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Wikipedia soll weiblicher werden

Christine Lehnen
29. November 2021

Einträge über Frauen sind in dem Internetlexikon eindeutig in der Unterzahl. Das Projekt #100WomenDays will das jetzt ändern - mit Hilfe vieler fleißiger Autorinnen.

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Wikipedia Symbolbild
Schnell eine Wissenslücke schließen? Auf der ganzen Welt nutzen Menschen Wikipedia.Bild: Ali Balikci/AA/picture alliance

Es gilt als das einflussreichste Lexikon der Welt: die Enzyklopädie Wikipedia, in unzähligen Sprachen kostenlos im Internet abrufbar. Mit mehr als sechs Millionen Artikeln ist die englischsprachige Version von Wikipedia die umfangreichste, auf dem zweiten Rang folgt die deutschsprachige mit rund 2,6 Millionen Artikeln. Und die soll geschlechtergerechter werden: Zum dritten Mal ist der Startschuss für das jährliche Projekt #100WomenDays gefallen. 

Dabei geht es darum, innerhalb von 100 Tagen mindestens 100 Frauenbiografien bei Wikipedia einzustellen. Beteiligen können sich alle Autorinnen und Autoren, die für die Internet-Enzyklopädie schreiben. Angelehnt ist die Aktion an die in allen Sprachen verbreiteten "100 Wiki Days", in denen in 100 Tagen eine einzelne Person 100 Artikel hinzufügt. Bei den #100WomenDays handelt es sich jedoch um eine Gemeinschaftsaktion - und zwar eine sehr erfolgreiche: Im vergangenen Jahr wurden von 81 Autorinnen und Autoren nicht nur 100, sondern über 1000 Biografien hinzugefügt.

Nicht einmal ein Fünftel aller Biografien sind weiblich

"Dass es so viele werden, hatte niemand erwartet", erzählt Carolina Bruckmeier der DW im Videointerview. Sie verfügt über Administratorenrechte bei Wikipedia und hat in diesem Jahr die Organisation der #100WomenDays von den Gründerinnen aus Köln übernommen. "Aber es macht einfach Spaß, spannende Biografien zu lesen und zu schreiben. Und vermutlich schreiben in dieser Zeit auch mehr Frauen als sonst, wegen der Aktion." Dabei können die Autorinnen und Autoren voll und ganz ihren Neigungen folgen: Im vergangenen Jahr habe eine Person zum Beispiel unzählige Handballerinnen und Volleyballspielerinnen hinzugefügt, berichtet Bruckmeier.

Linnea Claeson
Handballerin mit Wikipedia-Eintrag: Die Schwedin Linnea Claeson setzt sich zudem gegen Sexismus im Internet ein.Bild: Imago/Bildbyran/J. Jungdhal

Es geht bei der Aktion aber nicht nur um den Spaß: "Wir wollen damit auch in den Fokus rücken, dass wir weniger Artikel über Frauen als über Männer in der Wikipedia haben." Das liege zum einen daran, so Bruckmeier, dass Frauen in der Gesellschaft immer noch nicht gleichberechtigt seien. In diesem Zusammenhang weist sie auf Parlamente weltweit hin, in denen noch lange nicht die Hälfte der Abgeordneten Frauen sind. Zum anderen, so die Organisatorin von #100WomenDays, würden wahrscheinlich weitaus weniger Frauen als Männer an Wikipedia arbeiten. 

Eine Studie von Wikimedia, dem Trägerverein der Wikipedia-Enzyklopädie, aus dem Jahr 2018 bestätigt diese Vermutung: Nur rund neun Prozent aller Autoren waren damals weiblich, 90 Prozent hingegen männlich, und ein Prozent gaben ihr Geschlecht als "divers" an. Hinzu kommt, dass Artikel über Frauen seltener sind und zudem auch häufig weniger ausführlich. Die Forscherin Francesca Tripodi wies in einer Studie aus dem Jahr 2021 außerdem darauf hin, dass Biografien von Frauen weitaus häufiger zur Löschung markiert werden würden als die von Männern. Ein Team von Computerlinguisten der renommierten US-amerikanischen MIT-Universität fand überdies heraus, dass auch die in Wikipedia-Artikeln verwendete Sprache "grundsätzlich sexistisch ist".

"Zu viele Kriegsschiffe, zu wenig Poesie"

Katherine Maher von Wikimedia wies schon 2018 daraufhin, dass man sich der eigenen Schwächen vollkommen bewusst sei. "Unsere Autoren sind überwiegend Männer und aus dem Westen, und diese Gatekeeper übertragen ihre Standards und Vorurteile auf ihre Texte", schrieb sie zunächst in der "Los Angeles Times" und dann auf dem Blog der englischsprachigen Wikimedia. "Deshalb hat Wikipedia Dutzende Artikel über Kriegsschiffe und nicht mal annähernd genug über Poesie. Es gibt unzählige Artikel über American Football in US-amerikanischen Colleges, aber viel weniger über afrikanische Marathonläufer."

Frauen halten in Paris braune und lilane Plakate hoch, auf denen auf Französisch "Nieder mit dem Patriarchat" und feministische Slogans stehen.
Am 20.11.2021 forderten Demonstrantinnen in Paris ein Ende des Patriarchats und der Gewalt gegen FrauenBild: Sadak Souici/Le Pictorium/MAXPPP/dpa/picture alliance

Gleichzeitig schrieb sie, Wikipedia sei ein Spiegel der Gesellschaft - und daher eher ein Symptom der Frauenfeindlichkeit in der Welt als ihre Ursache.

Wikimedia startete trotzdem mehrere Aktionen, um für mehr Geschlechtergerechtigkeit bei Wikipedia zu sorgen, zum Beispiel "Women in Red" im englischsprachigen Raum oder #100WomenDays in Deutschland. Ziel ist es jeweils, in Wikipedia mehr Artikel über Frauen hinzuzufügen.  

Enden soll die diesjährige Aktion #100WomenDays am 8. März 2022 - also am Weltfrauentag. Das hatte man sich im Team so gewünscht, erklärt Carolina Bruckmeier der DW im Gespräch. Dann sollen mindestens 100 weitere Biografien die sogenannte "Hall of Femmes" (deutsch: "Halle der Frauen" - in Anlehnung an "Hall of Fame") auf der Wikipedia bereichern. Ein kleiner Fortschritt, wenn man bedenkt, dass noch immer nur rund 19 Prozent der Biografien auf Wikipedia von Frauen handeln - und ganze 81 Prozent von Männern.