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Politik

Wie weit darf Klimaschutz gehen?

31. Oktober 2019

In Eschweiler stehen fünf Klimaaktivisten vor Gericht, die vor zwei Jahren ein RWE-Kohlekraftwerk in Weisweiler stundenlang lahmgelegt haben. Der Prozess wird zeigen, welche Mittel der Kampf fürs Klima rechtfertigt.

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Deutschland Ende Gelände Demonstration in Hochneukirch
Abschreckung? Fehlanzeige! Im Juni dieses Jahres stürmten Klimaaktivisten den Tagebau Garzweiler bei KölnBild: picture-alliance/Geisler-Fotopress/C. Hardt

Für die große Frage, wie weit ziviler Ungehorsam für den Klimaschutz gehen darf, ist der Sitzungssaal 17 im Amtsgericht Eschweiler viel zu klein. In dem engen holzvertäfelten Raum sind gerade einmal zwei Dutzend Plätze für Zuschauer und Journalisten zugelassen, dabei wird doch ein Präzedenzfall mit Signalwirkung verhandelt.

Es ist das erste Mal in Deutschland, dass ein Kraftwerk durch eine Blockade von Aktivisten drei Blöcke vorübergehend vom Netz nehmen muss. War dies ein notwendiger Akt oder auch Notwehr, um die Klimakrise ein klein wenig aufzuhalten, wie die Aktivisten argumentieren, oder schlicht und ergreifend eine Straftat, wie es Kraftwerksinhaber RWE sagt?

Keine Angst vor Millionenforderung

"Nicht wir sind die, die Schaden anrichten, sondern RWE", sagt Cornelia Wockel, eine der fünf Angeklagten in dem Strafverfahren, "die pusten dieses ganze CO2 in die Luft und kümmern sich kein bisschen darum, dass auf der anderen Seite der Welt die Lebensgrundlagen von den Menschen zerstört werden. Sie müssten eigentlich Schadensersatz zahlen."

Eschweiler Prozess gegen Klimaschützer
"Wir werden den Prozess nutzen, um RWE öffentlich anzuklagen" - Klimaaktivistin Cornelia WockelBild: DW/Oliver Pieper

Stattdessen fordert RWE von der 22-Jährigen und ihren Mitstreitern in einem Zivilprozess Schadensersatz, genauer gesagt 2,17 Millionen Euro. Wie dieser Zivilprozess ausgeht, hängt auch mit dem Ausgang des Strafverfahrens in Eschweiler zusammen. Die Studentin mit den kurzen schwarzen Haaren, die sich jeden Monat mit 500 Euro von ihren Eltern durchschlägt, erklärt bestimmt: "Ich habe keine Angst vor einer Strafe und lasse mich nicht von RWE einschüchtern."

Klimaaktivisten gehen in die Offensive

Angriff ist die beste Verteidigung, lautet deswegen die Strategie von Wockel und den vier Mitangeklagten. Sie drücken den Zuschauern und Journalisten im Saal ein Papier mit den Argumenten in die Hand, warum die Blockade des Kraftwerks Weisweiler gerechtfertigt gewesen sei, verurteilen in ihren wortreichen Statements Kohle und Kapital und wollen als Zeugen einen renommierten Klimawissenschaftler, einen Kinderarzt mit Schwerpunkt Atemwegserkrankungen und einen Klimageschädigten aus Tansania vernehmen lassen.

Eschweiler Prozess gegen Klimaschützer
Unterstützung für die angeklagten Klimaaktivisten vor dem Amtsgericht EschweilerBild: DW/Oliver Pieper

Und sie haben zahlreiche Unterstützung: Die Staatsanwältin redet beim Vorlesen der Anklageschrift auf Hausfriedensbruch, Störung öffentlicher Betriebe und Widerstand gegen Polizisten verzweifelt gegen die stimmgewaltigen Sprechchöre der Dutzenden Demonstrierenden vor dem Amtsgericht an. "Hop, hop, hop - Kohlestopp" tönt es immer wieder von der Mahnwache auf der Straße.

Vor zwei Jahren wurde das Kraftwerk lahmgelegt

Für die Klimaaktivisten ist der 15. November 2017 ein Meilenstein, ein Meisterstück, ein ganz entscheidender Moment in ihrem Kampf für den Klimaschutz. In Bonn läuft gerade die Klimakonferenz. Der Fokus der Weltöffentlichkeit liegt also auf dem Thema Klimaschutz, als es den Angeklagten gelingt, eines der größten Kohlekraftwerke in ganz Europa zum Stillstand zu bringen. Sie klettern über den Maschendrahtzaun in Weisweiler, besetzen einen Bagger, ketten sich aneinander und legen sich auf die Förderbänder.

Die Klimaaktivisten drehen dem Energieriesen den Saft ab, acht Stunden lang ist die "Bekohlung" unterbrochen. "Das Kraftwerk musste wegen unserer Aktion heruntergefahren werden", verkündet Cornelia Wockel stolz, "dadurch konnten 27.000 Tonnen CO2 eingespart werden, der jährliche Fußabdruck von 2400 Deutschen, die sonst den Klimawandel verstärkt hätten. Genau deswegen war diese Blockade gerechtfertigt."

Die Strategie der Verteidiger

Das findet auch Christian Mertens, der Wockel verteidigt. Der Anwalt für Strafrecht musste nicht lange zögern, als die Klimaaktivistin ihn bat, sie vor Gericht zu vertreten: "Ich mache das, weil ich persönlich den Einsatz dieser junge Menschen und die Gefahr, in die sie sich begeben, absolut richtig finde."

Auch Mertens verweist darauf, dass der CO2-Ausstoß hierzulande Auswirkungen auf das Leben in anderen Weltregionen hat und sieht sich deshalb auch als Rechtsanwalt gefordert: "Gerade in Zeiten offensichtlicher Ungerechtigkeit insbesondere in Klimafragen muss es Leute geben, die sich auf dieser Seite des Wohlstandes für mehr Gerechtigkeit einsetzen."

Eschweiler Prozess gegen Klimaschützer
"Dieser Prozess kann eine Signalwirkung haben" - Rechtsanwalt und Verteidiger Christian MertensBild: DW/Oliver Pieper

Mertens wird deshalb mit seinen vier Anwaltskollegen das Gericht zu überzeugen versuchen, dass Klimaaktivisten im äußersten Fall so handeln dürfen, der Zweck also die Mittel heiligt. "Ist diese Aktion etwas, was möglicherweise gegen Gesetze verstößt, was aber erlaubt ist, das ist die Kernfrage, um die es sich hier in Eschweiler dreht," so Mertens.

Seine Mandantin habe im Gegenteil versucht, rechtswidrige Straftaten durch RWE abzuwenden, argumentiert der Anwalt: "Weil das Betreiben des Kraftwerks den Klimawandel hervorruft, Menschen verletzt, Menschen vertreibt und Menschen ihres Eigentums beraubt."

RWE will die entstandenen Kosten zurück

Guido Steffen sieht das naturgemäß komplett anders. "Was in Weisweiler passiert ist, ist eine konkrete Straftat, durch die uns eindeutig erheblicher Schaden ist", sagt der Pressesprecher von RWE. Der Strom, der in dieser Zeit produziert werden sollte, sei bereits verkauft gewesen. Deshalb habe der fehlende Strom teuer zugekauft werden müssen.

Kohlekraftwerk Weisweiler
Kohlekraftwerk Weisweiler: Höchste Treibhausgasemissionen aller Kraftwerke EuropasBild: picture-alliance/imagebroker/T. Kroeger

Für Steffen ist deshalb klar: "Wenn jemand mit einem solchen zivilen Ungehorsam die Grenze zur Straftat und zur Schadensverursachung überschreitet, ist dies aus unserer Sicht weder legal noch legitim. Und die Person muss dann auch für den Schaden gerade stehen."

Dass man die Aktivisten mit der Forderung von über zwei Millionen Euro in den finanziellen Ruin treiben könnte, lässt der RWE-Pressesprecher nicht gelten: "Auch wenn man finanziell nicht so gut dasteht, hat man nicht automatisch einen Freibrief dafür, Straftaten zu verüben oder Schäden irgendwelcher Art anzurichten."

Zielscheibe der Klimaschützer

RWE ist eine der größten Zielscheiben der Klimaschutzbewegung. Für die Aktivisten müsste das Energieunternehmen mit seinen 19 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß in Weisweiler pro Jahr auf die Anklagebank. Guido Steffen kann das in keiner Weise nachvollziehen, RWE mache nichts Willkürliches oder Falsches: "Wir sind ein Unternehmen, das nach Recht und Gesetz arbeitet. Unsere Kraftwerke sind genehmigt und halten die gesetzlichen Grenzwerte ein", sagt Steffen. "Der Betrieb unserer Anlagen ist durch parlamentarische Verfahren und durch staatliche Behörden kontrolliert und genehmigt."

Vor dem Amtsgericht in Eschweiler prallen zwei Welten und zwei Meinungen aufeinander. Hier die Klimaaktivisten, für welche die Protestaktion in Weisweiler ein angemessenes und adäquates Mittel für den Klimaschutz darstellt. Dort der Staat und ein Energieunternehmen, welche eine Straftat anprangern und auf die rechtsprechende Gesetzgebung pochen.

Im Dezember wird das Urteil in dem Strafverfahren gesprochen - und die große Frage beantwortet, ob es im Kampf für den Klimaschutz ein legitimes Mittel ist, durch zivilen Ungehorsam ein Kohlekraftwerk lahmzulegen.