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Politik

"Wir werden nirgendwo hingehen"

12. April 2017

Das neue Hochschulgesetz in Ungarn gefährdet die Unabhängigkeit der liberalen Budapester Central European University. Rektor und Präsident Michael Ignatieff fordert im DW-Interview zum Widerstand auf.

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Central European University Budapest bedroht
Bild: DW/F. Hofmann

Deutsche Welle: Die ungarische Regierung argumentiert, sie habe nichts gegen den ungarischen Teil Ihrer Universität, aber sehr wohl gegen den US-amerikanischen, weil der sich ihrer Kontrolle entzieht. Was halten Sie von diesem Argument?

Michael Ignatieff: Sie können unsere Institution nicht in zwei Teile spalten. Wir sind hier seit 25 Jahren. Wir sind eine ungarische genauso wie eine amerikanische Institution, wir sind auch eine europäische Institution. Man kann uns nicht teilen, das funktioniert nicht. Es ist ein Angriff auf unsere Freiheit und dagegen wehren wir uns.

Was stört sie genau an dem Gesetz?

Wenn in einer Demokratie - in Deutschland zum Beispiel - das Universitätsrecht verändert werden soll, wird die betroffene Institution einbezogen. Man redet, man wird rechtzeitig vorgewarnt, es wird diskutiert. Wir hatten nichts davon. 

Warum gerade jetzt dieser Angriff auf Ihre Universität?

Fragen Sie den ungarischen Ministerpräsidenten! Ich habe keine Ahnung. Wir stehen jeden morgen auf und machen, was Universitäten eben so tun. Wir lehren mittelalterliche Geschichte oder politische Philosophie. Wir machen exakt das Gleiche, was auch die renommierten Universitäten in Deutschland tun. Jeden Wochentag. Ich kann schlicht nicht verstehen, warum wir so attackiert werden. Lassen Sie mich aber bitte klar stellen, dass dies keine existentielle Bedrohung der Universität darstellt. Wir werden weiter arbeiten - unter welchen Bedingungen auch immer. Dies ist ein gezielter politischer Angriff der Regierung auf eine unabhängige Institution. Und dagegen wehren wir uns in Übereinstimmung mit vielen ungarischen Bürgern. Während der Massendemonstration am vergangenen Sonntag sind stundenlang tausende Demonstranten an unserer Universität vorbei geströmt. Das zeigt, dass die Verteidigung einer freien Institution wie der unsrigen Wirkung zeigt quer durch die ungarische Gesellschaft.

Central European University Budapest bedroht
Zehntausende Ungarn protestierten am Wochenende gegen ein mögliches Aus der CEUBild: DW/F. Hofmann

Der ungarische Ministerpräsident Orbán hat angekündigt, er wolle eine iliberale Gesellschaft in Ungarn formen. Gibt es eine Verbindung zwischen diesem politischen Projekt und dem Angriff auf Ihre Universität?

Ich weiß nicht, was er politisch will. Das interessiert mich auch nicht. Ich weiß nicht, ob er politisch rechts steht oder liberal sein soll. Es kümmert mich auch nicht. Ich möchte in Ruhe gelassen werden. Darum geht es hier: Eine unabhängige Institution muss sich selbst verwalten können. Sich selbst verwaltende Einrichtungen sind ein Eckpfeiler von Demokratie. Und Universitäten gehören zu den ältesten selbstverwalteten Institutionen der Welt. Das ist der Wert, für den wir kämpfen. Ich habe kein Interesse an einer politischen Konfrontation mit Herrn Orbán, ich bin an seiner Ideologie nicht interessiert. Ich will alleine diese Institution verteidigen und, dass wir  zurück an die Arbeit gehen können.

Die ungarische Regierung bezeichnet die Central European University als "Soros-Universität” nach dem ursprünglichen Stiftungsgründer, dem Philanthropen und ehemaligen Börsenspekulanten George Soros – was halten Sie von dieser Bezeichnung?

Michael Ignatieff (CEU)
Rektor Michael Ignatieff Bild: DW/A.Vizi

Eine Universität dieses Namens gibt es nicht. Ich werde Fragen zu einem Ort namens "Soros-Universität" auch nicht beantworten. Dieser Ort heißt Central European University. Ich bin George Soros auch keine Rechenschaft schuldig, sondern 21 Treuhändern. Einer davon ist Gerhard Kasper, der frühere Präsident der Stanford Universität mit deutschen Wurzeln. Menschen wie ihm lege ich Rechenschaft ab. Genau deshalb ist die Universität ja eine unabhängige Institution.

 George Soros hat den Holocaust überlebt, war aus Ungarn nach Großbritannien geflohen und gründete nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nicht nur die Central European University, sondern auch die Open Society Stiftung, die Demokratie und soziale Projekte in zahlreichen Ländern Osteuropas fördert. Von ihr unterstützte Nichtregierungsorganisationen in Ungarn stehen politisch auch unter Druck. Ministerpräsident Orbán hat Anfang des Jahres angekündigt Ungarn "Soros-frei" zu machen. Was denken Sie darüber weniger als Rektor, mehr als Bürger von Budapest?

Ich bin der Rektor 24 Stunden am Tag.

Ist Orbáns Ankündigung antisemitisch?

Das sollten sie den Ministerpräsidenten fragen. Ich bin stolz auf unsere historische Verbindung zu George Soros. Was mich empört und verärgert ist, dass es keinen Ungarn gibt, der mehr für dieses Land getan hat als George Soros. Wie schon gesagt, bin ich ihm keine Rechenschaft schuldig, doch ich respektiere und verehre ihn und weise diese Angriffe gegen eine Person zurück, die in meinen Augen ein ungarischer Patriot ist. 

Wie wollen Sie jetzt weiter vorgehen?

Wir werden weiterhin unsere akademische Freiheit verteidigen und alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, damit wir in Ungarn bleiben können. Es ist ganz einfach: Ungarn ist unser Zuhause. Budapest ist unser Zuhause – und wenn sie 80.000 Menschen sehen, die für sie vor ihrer Haustür auf die Straße gehen, die sagen ‘Ihr gehört hierher‘, dann wetten Sie darauf, dass wir hierher gehören. Wir werden nirgendwo hingehen.

Michael Ignatieff (69) steht als Präsident der 1991 in Budapest gegründeten Central European University vor. Vor dem Interview kam der gelernte Historiker und ehemalige Vorsitzende der Liberalen Partei Kanadas von einer einwöchigen Reise aus Washington zurück nach Budapest. Er hatte sich im Kongress, im Außenministerium und mit Mitgliedern des Nationalen Sicherheitsrates im Weißen Haus beraten. Das neue Hochschulgesetz der rechts-nationalistischen Regierung Ungarns bedroht die Existenz der 1991 gegründeten ungarisch-amerikanischen Universität.

Das Interview führte DW-Korrespondent Frank Hofmann in Budapest.