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Zeit gekauft

21. Februar 2012

Ein neues Hilfspaket und ein Schuldenerlass: Mit diesen Instrumenten soll Griechenland vor der Pleite bewahrt werden. Die Wirkung allerdings ist höchst ungewiss, meint Henrik Böhme.

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An das Ritual hat man sich fast schon gewöhnt. Es gab eine Deadline, in diesem Fall den 20. März. Dazu die schon bekannte Ansage: Gibt es bis dahin keine neuen Hilfsmilliarden, ist Griechenland an diesem Tag zahlungsunfähig. Dann folgen quälende Tage und Wochen mit Verhandlungen und schließlich ein Krisentreffen. Das endet dann, wie jetzt auch wieder, in den frühen Morgenstunden mit der Verkündung: Athen könne nun aufatmen, der Staatsbankrott sei "in letzter Minute" abgewendet. Nach 100 Milliarden Euro im Jahr 2010 umfasst das zweite Hilfspaket sogar 130 Milliarden - und dazu noch einen Schuldenverzicht privater Gläubiger.

Allein: Es wird nicht das letzte Hilfspaket für Griechenland sein. Sicher, dieses Mal musste die Regierung in Athen sehr harte Zugeständnisse machen. Zins und Tilgung werden von einem Treuhandkonto beglichen. Das kann man als Verlust der nationalen Souveränität werten. Aber wenigstens wird so sichergestellt, dass Griechenland damit auch wirklich Schulden zurückzahlt und das Geld nicht für andere Dinge ausgibt.

Henrik Böhme. Chefredaktion GLOBAL Wirtschaft. Foto DW/Per Henriksen 11.03.2010. _DWW5394.jpg
Henrik Böhme, DW-WirtschaftsredaktionBild: DW

Finanzbranche als Profiteur

Nun gibt es zwei Tatsachen, die unbedingt anzumerken sind. Zum einen handelt es sich bei dieser Rettungsaktion nicht allein um Griechenland. Gerettet wird - auch wenn sie in diesem Fall auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten muss - die Finanzbranche. Die meisten Schulden hat das Land bei privaten Banken, Investoren und Versicherungen. Und so fließt ein Viertel des Hilfspaketes gar nicht erst nach Athen, sondern ist dafür gedacht, den Gläubigern ihren Forderungsverzicht zu versüßen. Die Bankenlobby hat wieder ganze Arbeit geleistet mit ihren Horrorszenarien von unberechenbaren Kettenreaktionen, irgendwelchen Kreditausfallversicherungen und dem möglichen Zusammenbruch des Gesamtsystems. Wegen eines wirtschaftlich so unbedeutenden Landes wie Griechenland.

Denn, und das ist der zweite Aspekt: In Wirklichkeit ist Griechenland längst pleite. Nur nicht offiziell. 160 Prozent Schuldenstand im Vergleich zur Wirtschaftsleistung – na und? Auf 120 Prozent soll das gedrückt werden. Was ist daran besser? Die Wahrheit ist viel einfacher: Wir haben es mit einem rückständigen Land zu tun. Von Investmentfonds längst zum Entwicklungsland zurückgestuft. Von Banken durchleuchtet, die schon die Szenarien einer Rückkehr zur Drachme durchgespielt haben. Ein Land mit einer zwar personell riesigen, aber nicht funktionierenden Staatsverwaltung. Warum wird der aktuelle Bericht der sogenannten Troika von EU, EZB und IWF praktisch unter Verschluss gehalten? Weil er eben diese Wahrheiten ausspricht. Dass die 130 Milliarden nicht ausreichen, um den wirtschaftlichen Niedergang aufzuhalten.

"State building" für Griechenland

Deswegen muss die Lösung noch viel radikaler sein. Man kann Griechenland ja nicht zwingen, die Eurozone zu verlassen. Also muss man den Europäern sagen: Das wird teuer, und zwar für eine lange Zeit. Man sollte die falsche Politik der Hilfspakete beenden, sofort. Und wirklich daran gehen, dem Land zu helfen, sich neu zu erfinden. Mit allem, was man dazu braucht. Investitionsanreize, gezielte Förderung, vor allem aber mit dem, was im Fachjargon der Entwicklungshelfer "state building" heißt - den Aufbau eines funktionsfähigen Staates. Wahrscheinlich hilft dabei nur eines: der Staatsbankrott Griechenlands. Spätestens im Herbst - wenn sich die anderen Problemkinder Europas wie Spanien und Italien finanziell stabilisiert haben - könnte es soweit sein. Die Hedgefonds wetten schon.

Autor: Henrik Böhme
Redaktion: Rolf Wenkel