um das schlechte Image des Landes, gerade in Europa. Der Kontinent sei "der wichtigste Exportmarkt für türkische Produkte und hat als Finanzmarktplatz eine herausgehobene Bedeutung für die Türkei. Denn die Türkei ist dringend auf ausländische Direktinvestitionen angewiesen."

Symbolbild erste Verhandlungen gegen Putschisten in der Türkei
Wie stabil ist die Wirtschaft, wie nachhaltig ist das Wachstum in der Türkei seit dem Putsch? Bild: picture-alliance/abaca

Genau diese bleiben seit dem vergangenen Jahr aus. Durch den Putschversuch im vergangenen Sommer, den massenhaften Verhaftungen von Journalisten, Oppositionellen, mutmaßlichen Putschisten erscheint vielen ausländischen Firmen die politische Situation zu volatil.

"Die wenigsten ausländischen Investoren scheren sich um Demokratie und Menschenrechte. Aber sie machen sich sehr wohl Gedanken um wirtschaftliche Stabilität und Rechtsstaatlichkeit. Vor allem auch, weil sie sicher gehen wollen, dass ihr Geld sicher ist. Die guten Jahre sind vorbei und sie werden auf lange Sicht nicht zurückkommen", meint Experte Gareth Jenkins.

Unsicher wohin die Reise geht

Nicht alle sehen das so. Bei der AHK in Istanbul kommt Jan Nöther zu einem ganz anderen Schluss. Gerade bezogen auf die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei sieht er keine negativen Folgen wegen der instabilen politischen Situation: "Seit vielen Jahrzehnten besteht zwischen der deutschen und der türkischen Wirtschaft eine enge Verbundenheit. Der politische Diskurs spielt hierbei eine lediglich untergeordnete Rolle." Die deutsche Wirtschaft, so Nöther weiter, blicke dementsprechend "optimistisch in die Zukunft und geht davon aus, dass sich dieser positive Trend im Laufe des Jahres stabilisieren wird." 

Wohin die Reise für die türkische Wirtschaft geht, darüber sind sich unterdessen nicht nur Jenkins und Nöther uneins. Während die Weltbank ihre Prognose für das Wirtschaftswachstum gerade nach oben korrigiert hat, stellt Moodys dem Land ein Katastrophen-Zeugnis aus. Die Ratingagentur listet die Kreditwürdigkeit der Türkei schon seit Monaten auf Ramschniveaulevel.