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Wilhelm Gustloff

Volker Wagener30. Januar 2015

9000 Menschen ertranken auf der Flucht vor der Roten Armee. Es war die größte Schiffskatastrophe aller Zeiten, doch der Untergang der "Wilhelm Gustloff" vor 70 Jahren ist weniger bekannt als der der Titanic.

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Das Schiff Wilhelm Gustloff 1938
Bild: picture-alliance/akg-images

30. Januar 1945. Adolf Hitler spricht über Radio zu den Deutschen. Es ist gegen neun Uhr abends und auch im überfüllten Speisesaal der "Wilhelm Gustloff" rauscht der Volksempfänger. Doch die Flüchtlinge aus Pommern, Ost- und Westpreußen, die sich auf dem Riesenschiff drängen, haben keine Ohren mehr für die Phrasen des Führers. Sie wollen nur noch eines: gerettet werden. Aber nur für wenige der gut 10.000 an Bord - überwiegend Frauen und Kinder, aber auch Marinesoldaten - erfüllt sich diese Hoffnung. Genau 1252 Passagiere überleben die letzte Fahrt der Gustloff, mehr als 9000 sterben, als der Dampfer nach drei sowjetischenTorpedo-Einschlägen innerhalb einer Stunde sinkt. Das Thermometer zeigt 18 Grad minus. Die Überlebenschancen liegen nahe null.

Gotenhafen bei Danzig. Der Ausgangpunkt der letzten Fahrt der Gustloff. Über 100.000 deutsche Zivilisten aus dem Osten strömen im Januar, wenige Monate vor Kriegsende, in das Hafenstädtchen. Ihnen dicht auf den Fersen: die Rote Armee. Nemmersdorf ist vom Hörensagen in aller Munde. Das erste Dorf, das den Sowjets auf Reichsgebiet in die Hände fällt. Grausame Rache für deutsche Verbrechen. Retten kann jetzt nur noch die Marine.

Das Traumschiff der Nazis

Zu den vielen Schiffen, die in den letzten Kriegsmonaten von Gotenhafen Verwundete, Soldaten und Zivilisten gen Westen evakuieren, gehört auch die Gustloff. Es ist mit 208 Metern Länge nicht das größte Schiff. Aber: Es ist das bekannteste. Der Paradedampfer der Nationalsozialisten, Hitler persönlich stand 1937 Pate.Der Namensgeber, eine 1936 ermordete Nazi-Größe. Die Gustloff war das Traumschiff der 30er-Jahre, ein jedem Kind bekanntes Urlaubsschiff. Manche der Flüchtlinge hatten als verdiente Nationalsozialisten ihre schönsten Urlaubstage auf dem Kreuzfahrtschiff verbracht - vor der norwegischen Küste oder im Mittelmeer. Am 30. Januar 1945 aber verlebten sie ihre letzten Stunden auf dem umfunktionierten Kriegs-Dampfer.

Flüchtlingstreck in Ostpreussen im Schnee 1944 (Foto: Picture-alliance)
Flüchtlingstreck in OstpreussenBild: picture-alliance/akg-images

Die "größte Tat der Kriegsmarine"

Die Flucht über die Ostsee gehört zu den besonderen Kapiteln der Geschichte des Zweiten Weltkriegs. Rund 2,5 Millionen Menschen werden über das Wasser aus den deutschen Ostgebieten gerettet, haben Militärhistoriker errechnet. Eine beispiellose Leistung, die sogar von den Kriegsgegnern anerkannt wird. Ein Buch über das Thema trägt bezeichnenderweise den Untertitel "größte Tat der Kriegsmarine". Zugeschrieben wird die Massenevakuierung über das Meer vor allem Karl Dönitz, dem Großadmiral und Hitlers Nachfolger für wenige Tage.

Tatsächlich aber nutzt Dönitz nur die jahrelangen Vorbereitungen Hitler-Deutschlands, die sogenannte Kurland-Armee - rund 600.000 Mann - im Bedarfsfall schnell und ohne Verluste über die Ostsee zu verlegen. Anfang 1945 hat sich die militärische Lage so verändert, dass von strategischer Verlegung deutscher Truppen nicht mehr die Rede sein kann. Stattdessen geht es um die Rettung der Zivilbevölkerung. Dönitz kann die für das Militär geschaffene Infrastruktur nun für die Evakuierung der fliehenden Ostdeutschen einsetzen. Der Schlüssel zur Massenrettung.

Deutschland Soldaten der Roten Armee in Königsberg (Foto: imago)
Die Rote Armee in KönigsbergBild: imago

Insgesamt sterben bei den unzähligen Ostsee-Rettungsfahrten rund 30.000 Menschen. Neben der "Wilhelm Gustloff" werden auch die "Steuben", die "Goya" und auch die "Cap Arcona" versenkt. Letztere wird versehentlich Ziel britischer Jagdbomber. An Bord: KZ-Häftlinge.

Ein Funkspruch und drei Fehlentscheidungen

Das Ende der Gustloff war vermeidbar, behaupten Marineexperten. Dass es anders kommt, liegt an drei fatalen Entscheidungen. Es fehlt der zugesicherte Geleitzug für das Schiff. Da sich rund 1000 Matrosen auf dem Schiff befinden, die so schnell wie möglich nach Kiel gebracht werden sollen, wird die Fahrt auch ohne Flankenschutz fortgesetzt.Ein winziges Torpedoboot sichert das Schiff. Entlang der Küste werden Seeminen vermutet, also wird die offene See als Route gewählt. Und weil die Gustloff seit vier Jahren nicht mehr im Einsatz ist, lässt Kapitän Wilhelm Peterson vorsichtshalber nur zwölf statt der möglichen 15 Knoten fahren. Alles zusammen genommen ist es das Todesurteil für Schiff und Passagiere. Mit Geleitschutz und entlang der flachen Küstengewässer, sowie mit höherer Geschwindigkeit hätte das sowjetische U-Boot S-13 nach Einschätzung von Militärexperten wohl kaum eine Chance auf Treffer gehabt.

Wrack der torpedierten "General von Steuben" (Foto: Orp Arctowski/Hydrograph. Inst. Marine Polen/Nat. Geogr./dpa)
Die "General von Steuben" auf dem Grund der OstseeBild: Orp Arctowski/Hydrograph. Inst. Marine Polen/Nat. Geogr./dpa

Ein Funkspruch und der fehlende Überbringer

Auch 70 Jahre nach der Katastrophe gibt die Gustloff noch Rätsel auf. War es Sabotage, dass drei Stunden vor dem ersten Torpedoeinschlag eine mysteriöse Funkmeldung auf die Kommandobrücke gelangte? Jedenfalls wird das Schiff vor mehreren Minensuchern "gewarnt", die angeblich frontal auf die Gustloff zulaufen würden. Um eine Karambolage im Schneegestöber zu vermeiden, lässt der Kapitän Positionslichter setzen. Anderthalb Stunden Festbeleuchtung, aber keine Minensucher. Ein Ziel für die russische S-13 wie auf dem Präsentierteller.

Es spricht viel für die Theorie, dass sogenannte "gewendete" deutsche Kriegsgefangene, die von den Sowjets per Fallschirm hinter den deutschen Linien abgesetzt wurden, hinter der Falschmeldung steckten. Ein grauenhafter Gedanke für Heinz Schön. Er war damals Zahlmeister-Aspirant auf der Gustloff und gerade 18 Jahre jung. Obwohl einer der wenigen Überlebenden des Grauens, nennt Schön die Torpedierung des Schiffes kein Kriegsverbrechen. Das Schiff hatte Soldaten an Bord, fuhr mit grauem Tarnanstrich und war leicht bewaffnet. Der Beschuss war durch das Kriegsrecht gedeckt.