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Das Unmögliche möglich machen

Melanie Last
9. Mai 2019

Erst die geglaubten Verlierer, dann die unerwarteten Sieger: Tottenham Hotspur schießt sich in letzter Sekunde ins Finale der Champions League. Kein Wunder, sondern ein ganz klarer Fall - aus sportpsychologischer Sicht.

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UEFA Champions League | Ajax Amsterdam vs. Tottenham Hotspur | 2:2
Bild: picture-alliance/dpa/AP Photo/M. Meissner

Das Schönste kommt doch immer zum Schluss, werden sich die Tottenham-Anhänger sagen. Und Recht haben sie. In ihrem Fall kam das Schönste in Form eines Last-Minute-Tors von Matchwinner Lucas Moura. Der hielt einfach drauf und traf zum 3:2 gegen die favorisierte Mannschaft von Ajax Amsterdam.

Erst der 0:2-Rückstand zur Halbzeitpause, dann der Einzug ins Champions-League Finale. Tottenhams Trainer Mauricio Pochettino hatte offenbar die richtigen Worte in der Kabine gefunden. Und die könnten sich etwa so angehört haben, sagt Jens Kleinert von der Deutschen Sporthochschule Köln: "Egal, wo wir jetzt hier stehen, wir müssen uns am Ende sagen: Wir haben alles versucht, was wir versuchen konnten." Professor Kleinert leitet das Psychologische Institut der Sporthochschule und beschäftigt sich unter anderem mit der Erforschung von Motivation. "Es geht gar nicht so sehr um das Ergebnis, sondern darum: Leute, wie wollt ihr spielen, was wollt ihr euch beweisen, unabhängig davon, ob wir es  schaffen oder nicht? Es ist völlig egal, was dabei rauskommt, sondern erstmal ist wichtig, wie wir für uns selbst stehen, wie wir vor den Zuschauern stehen und was wir uns beweisen."

Emotionaler Impuls entscheidet

Der Trainer ist eine zentrale Schlüsselfigur für den Sieg: Klar, er entscheidet über die Taktik oder die Aufstellung der Mannschaft. Seine Art, das Team auch emotional zu erreichen, sei aber entscheidend, so Kleinert. Das mache mindestens zehn Prozent des Erfolgs aus und erkläre, warum manchen Mannschaften wie eben Tottenham oder Liverpool ein Comeback gelinge und anderen nicht.

UEFA Champions League | Ajax Amsterdam vs. Tottenham Hotspur
Hat seine Mannschaft emotional richtig gepusht: Tottenhams Trainer Mauricio PochettinoBild: Reuters/D. Martinez

Sind die empathischen Fähigkeiten des Trainers also die beste Erklärung für den unverhofften Erfolg? Vielleicht. Laut Kleinert sind vor allem die Trainer erfolgreich, die die Gedanken und vor allem die Stimmung im Team positiv beeinflussen können. Vertrauen geben, daran erinnern, was die Mannschaft schon alles geschafft hat und wie sie ein Spiel noch drehen kann. Ein Halbfinale auch dann noch nicht verloren geben, wenn man bereits mit drei Toren hinten liegt - genau diesen emotionalen Impuls kann ein Trainer in einer Ansprache an sein Team geben. Jürgen Klopp wird in der britischen Presse für seine Rede an die Mannschaft vor dem Rückspiel gegen den FC Barcelona gefeiert. Liverpools Dejan Lovren verriet im eigenen Klub-Fernsehen, welche Worten Klopp kurz vor dem Anpfiff ans Team richtete: "Er sagte: 'Männer, glaubt daran! Wir müssen ein bis zwei Tore schießen. Selbst wenn wir sie nicht nach 15 oder 20 Minuten schießen - glaubt daran, dass wir sie in der 65., 66. oder 67. Minute schießen können, und dann wird Anfield hinter uns stehen. Vertraut mir, wir können es packen! Wir haben es einst gegen Dortmund geschafft, und wir können es auch heute schaffen.'" 

Lovren saß an diesem Abend auf der Ersatzbank, aber er machte klar, wie sehr die Worte Klopps das Team bewegt hätten: "Es war brillant, er hat uns so gepusht. Es war etwas, das wir noch nie zuvor gehört hatten." Und es verfehlte seine Wirkung nicht. Liverpool stellte mit Lionel Messi den besten Fußballer der Welt kalt, schoss die nötigen vier Tore -  und schaffte so ein kleines Fußballwunder.

Tottenhams Siegeswille, Ajax´s Angst

Nur 24 Stunden später war in Amsterdam Ähnliches zu beobachten. Tottenham Hotspur schaltete nach dem 0:1 im Hinspiel und dem 0:2-Pausenstand plötzlich drei Gänge höher. Die Briten nagelten die bis dahin dominierenden Amsterdamer in der eigenen Hälfte fest. Hier liege ein entscheidendes Moment, sagt Professor Jens Kleinert von der Sporthochschule Köln. Denn: "Die abwehrende Mannschaft hat eher Angst, etwas zu verlieren, während die angreifende Mannschaft die Hoffnung auf Erfolg hat. Die Furcht vor Misserfolg - das ist ein defensiver, negativer Denkmodus. Und der führt dazu, dass sich diese Mannschaften immer weiter zurückziehen und Angst haben, Fehler zu machen. Genau diese emotionale Haltung einer Mannschaft führt dann dazu, dass kleinere Fehler passieren. Das spielt der angreifenden Mannschaft in die Karten.“

Tottenhams Mittelfeldspieler Lucas Moura wendete mit seinen Treffern in der 55. und 59. Minute sowie dem Siegtor in der Nachspielzeit (90.+6.) das Blatt. Ein Comeback, an das die englischen Spieler geglaubt haben müssen, während die Niederländer ihren Vorsprung über die Zeit retten wollten und so den Finaleinzug um wenige Sekunden verpassten.

Trauerarbeit für die Zukunft

Eine bittere Niederlage für Ajax, die verdaut und auch betrauert werden muss. Auch das ist ein Stück weit psychologische Arbeit, die es braucht, um beim nächsten Spiel der Matchwinner zu sein. Die Trauerarbeit bei Ajax dürfe ruhig zwei, drei Tage dauern, so Kleinert. Danach müssten Spieler und Trainer das Halbfinale knallhart analysieren: Woran lag es, dass wir den Sieg aus der Hand gegeben haben, und wie machen wir es beim nächsten Mal besser? Ein nächstes Mal gibt es zunächst gegen den FC Utrecht in der Eredivisie, der niederländischen Fußball-Liga. Ein nächstes Mal in der Champions League mit der Chance auf das Finale - ungewiss. Tottenham darf unterdessen feiern und sich Selbstvertrauen für das Finale gegen den FC Liverpool holen. Dort wartet ein anderer großer Motivator und Impulsgeber: Jürgen Klopp.