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Politik

Wie sich Russland und die Türkei annähern

Mikhail Bushuev
9. Oktober 2016

Wladimir Putin reist erstmals nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets durch das türkische Militär nach Ankara. Was waren die wichtigsten Etappen in der jüngeren Geschichte der russisch-türkischen Beziehungen?

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Symbolbild Russland Türkei Flaggen
Bild: picture-alliance/dpa/A. Nikolsky

Am Montag (10.10.) reist der russische Präsident Wladimir Putin zu einem Besuch in die Türkei. Noch bis vor kurzem war eine solche Reise unvorstellbar. Zwischen November letzten und Juni dieses Jahres herrschte zwischen Ankara und Moskau kalter Krieg. Dabei hatten die Türkei und das postsowjetische Russland über viele Jahre erfolgreich ihre Beziehung aufgebaut. Ein Rückblick über die vergangenen 25 Jahre.

1. Das Ende der Sowjetunion und die Kleinhändler

Die Annäherung des postsowjetischen Russland mit der Türkei verlief schnell. Billige Kleidung aus der Türkei eroberte dank vieler Kleinhändler die russischen Märkte. Die Nachfrage nach westlich aussehender Mode war in Russland groß. Außerdem nahmen türkische Unternehmen schnell eine Nische im russischen Bauwesen ein. Auch das Abkommen über Gaslieferungen durch die Blue Stream-Pipeline aus dem Jahr 1997 war ein starker Impuls.

2. Die Blütezeit der Freundschaft und Zusammenarbeit

Auf höchster politischer Ebene intensivierten sich die Beziehungen aber erst später - mit der Machtübernahme in Russland durch Wladimir Putin im Jahr 2000 und Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei im Jahr 2003. Das Verhältnis der beiden Politiker war über viele Jahre eng und freundschaftlich. Die Boulevard-Presse sprach von einer "Männerfreundschaft", kritische Zeitungen von einer "Freundschaft zwischen zwei Autokraten". In dieser Zeit wuchs der Handelsumsatz zwischen beiden Ländern, einschließlich der Gaslieferungen, um ein Vielfaches. Im Jahr 2014 waren beide Länder für einander sehr wichtige Außenhandelspartner.

Russland
Recep Tayyip Erdogan und Wladimir Putin im August 2016 in St. PetersburgBild: picture-alliance/dpa/A. Nikolsky

3. Die Krim als Bewährungsprobe und die Turkish Stream-Pipeline

Doch das Jahr 2014 wurde zu einer Bewährungsprobe. Nach außen reagierte die Türkei gelassen auf die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland, obwohl sich die Türken über die auf der Krim lebenden, mit ihnen verwandten Tataren Sorgen machen. Doch offenbar wurde diese Bewährungsprobe erfolgreich bestanden. Der beste Beweis dafür ist die Erklärung vom 1. Dezember 2014: Darin verkünden Moskau und Ankara den Bau einer neuen Gaspipeline Turkish Stream von Russland durch das Schwarze Meer in die Türkei. Turkish Stream soll das erfolglose Pipelineprojekt South Stream ersetzen.

4. Anerkennung des Völkermords an den Armeniern und der Su-24-Kampfjet

Die Verhandlungen über den Bau der Turkish Stream-Pipeline verzögerten sich jedoch. Die Spannungen, darunter wegen des Konflikts zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Enklave Berg-Karabach, nahmen zu. Für Ankara war es ein Schlag, dass der russische Präsident offiziell von Völkermord an den Armeniern durch die Türken während des Ersten Weltkriegs sprach. Erdoğan erinnerte daraufhin Moskau an die Krim und die Zwangsumsiedlung ganzer Völker in der Stalin-Zeit.

Doch am unangenehmsten für Erdoğan ist Russlands Einmischung in den Bürgerkrieg in Syrien. Ankara verfolgt dort seit Jahren erfolglos völlig andere Ziele als Moskau. Die Türkei will den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad stürzen. Ihn aber unterstützt Russland.

Am 24. November 2015 kam es zu einem Zwischenfall, der die türkisch-russischen Beziehungen extrem zuspitzte. Das türkische Militär schoss einen russischen Su-24-Kampfjet ab. Verschiedenen Quellen zufolge war der Jet entweder im Grenzgebiet zwischen Syrien und der Türkei unterwegs, oder - wie Ankara erklärte - bereits über türkischem Territorium. Moskaus Antwort waren umfassende Sanktionen: das Verbot zur Einfuhr türkischer Agrarprodukte, die Visumpflicht für Türken, das Einfrieren der meisten gemeinsamen Wirtschaftsprojekte, das Ende gemeinsamer Kulturinitiativen und die Abreise russischer Studenten aus der Türkei. Doch am härtesten traf beide Seiten das von Russland verhängte Verbot von Pauschalreisen in die Türkei.

5. Entschuldigung und erneute Annäherung

Im Juni 2016 schrieb Erdoğan Putin einen Brief, in dem er sich für den Abschuss des Kampfjets entschuldigte. Der türkische Präsident betonte, er betrachte Russland nach wie vor als "Freund" und "strategischen Partner". Er wolle die bilateralen Beziehungen wieder verbessern. Putin hob daraufhin das Verbot für den Verkauf von Pauschalreisen in die Türkei auf. Auch andere Sanktionen sollten nach und nach entfallen.

Ein Treffen zwischen Erdoğan und Putin im August dieses Jahres in St. Petersburg zeigte allerdings, dass die Parteien zu einer Annäherung bereit sind, aber nicht von ihren außenpolitischen Positionen abrücken wollen: Das Thema Syrien wurde bei den Gesprächen einfach ausgeklammert. Die Seiten vereinbarten, die Verhandlungen über den Bau der Turkish Stream-Pipeline und des Atomkraftwerks russischer Bauart in Akkuyu fortzusetzen sowie eine Freihandelszone zu schaffen. Aber von einer Zusammenarbeit zwischen der Türkei und Russland auf früherem Niveau kann auch heute noch keine Rede sein.