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Unruhen im Kosovo

Bahri Cani6. Juni 2012

Zwei deutsche KFOR-Soldaten wurden im Kosovo durch Schüsse verletzt - bei einer Auseinandersetzung mit serbischen Demonstranten. Der kosovarische Außenminister Enver Hoxhaj kritisiert im DW-Interview Serbiens Politik.

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Ein Kosovo-Serbe redet mit deutschen KFOR-Soldaten nach dem Zusammenstoß (Foto: REUTERS)
Bild: Reuters

Wie ist die Lage im Norden des Kosovo nach den Krawallen, die es gegeben hat?

Wir verurteilen die Angriffe von Paramilitärs und Spezialeinheiten aus Serbien gegen KFOR- und NATO-Soldaten. Diese Truppen sind vor allem da, um die Bewegungsfreiheit der Menschen zu gewährleisten. Hinter den Barrikaden (Anmerkung der Redaktion: seit dem Sommer 2011 wurden diese an Grenzübergängen und wichtigen Transitrouten errichtet) im Norden Kosovos steht die serbische Regierung, denn diejenigen, die die Barrikaden aufgebaut haben und die zuerst nicht zulassen wollten, dass sie weggeräumt werden, sind Einheiten der serbischen Polizei, Einheiten der Sicherheitskräfte, Paramilitärs - und nicht einfache Bürger.

Sie meinen also, dass dahinter eine organisierte Organisation oder Institution aus Serbien steckt - und nicht die Serben aus der Stadt Mitrovica?

Es ist ziemlich klar, dass Serbien seit zwölf, 13 Jahren in diesem Teil des Kosovo unsere Souveränität verletzt. Hier gibt es eine massive Anwesenheit der serbischen Polizei, der serbischen Sicherheitskräfte. Und natürlich werden sie von der serbischen Regierung finanziert, geführt und kontrolliert. Und hinter den Barrikaden steht auch die Regierung in Belgrad.

Am 1. Juni sind zwei deutsche Soldaten verwundet worden. Wie wird es weitergehen, damit so etwas nicht mehr passiert?

Ich glaube, dass alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, die Institutionen in Brüssel und die internationale Gemeinschaft Druck ausüben sollten, damit Serbien seine illegale Sicherheitspolizei und andere Strukturen aus dem Nordkosovo zurückzieht. Denn von der Lage im Nordkosovo hängt nicht nur die Stabilität innerhalb des Landes ab, sondern auch die ganze Sicherheitsarchitektur auf dem Balkan. Die KFOR-Truppen leisten gute Arbeit. Sie sorgen für Frieden, Sicherheit und Stabilität im Kosovo und ermöglichen es allen Bürgern, sich frei zu bewegen.

Wie kann man die Lage im Norden des Kosovo lösen?

Porträt des kosovarischen Außenministers Enver Hoxhaj (Foto: DW)
Enver Hoxhaj, der kosovarische AußenministerBild: DW

Wenn wir vom Norden sprechen, meinen wir drei Gemeinden, in denen es seit zwölf Jahren keine demokratischen Wahlen mehr gab, keine demokratische Teilnahme an Institutionen. Und in diesen drei Gemeinden gibt es Bürger, die von den Sicherheits- und Polizeikräften der Republik Serbien daran gehindert wurden, mit der Regierung in Pristina zusammenzuarbeiten. Wir haben es in den letzten vier Jahren geschafft, als unabhängiges Land alle Minderheiten - einschließlich der serbischen - sehr gut auf lokaler und auf zentraler Ebene zu integrieren. Kosovo ist heute ein multiethnisches, demokratisches Land. Aber Belgrad versucht dort die Situation eines "eingefrorenen Konfliktes" zu schaffen, um andere territorialen oder politischen Ansprüche umzusetzen. Wir sind bereit, die serbische Minderheit im Norden wie im restlichen Land zu integrieren. In den vergangenen fünf Jahren haben wir es geschafft, dass Hunderttausende Kosovo-Serben auch im Parlament vertreten werden. Und das Gleiche sollte auch im Norden geschehen: eine Umsetzung des Ahtisaari-Plans: Der bietet den Kosovo-Serben und anderen Minderheiten Rechte wie keiner anderen Minderheit in Europa.

Der Ahtisaari-Plan ist von Serbien abgelehnt worden. Gibt es eine Möglichkeit für weitere Verhandlungen auf Basis dieses Plans oder gar für die Teilung des Nordens des Kosovo?

Für uns kommt eine Abtrennung des Nordens nicht in Frage! Die Grenzen auf dem Balkan können nicht geändert werden, denn wenn sich die Situation im Nordkosovo in diese Richtung entwickelt, würde die ganze Region in eine Situation wie vor 20 Jahren zurückkehren. Jeder Staat auf dem Balkan hat eine ethnisch geteilte Region, das bedeutet: Bei einer Teilung würde es zu einer Kettenreaktion kommen. Es gibt gar keinen Konflikt zwischen der kosovarischen Regierung und den Bürgern im Norden, sondern die Anwesenheit von illegalen serbischen, staatlichen Strukturen in dieser Region ist für uns nicht akzeptabel.

Wann wird der Dialog zwischen Belgrad und Pristina weitergehen?

Was den technischen Dialog betrifft, sind von März 2011 bis März 2012 sieben Abkommen erreicht worden. Aber leider wurde die Mehrheit dieser Abkommen nicht umgesetzt. Und unsere Stellung als Regierung ist ziemlich klar: Solange diese Abkommen nicht umgesetzt werden, wird es auch keine weiteren Treffen in Brüssel geben, weil die Glaubwürdigkeit des Prozesses in Frage gestellt wird. Abkommen sind nicht gut, wenn sie auf dem Papier bleiben. Sie sind dann wichtig für die Bürger, wenn sie auch umgesetzt werden. Für uns sind Abkommen zur regionalen Zusammenarbeit und das hinsichtlich einer integrierten Grenzverwaltung zentral: Für die Republik Kosovo und die Republik Serbien muss es ein europäisches Modell geben, um eine gemeinsame Grenze auch gemeinsam zu verwalten.

Wird der Dialog also erst fortgesetzt, wenn die Verträge umgesetzt worden sind?

Für uns ist es von zentraler Bedeutung, jene Abkommen, die wir erreicht haben, umzusetzen. Das ist eine Voraussetzung, dass es dann weitere Treffen in Brüssel gibt. Ich gehe davon aus, dass auch die Institutionen in Brüssel diesbezüglich Druck auf Belgrad ausüben werden.

In Belgrad ist ein neuer Präsident gewählt worden, nämlich Tomislav Nikolic. Hat Sie das überrascht? Und was erwarten Sie von ihm?

Das war eine Entscheidung der Bürger in Serbien. Es bleibt abzuwarten, was diese Änderung an der Spitze des serbischen Staates für Kosovo und für die Region bedeutet. Tomislav Nikolic bringt eine sehr belastende Vergangenheit mit sich. Gleichzeitig trägt er eine große Verantwortung, ob Serbien ein europäisches oder anti-europäisches Land sein wird. Und am besten wissen die Bürger im Kosovo, in Bosnien und in Kroatien, was ein anti-europäisches, was ein anti-demokratisches Serbien bedeutet. Es bleibt zu hoffen, dass der neue Präsident sich zeitgemäß verhalten wird – und nicht vergisst, dass wir im Jahre 2012 leben, nicht 1992. Für uns ist wichtig, herauszufinden, ob er nur seine Rhetorik verändert hat oder ob es inhaltlich eine substantielle Änderung seiner Politik geben wird.