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Wie Sonne aus Meerwasser Wasserstoff macht

Oliver Ristau
23. November 2020

Mit Sonnenstrom könnte Portugal grünen Wasserstoff für Europa produzieren. Green Flamingo will zeigen, dass das geht. Das Öko-Gas soll mit Schiffen nach Rotterdam kommen - und eine Option für Deutschland werden.

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Portugal Wasserstoff aus Sonne und Meer | Enercoutim
Bild: Oliver Ristau/DW

Still ist es über dem Solarpark im Hinterland der portugiesischen Algarve. Nur ab und zu knackt es, wenn die großen Spiegel sich dem Sonnenstand anpassen. Selten muss Sergio dos Santos hier Hand anlegen. Die Module bewegen sich Dank automatischer Steuerung von selbst. So findet er auch Zeit, seine Schafe zwischen den riesigen Solarkollektoren auf den 42 Hektar großen Grundstück weiden zu lassen, erzählt er, zumindest im Frühjahr, wenn das Gas üppig sprießt.

Jetzt im Herbst ist die Erde trocken, verbrannt noch vom Sommer. In der heißen Region im Süden Portugals erreichen die solaren Einstrahlungsraten 1900 Kilowattstunden (kWh) pro Quadratmeter. Zum Vergleich: in Norddeutschland sind es nur rund 1000 kWh.

Portugal Wasserstoff aus Sonne und Meer | Sergio dos Santos
Sergio dos Santos kümmert sich um den Solarpark von Martim Longo. Künftig könnte ein noch größeres Solarfeld entstehenBild: Oliver Ristau/DW

Der grüne Flamingo

Dos Santos ist für die Sicherheit des Solarparks Enercoutim unweit des Landstädtchens Martim Longo mit seiner Leistung von 4 Megawatt (MW) zuständig. Geschäftsführer und Gründer Marc Rechter hat aber noch deutlich größere Ziele. Er verfolgt mit seiner Firma Resilient Group ein Mega-Wasserstoffprojekt.

1000 MW Photovoltaik will er in Portugal aufzubauen helfen. Der Solarstrom soll dann mittels Elektrolyse Wasser in seine Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff aufspalten. Das Projekt trägt den Namen Green Flamingo.

Die Wahrheit über Wasserstoff

Dazu hat der Niederländer laut eigener Auskunft die Regierungen in Den Haag und Lissabon beraten. Beide Länder haben kürzlich eine Kooperation für grünen Wasserstoff geschlossen. Als erste konkrete Maßnahme haben sich die Seehäfen Rotterdam und das portugiesische Sines darauf verständigt, das Öko-Gas künftig per Schiff in die Niederlande zu verschiffen. Vom niederländischen Rotterdam wird es über den Rhein auch auf dem Wasserweg zu Verbrauchern in Deutschland gelangen können.

Flamingo, Drache, Tintenfisch

Die EU unterstützt das Vorhaben. Green Flamingo ist eines von mehreren, die helfen sollen, die neuen Ziele Brüssels umzusetzen. So sieht die im Juli vorgestellte Wasserstoffstrategie der Gemeinschaft vor, bis 2030 in Europa eine Elektrolyseur-Leistung von 40.000 MW neu schaffen.

"Mehrere Projekte sind in der EU dabei involviert", berichtet Rechter, alle benannt nach einer Farbe und einem Tier. Neben dem grünen Flamingo gibt es zum Beispiel Black Horse, White Dragon oder Green Octopus. Wie diese hat Brüssel auch dem Green Flamingo den Status eines ICPEI gegeben, einem Projekt von besonderem EU-Interesse. Die Abkürzung steht für "Important Project of Common European Interest".

Portugal Wasserstoff aus Sonne und Meer | Flamingo
Der Flamingo ist in einem Naturschutzpark bei Setubal zu Hause. Er steht auch Pate für ein großes WasserstoffprojektBild: Oliver Ristau/DW

Geht es um den Import des grünen Gases, haben Länder wie Deutschland bisher vor allem Nordafrika im Blick. Das sei eine wichtige Option, so Christopher Hebling, der am Fraunhofer Institut für solare Energiesysteme (ISE) für die Wasserstoffforschung verantwortlich ist. Eine andere sei aber, wegen der attraktiven Einstrahlungsbedingungen zum Beispiel nach Portugal und Spanien zu schauen.

Solarstrom für einen Cent

Für Portugal sprechen die Preise. So wurde bei der Auktion neuer Photovoltaik-Kapazitäten in diesem Sommer mit 1,1 Cent je kWh der bisher günstigste Abschluss in ganz Europa getätigt. Notwendig ist ein solches Preisniveau derzeit aber angesichts von Börsenstrompreisen von aktuell rund vier Cent je kWh gar nicht.

"Bei einem Cent pro kWh Solarstrom verdienen die Stromerzeuger kaum noch Geld", sagt Rechter. "Stattdessen drücken sie die Lieferanten und Entwickler. Das ist ungesund, denn wir müssen in Europa eine eigene Industrie für grünen Wasserstoff und für Photovoltaik aufbauen, um nicht von der Zulieferung aus China und anderen Staaten abhängig zu sein."

Bei Preisen von aktuell auskömmlichen zwei bis drei Cent je kWh Solarstrom sei das durchaus möglich. Und 2030 werde die Solarstromerzeugung dann auch tatsächlich für ein bis zwei Cent wirtschaftlich werden.

Billiger Solarstrom ist auch eine Voraussetzung für die Wasserversorgung. Pro Kubikmeter Wasserstoff benötigt die Elektrolyse etwa sechs Liter Wasser. Weil Trinkwasser nicht in Frage kommt, braucht es den Atlantik und die Meerwasserentsalzung. Mit Solarstrom könnte die zu attraktiven Preisen arbeiten.

Portugal Wasserstoff aus Sonne und Meer | Sines
Im Ölhafen von Sines soll künftig Wasserstoff für Mitteleuropa produziert werdenBild: Oliver Ristau/DW

Chance für EU-Staaten wie Portugal

Rechter erwartet zudem, dass die Kosten für Elektrolyseure sehr schnell fallen werden. Bis 2030 sei ein Land wie Portugal in der Lage, grünen Wasserstoff "absolut wettbewerbsfähig" zu produzieren - verglichen mit grauem Wasserstoff aus Erdgas, aber auch "blauem", bei dem der Kohlenstoff der fossilen Quelle entzogen wird. Rechter warnt deshalb: "Bei blauem Wasserstoff drohen Investitionsruinen. Grüner wird günstiger zu produzieren sein."

Wichtig sei zudem, dass die Politik Weichen stelle für den Einsatz im Verkehr und im Gasnetz. Dem trägt die nationale Wasserstoffstrategie Portugals Rechnung. Sie setzt neben dem Bau von Wasserstofftankstellen auf Brennstoffzellenbusse wie sie die portugiesische Caetano in Kooperation mit Toyota entwickelt. Außerdem soll der mögliche Anteil von Wasserstoff im Erdgasnetz von aktuell einem auf 15 Prozent anwachsen. Schließlich sieht der Plan bis 2030 den Aufbau einer nationalen Elektrolyseleistung von 2000 MW vor.

Derweil gehen im Hafen von Sines die Arbeiten am Aufbau des ersten Mega-Elektrolyseurs weiter. 2023 soll die Produktion starten. "Europa muss jetzt loslegen, damit wir 2030 hier wirklich eine wettbewerbsfähige Industrie aufgebaut haben", so Rechter. Und für von der aktuellen Coronakrise gebeutelte Staaten wie Portugal stellt das eine große Chance dar.