1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

“Wir sind keine Cowboys”

Klaus Esterluß8. Oktober 2013

Günter Mitlacher vom WWF Deutschland über den Einsatz für globale Ökosysteme, langfristiges Engagement und warum der Schutz der Biodiversität mindestens so systemrelevant ist wie die Bankenrettung.

https://p.dw.com/p/19ufg
Schmetterling sitzt auf einem Blatt (Foto: AP)
Bild: AP

Es gibt verschiedene Bezeichnungen für biologisch relevante Regionen der Erde, die verschiedene Umweltschutz-Organisationen für besonders schützenswert erachten. Gemeinsam ist allen, dass sie Brennpunkte der Artenvielfalt im Auge haben. Der World Wide Fund for Nature (WWF) schließt mit dem Begriff ‘Global 200' ganze Landschaften mit ein und damit ein größeres Spektrum als beispielsweise Conservation International, die den Begriff der ‘Biodiversitäts-Hotspots' geprägt haben.

Global Ideas: Herr Mitlacher, was genau versteht der WWF unter ‘Global 200'?

Günter Mitlacher: Bei den ‘Global 200' des WWF geht es um ganze Ökosysteme. Es geht um natürliche Waldflächen, den Amazonas beispielsweise, oder Borneo, es geht um Korallenrifffe im Pazifik und anderswo oder etwa um die gesamte Region Madagaskar. Wir untersuchen, ob Landschaften dazu beitragen, die biologische Vielfalt global zu erhalten. Das bedeutet natürlich, dass es auch Regionen gibt, die nicht in die 200 hinein fallen. Das widerum bedeutet natürlich nicht, dass da kein Naturschutz betrieben werden muss.

Nehmen wir das Beispiel tropischer Regenwälder. Hier leben 50 Prozent der weltweiten Arten. Allein daher sind die besonders wichtig. Dagegen gibt es in Deutschland beispielsweise zwar endemische Arten, also Arten, die es nur hier gibt. Die zu schützen ist auch wichtig, aber sie haben keine globale Priorität.

Wie werden die ‘Global 200' geschützt?

Die Ansätze sind in allen Regionen ähnlich. Es geht darum, große Schutzgebiete, Nationalparks, zu schaffen. Die Arbeit mit der lokalen Bevölkerung gehört dazu. Ein Beispiel sind die Pygmäen im Kongo, die im zu schützenden Wald leben und deren Umwelt erhalten werden muss. Wir würden uns dagegen wehren, wenn der Wald abgeholzt werden soll, Minen oder Ölbohrungen geplant werden. Für Wälder, die intensiver genutzt werden können, weil sie nicht akut bedrohte Gebiete sind, versuchen wir eine nachhaltige Forstwirtschaft einzuführen. Wenn etwa Lizenzen zur Waldrodung vergeben werden, dann kaufen wir die Lizenzen auf oder versuchen die Forstfirmen zu überzeugen, die Wälder nicht raubbauartig abzuernten. Alles spielt sich innerhalb von Regionen ab, wo Menschen leben, wo gewirtschaftet wird. Die Menschen wollen ihren Lebensstandard verbessern oder halten und das passiert oft nur auf Kosten der natürlichen Ressourcen. Davon müssen wir weg.

Porträt Günter Mitlacher (Foto: Mitlacher/WWF)
Günter Mitlacher leitet den Bereich Internationale Biodiversitätspolitik beim WWF DeutschlandBild: privat

Wie bekommen Sie die Regierungen der Länder ins Boot?

Natürlich geht es nicht ohne die Regierungen. Wir sind ja keine Cowboys, die irgendwo einreiten und dann machen wir was. Es gibt immer Vereinbarungen. Wie lange es dann dauert, bis man tatsächlich aktiv werden kann, ist immer unterschiedlich. Bei einer Regierung wie in Brasilien stoßen Sie eher auf offene Ohren, weil das Land selbst seinen Wald erhalten will. In Afrika auf der anderen Seite, mit oft instabilen Regierungen, da weiß man nie genau, wie lange sich diese Regierungen überhaupt im Amt halten. Hier kommt für uns auch das Auswärtige Amt [der Bundesrepublik Deutschland] ins Spiel, das einschätzen kann, ob deutsches Engagegment überhaupt sinnvoll ist.

Wie können Sie überwachen, ob und wie sich die 200 Regionen entwickeln?

Die ‘Global 200' sind zum Teil gefährdet. Aber wir sehen Ergebnisse. Ob die ausreichen, ob wir unser Ziel erreichen, das müssten wir in zehn Jahren sehen. Das Problem ist, dass immer sehr kurzfristig gedacht wird. Aber die ökologischen Prozesse spielen sich in ganz anderen Zeitepochen ab. Wie man das zusammenbringt, darauf haben wir noch keine richtige Antwort. Sie können viele Projekte machen, drei Jahre oder über fünf Jahre, aber was danach kommt, dafür interessiert sich dann keiner mehr. Das Projekt ist abgeschlossen und damit erledigt.

Gnuherde im Nebel in der Savanne (Foto: Axel Warnstedt/DW)
Beim Schutz von Tierpopulationen lassen sich auch kurzfristig Erfolge erzielen

Wenn ich auf Populationen gucke, dann sind durch Erhaltungsmaßnahmen auch kurzfristig Erfolge möglich. Ein Beispiel ist der Elefantenschutz in Afrika. Hier haben wir sehr intensiv gearbeitet, der Elfenbeinhandel wurde verboten, es gibt ein Schießverbot, die Populationen sind wieder gewachsen. Nun gibt es aber im Moment das große Problem der erneuten, marodierenden Rebellengruppen, die Elefanten schießen und Elfenbein nach China exportieren.

Wie bleibt man in solchen Situationen bei der Stange?

Es ist ein Kampf gegen Windmühlen. Für die Ökosysteme geht es vor allem darum, Zeit zu gewinnen. Wir kaufen also nicht so sehr Erfolge, wir kaufen Zeit. Diese Zeit können wir nutzen, damit wir das Thema weiter adressieren können. Es ist ja nicht nur ein Luxusproblem, das wir hier haben, sondern wir merken inzwischen, dass Klimawandel und Veränderungen an den Ökosystemen die Grundlagen des menschlichen Wirtschaftens betreffen. Es schlägt auf die ökonomische Situation und auch auf die Ernährungssituation zurück. Es gibt immer mehr Menschen, die Lebensräume werden immer kleiner. Wir gewinnen mit unserer Arbeit mehr Zeit, um Strategien gegen Klimawandel und Biodiversitätsverlust zu entwickeln und zu justieren.

In welchen Regionen der Welt sind sich die Menschen ihrer Verantwortung am ehesten bewusst?

Die europäischen Länder haben inzwischen sicher ein hohes Bewußtsein, Brasilien oder Indien auch. Die Länder merken schon, dass sie etwas tun müssen, weil sie die Auswirkungen spüren. In der Regel geht es ja immer zuerst darum, dass es wirtschaftlich aufwärts geht, alles andere ist erstmal zweitrangig. Wir müssen lernen, uns einzuschränken. Im Augenblick leben wir auf Kosten des Planeten, wir verbrauchen, weltweit gesehen, anderthalb Mal von dem, was die Erde bieten kann. Wie nannte man das in der Bankenkrise? Systemrelevant! Es wurden systemrelevante Banken erhalten. Ich würde sagen, dass die ‘Global 200' unsere systemrelevanten Regionen sind, die brauchen wir, um das Leben aufrecht zu halten.

Wenn wir in die Zukunft blicken, im Jahr 2050, wo stehen wir?

2050 haben wir in Europa unseren globalen Fußabdruck um 50 Prozent reduziert, wenn wir gut sind, wir haben die wichtigsten Ökoregionen bis dahin noch erhalten und es gibt nach wie vor große Regionen, die sich auf natürliche Weise entwickeln und in denen auch Menschen leben. Ob wir aber den Tiger beispielsweise noch haben, kann ich nicht sagen. Es werden immer weiter Arten ausgerottet werden. Pessimistisch wäre es, wenn wir genauso weiter machen, wie bisher. Aber ich glaube an einen Kipp-Punkt, an dem das Bewusstsein, dass alle aktiv werden müssen, um die Ökosysteme zu erhalten und gegen den Klimawandel vorzugehen, da sein wird. An diesem Kipp-Punkt arbeiten wir ja gerade. Möglicherweise werden es zuerst die Unternehmen sein, die merken, dass die Ressourcen nicht mehr reichen und damit ihr Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert. Die begreifen das eher als die Politiker.

Nahaufnahme eines Tigers (Foto: dpa)
Gibt es den Tiger noch, wenn alle in 50 Jahren verstanden haben, was auf dem Spiel steht?Bild: picture-alliance/dpa

Die Fragen stellte Klaus Esterluss