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Brennende Autos in Berlin

18. August 2011

Die nächtlichen Brandanschläge auf Autos haben in Berlin eine Sicherheitsdebatte ausgelöst. Manche sehen darin Vorzeichen für Krawalle wie jüngst in Großbritannien. Neu ist das Phänomen in der Hauptstadt aber nicht.

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Ein Auto brennt lichterloh (Foto: Fotolia/evron.info)
Bild: Fotolia/evron.info

Es brennt lichterloh, in Berlin wurden seit Jahresbeginn fast 300 Autos angezündet - zuletzt allein 35 in drei Nächten. Politiker, Experten und Medien sind aufgeschreckt. Der für die Sicherheit in Berlin zuständige Innensenator Ehrhart Körting (SPD) kann die Wut der Menschen verstehen, die sich teilweise auch gegen die angeblich untätigen Sicherheitsbehörden und Politiker richtet. Es handele sich um kompliziert aufzuklärende Straftaten, erläutert Körting: "Es sind höchstwahrscheinlich nur ganz wenige Straftäter, die durch die Stadt ziehen und ein Auto nach dem anderen anzünden." Deshalb seien sie so schwer zu fassen.

Innere Sicherheit ist Wahlkampfthema

Ehrhart Körting (Foto: picture alliance / ZB)
Nachdenklich: Berlins Innensenator KörtingBild: picture alliance / ZB

Die Zahl der uniformierten und zivilen Fahnder, die nachts unterwegs sind, sei erhöht worden, betont Körting. Den Vorwurf, der Berliner Senat habe vor den Brandstiftern kapituliert, weist der Sozialdemokrat zurück. Sogar ein Hubschrauber ist im Kampf gegen die Feuerteufel im Einsatz, um aus der Luft hochauflösende Bilder mit einer Wärmebildkamera aufzunehmen und an Kollegen am Boden zu funken. Mit Hilfe dieser Technik seien bereits Graffitisprayer und Metalldiebe gefasst worden, heißt es aus Polizeikreisen. Bei der Jagd nach Autozündlern wartet man allerdings noch auf den ersten Erfolg.

Die politische Opposition macht die seit zehn Jahren regierende Koalition aus Sozialdemokraten und Linken für das ungelöste Problem verantwortlich. Der Senat habe auf Kosten der Sicherheit zu viel Personal bei der Polizei abgebaut, heißt es immer wieder. Der Vorwurf ist auch jetzt wieder zu hören. Mitte September wählen die Berliner ein neues Parlament. Das Thema Sicherheit spielt im Wahlkampf eine große Rolle.

Ein Brandstifter wurde verurteilt

Frank Henkel, der christdemokratische Herausforderer des populären und international bekannten sozialdemokratischen Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit, erinnert seinen Konkurrenten an die Zuständigkeit des Staates für die Sicherheit seiner Bürger: "Wie lange will der Senat eigentlich hilflos und tatenlos warten und seine Hände in den Schoß legen?", fragt Henkel. "Will er so lange warten, bis es Bürgerwehren gibt?"

Prompt warnt Innensenator Körting denn auch davor, das staatliche Gewaltmonopol zu unterlaufen und sich nicht mehr auf die Polizei zu verlassen. Einen kleinen Erfolg konnten seine Beamten immerhin bereits vor einigen Monaten verbuchen. Mitte Mai war ein Brandstifter festgenommen worden, bei dem man linksextreme Publikationen und Anleitungen für den Bau von Brandsätzen fand. Der Verdächtige wurde inzwischen zu 22 Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt.

Sympathien aus dem linksextremen Milieu

Die Vermutung, es handele sich um politisch motivierte Anschläge aus dem linksextremistischen Milieu, scheint naheliegend. Denn lange Zeit traf es fast nur teure Nobelkarossen in Stadtteilen, in denen Häuser luxusmodernisiert und in Eigentum umgewandelt wurden. Im Internet kursieren Texte, in denen offen Sympathie für das Abfackeln teurer Autos bekundet wird.

Zwei durch einen Brand völlig zerstörte Fahrzeuge stehen auf einem Parkplatz in Berlin. Im Vordergrund liegt ein ausgebrannter Motorroller (Foto: dpa)
Zwei von fast 300 Autos, die in Berlin seit Anfang 2011 durch Brand-Anschläge zerstört wurdenBild: picture alliance/dpa

Ob der oder die Täter aber tatsächlich einer homogenen Gruppe zuzuordnen sind, darüber kann nur spekuliert werden. Der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizei-Gewerkschaft, Rainer Wendt, hält nichts von Verallgemeinerungen.

Man könne nur vermuten, dass die Täter aus dem linksextremistischen Bereich kommen. Es könne sich aber auch um Nachahmungstäter handeln. "Wir sind auf die Mithilfe der Bevölkerung angewiesen", appelliert der Polizei-Funktionär an die Berlinerinnen und Berliner. Sie sollten auffälliges Verhalten unbekannter Personen melden.

Mehrere tausend Euro Belohnung für hilfreiche Hinweise hat die Polizei unter dem Eindruck der jüngsten Serie von brennenden Autos ausgelobt. Der auf frischer Tat ertappte und später verurteilte 43-jährige Zündler war von aufmerksamen Anwohnern fotografiert worden. Durch das schnelle Eingreifen der Polizei konnte sogar verhindert werden, dass das Fahrzeug komplett abbrannte. Doch dieser glimpfliche Ausgang ist die Ausnahme. Meistens sind die Autos schrottreif.

SPD-Politiker: "Vorstufe zum Terrorismus"

Dieter Wiefelspütz (Foto: dpa)
Dieter Wiefelspütz: "Auch die RAF fing mit Brandanschlägen an"Bild: picture-alliance/dpa

Der sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete und Innenexperte Dieter Wiefelspütz bezeichnet die permanenten Brand-Anschläge allerdings warnend als "Vorstufe zum Terrorismus":

Auch die in den 1970er Jahren entstandene "Rote Armee-Fraktion" (RAF) habe mit Brand-Anschlägen angefangen, sagte Wiefelspütz dem Boulevardblatt "Bild". Auf das Konto der inzwischen aufgelösten RAF gingen bis Anfang 1990 zahlreiche Morde an hochrangigen Vertretern aus Staat und Wirtschaft.

Früher brannten nur Luxuskarossen

Verständnis äußert schon seit langem der bekannte Hip-Hop-, Reggae- und Soul-Sänger Jan Delay. Brennende Autos seien "Agitation", argumentiert der gebürtige Hamburger, in dessen Heimatstadt in diesem Jahr ebenfalls schon fast 200 Autos den Flammen zum Opfer fielen. In der Hanse-Metropole gibt es - wie in der deutschen Hauptstadt - eine starke sogenannte linksautonome Szene, die sich oft mit militanten Mitteln gegen aus ihrer Sicht unsoziale Veränderungen von Wohnquartieren wehrt.

Passanten betrachten in Berlin einen ausgebrannten Mercedes A-Klasse (Foto: dpa)
Auch vor Kleinwagen machen die Brandstifter nicht HaltBild: picture alliance/dpa

Eher aktuelle Bezugspunkte zu den Krawallen in Großbritannien vermutet der bekannteste deutsche Kriminologe, Christian Pfeiffer. Brandstifter in Berlin könnten sich seines Erachtens durch die Gewalttaten Jugendlicher in London und anderen englischen Städten animiert fühlen. Vor kurzem waren dort ganze Straßenzüge in Brand gesetzt und Geschäfte geplündert worden. Da hätten die Akteure weltweite Aufmerksamkeit bekommen. "Und darum geht es den Tätern: für Aufsehen zu sorgen, Action zu entfalten", meint der Kriminologe.

Pfeiffers Vermutung könnte eine von vielen Erklärungen sein. Denn in Berlin brennen im Unterschied zu früheren Jahren nicht mehr nur Luxusautos, sondern auch Mittelklasse- und Kleinwagen in Stadtteilen, in denen keine Verdrängungs-Prozesse durch Immobilien-Spekulanten und steigende Mieten zu beobachten sind.

Autor: Marcel Fürstenau
Redaktion: Hartmut Lüning