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"Wir sind noch immer kein Einwanderungsland"

27. August 2010

Dirk Bathe meint, dass der Mentalitätswandel in Deutschland noch immer zu langsam voran kommt.

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Themenbild Pro und Contra (Grafik: DW)
Bild: DW

Es kommt ganz darauf an, was man unter Integration versteht. Manche, wie der umstrittene SPD-Politiker Thilo Sarrazin, reduzieren der Begriff auf Schlagwörter: auf Sprache, Schulabschluss, Kopftuch. In dieser Reduzierung steckt System. Denn wenn man Integration als reines Funktionieren von Teilen versteht, die man nur passend machen muss, damit sie sich unauffällig einfügen, dann gibt es genug Integrationsmöglichkeiten - Sprachkurse, Berufsförderung, Frauenberatungsstellen als Beispiel.

Und trotzdem fühlen sich viele Menschen mit Migrationshintergrund unwohl in Deutschland. Warum? Konkrete Angebote sind die eine Seite - die Atmosphäre die andere Seite der Integration. Neulich auf dem Kölner Bahnsteig. Ein BGS-Beamter winkt herablassend mit gekrümmtem Zeigefinger eine junge Inderin zu sich heran - als einzige aus dem Pulk der Reisenden - und fragt im schneidigen Ton nach der Aufenthaltserlaubnis. Die sie nicht vorweisen kann, weil sie in Deutschland geboren wurde, einen deutschen Pass und einen deutschen Hochschulabschluss hat, wie sich herausstellte.

Warum eigentlich werden dunkelhäutige Reisende so oft und selbstverständlich von Bahnmitarbeitern geduzt? Ja, es gibt einen Anti-Diskriminierungsparagrafen - und es gibt die diskriminierende Realität bei der Vermietung von Wohnungen, der Vergabe von Jobs, dem Durchlass an der Diskotür.

Sicherlich, Integration ist keine Einbahnstraße. Es ist absolut nicht hinnehmbar, dass jeder dritte Schüler türkischer Herkunft ohne Abschluss die Schule verlässt. Das liegt an den Eltern, dem sozialen Umfeld, an den Schülern selbst. Aber auch daran, dass die deutsche Gesellschaft Jahrzehnte lang gar kein Interesse an Integration hatte. Und erst jetzt - in der Enkelgeneration - ist Deutschland aufgewacht und fängt an sich zu kümmern, zeigt Interesse an den zu Integrierenden.

Doch zu vieles ist noch halbgar. An zwei von vielen Beispielen zeigt sich, dass der Mentalitätswandel in Deutschland hin zu einem freiwilligen Einwanderungsland noch immer zu langsam voran kommt: Kinder von Bürgerkriegsflüchtlingen werden kurz vor oder nach ihrem Schulabschluss in das Heimatland ihrer Eltern abgeschoben. Abschlüsse gut ausgebildeter ausländischer Fachkräfte werden nicht anerkannt, die Betroffenen zu Arbeiten in gering qualifizierten Tätigkeiten verdammt.

Da haben Betroffene den Eindruck, in Deutschland nur eine vage Existenz zu haben, für die es sich nicht lohnt, ein Bürger zu werden. Integration ist kein Passendmachen von kleineren Teilen für das große Ganze. Integration ist der Zusammenhalt von Teilen in einem großen Ganzen.

Autor: Dirk Bathe
Redaktion: Kay-Alexander Scholz