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Wie viel Erfolg darf erkauft sein?

Stefan Nestler2. Februar 2015

Der Erfolg der Handballer Katars bei der WM im eigenen Land hat allgemeines Kopfschütteln hervorgerufen. Dahinter steckt System - und nicht nur im Handball. Eine Analyse.

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Handballer Katars bejubeln Platz 2 bei der Heim-WM. Foto: Getty Images
Bild: C. Koepsel/Bongarts/Getty Images

Das kollektive Aufatmen war nicht zu überhören. Gott sei Dank sind die Franzosen Handball-Weltmeister geworden, und nicht die Kataris. Das durfte doch nicht wahr sein: Gerade mal vier Handballer im Kader des WM-Gastgebers waren Einheimische, in die Stammmannschaft schafften sie es nicht. Dort standen Top-Spieler aus Montenegro, Bosnien, Frankreich, Spanien oder Kuba, angelockt von sechsstelligen Siegprämien pro Spiel - und der Aussicht auf eine lebenslange Rente, wenn mindestens das Halbfinale erreicht würde. Die Scheichs hatten wirklich nichts dem Zufall überlassen. Da Handball in dem Wüstenstaat etwa so populär ist wie Rennrodeln, kauften sie auch gleich noch einige Dutzend Fans aus Spanien mit ein, die sich Nationaltrikots Katars überzogen und für La-Ola-Stimmung in der Halle sorgten.

Selbst schuld

Die Kataris machten sich bei ihrer offensiven Einkaufspolitik eine Regel der Internationalen Handball-Föderation (IHF) zunutze, nach der jeder Spieler nach drei Jahren ohne Länderspiel den Verband wechseln kann. Bisher waren es eher Einzelspieler, die diese seltsame Regel ausgenutzt hatten - wie der Weißrusse Siarhei Rutenka, der erst für das Nationalteam seiner Heimat, dann für Slowenien und für Spanien spielte, um schließlich wieder in die weißrussische Mannschaft zurückzukehren. Jetzt reizte Katar das System völlig aus. Der IHF waren die Hände gebunden, der eigenen Regeln wegen. Selbst schuld.

Der weißrussische Handballer Siarhei Rutenka bei der WM in Katar. Foto: Getty Images
Rutenka, jetzt wieder für WeißrusslandBild: Karim Jafaar/AFP/Getty Images

Auch Ailton wollte nach Katar

War das nur ein kleiner Vorgeschmack? Schließlich richtet Katar - wenn die FIFA nicht noch eine Rolle rückwärts macht - auch die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 aus. Und Erfolg im Fußball streben die Kataris schon deutlich länger an als im Handball. 2004 boten sie nicht nur den damaligen brasilianischen Bundesliga-Stars Ailton und Dede Millionenbeträge, damit sie sich einbürgern ließen, um für Katar zu kicken. Die FIFA schob einen Riegel vor. "Einbürgerungen, die Spielern ohne jeden Bezug zum Land Einsätze in der Nationalmannschaft erlauben, entsprechen nicht dem Sinn und Zweck der Statuten", sagte FIFA-Präsident Joseph Blatter damals. "Deshalb sind solche Praktiken unverzüglich zu unterbinden."

Bei Vereinen abgeguckt

Das bedeutete jedoch nicht das Ende der Fußball-Ambitionen Katars. Das Land gründete die "Aspire Academy for Sports Excellence", um gezielt junge Sportler zu fördern. Im Fußball werden minderjährige Talente aus armen Ländern Asiens, Südamerikas und vor allem Afrikas gesichtet und in Trainingszentren, etwa in Eupen in Belgien, geduldig aufgebaut. Natürlich erhalten sie auch einen Pass Katars. Der von der FIFA geforderte Bezug zum Land ist gegeben, weil es sich um ein langfristiges Projekt handelt. Erste Erfolge haben sich bereits eingestellt: Die U19-Junioren-Nationalmannschaft Katars wurde Asien-Meister.

Spieler aus Belgien und Afrika bejubeln ein Tor ihres Teams der K.A.S. Eupen. Foto: David Hagemann
Fußballer der "Aspire Academy"Bild: David Hagemann

Eigentlich hat das reiche Scheichtum damit nur das seit vielen Jahren praktizierte System großer Fußballvereine - weltweit Talente suchen, verpflichten und fern der alten Heimat ausbilden - übernommen und konsequent auf die Ebene der Nationalmannschaft übertragen.

Sprinterin Merlene Ottey aus Jamaika 2005 bei einem Staffelstart für Slowenien. Foto: Getty Images
Sprinterin Merlene Ottey aus Jamaika startete am Ende ihrer Karriere für SlowenienBild: Stu Forster/Getty Images

Vollzogene Globalisierung

Das mag vielen unmoralisch erscheinen und ist es vielleicht auch. Doch im Spitzensport, in dem sehr viel Geld im Spiel und Erfolg das Maß aller Dinge ist, sind solche Praktiken Gang und Gäbe. Auch in Deutschland werden Sportler seit Jahrzehnten bei einem "herausragenden öffentlichen Interesse" - und dazu zählen Medaillen - bevorzugt eingebürgert. Und niemand wundert sich mehr, wenn kenianische Weltklasse-Langstreckenläufer für Dänemark starten oder Sprinterinnen aus Jamaika für Slowenien. Die Globalisierung schreitet auch im Sport immer weiter fort. Katar hat die Schraube nur schon deutlich weiter gedreht als andere Staaten. Wer weiß, wie viele der jetzt vordergründig Empörten sich insgeheim fragen: Warum machen wir es eigentlich nicht genauso?