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Yes I can!

Sophia Kabir14. März 2009

In den von der Wirtschaftskrise gebeutelten USA lechzt jeder nach Aufschwung, und Obamas Leitspruch "Yes we can" scheint auf ganz eigene Weise interpretiert zu werden. Beobachtungen zum Bodystyling Washingtoner Eliten.

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Bild: DW

Zwei zehrende Jahre Wahlkampf - Obama strahlt. Sieben Wochen im Amt - Obama strahlt. Immer wieder wurde Obamas gesundes und dynamisches Erscheinungsbild in den internationalen Medien thematisiert und bis ins kleinste Detail analysiert - bis hin zu einer ausführlichen Darstellung seines Tagesablaufes, inklusive Ernährungsplan und Sportprogramm.

Als lüfte dies sein Erfolgsgeheimnis, als hätte man seine Formel zum Erfolg entschlüsselt. Gesundheit, tägliches "Workout" am Morgen, Basketball, ausgeglichene, fettarme Ernährung - und schon wird man Präsident. In einem Land, zerrissen zwischen Schönheitswahn und der weltweit höchsten Anzahl von Todesfällen wegen Fettleibigkeit, scheint Obama einmal mehr zu bestätigen, dass in den Vereinigten Staaten Erfolg unmittelbar mit dem Aussehen verbunden ist.

Sei ganz Du, aber in besser

Eine Parallele zwischen der Sportlichkeit des neuen Präsidenten und der jungen amerikanischen Elite lässt sich vielleicht am besten beobachten in Washington DC, dem politischen Zentrum der USA, dem neuem Wohnsitz Obamas und der Hochburg all jener, die Ambitionen für eine politische Karriere jeder Art hegen. Die knapp 600.000 Einwohner und täglich noch einmal so viele beruflichen Pendler sind im Durchschnitt 35 Jahre alt. Den Großteil hat es für das Studium oder einer politischen Karriere wegen nach Washington getrieben.

Bei meinen ersten Erkundungstouren in der Stadt werde ich an jeder Ecke freiwillig und unfreiwillig konfrontiert mit einem Drang nach der Perfektionierung des Selbst. Yogazeitschriften an der Kasse im Supermarkt rufen einem regelrecht entgegen: "Be the better version of yourself!", "You, but better" - Du, aber in besser sozusagen.

Yes I can!

Innerhalb kürzester Zeit ist zu spüren und am Straßenbild zu erkennen, dass Obamas "Spirit" hier nicht nur gefruchtet, sondern sich möglicherweise auch verselbstständigt hat. "Yes we can" scheint von einer ganzen aufstrebenden Generation in Washington zu einem ehrgeizigen "Yes I can" uminterpretiert worden zu sein.

In meinem - selbstverständlich jungen und angesagten - Stadtviertel um den Dupont Circle/Logan Circle reihen sich Fitnesscenter an Wellness-Oasen, Yogageschäfte an "Whole Food Läden". Jogger bepflastern die Straßen, allesamt ausgerüstet mit iPod-Kopfhörern, Wasserflasche und entschlossenem Gesichtsausdruck. Der "Fitnesstempel" in der Nachbarschaft wird frequentiert wie ein Bienenstock. Man achtet auf den Natriumanteil in der Nahrung, isst probiotisch oder folgt der Philosophie der "rawist", die sich grundsätzlich nur von Rohkost ernähren.

Meine Vermieterin Marylin Matthews, 55, die seit ihrer Kindheit in diesem Viertel lebt und den Wandel des Straßenbildes ihrer Nachbarschaft genau beobachtet und beklagt, rollt die Augen: "An manchen sonnigen Tagen muss ich mit meinem Auto Slalom um die Jogger herum fahren. Eines Tages werde ich einem dieser Jogger doch noch mal ein Bein stellen. Wirklich, ich tue es!"

Kleiner Halt in Zeiten der existenziellen Unsicherheit

Durch Zufall ins Gespräch geraten mit einem Mitglied dieser rennenden Spezies, spreche ich ihn auf die Beobachtung an, dass es in dieser Stadt von Joggern nur so wimmelt. Die Ehrlichkeit seiner Antwort überrascht: "Wir wollen alle 'Alphas' sein und das muss sich auch in unserem Aussehen widerspiegeln."

"Alphas" - die Assoziation mit dem Begriff Alpha-Mensch ist da nicht weit hergeholt. Auch wenn die Gesundheitsobsession in den USA kein neuartiges Phänomen darstellt, drängen sich mir einige Fragen auf. In einer Zeit, in der Alpha-Menschen nahezu täglich zu Betas, Gammas oder gar Deltas degradiert werden, ist Individualismus und Selbstperfektionierung womöglich ein kleiner Halt in Zeiten der existenziellen Unsicherheit.

Die Hoffnung nach Aufschwung beginnt bei jedem selbst

Die amerikanische Mentalität, dass alles möglich und zu erreichen ist, wenn man nur an sich glaubt, scheint unter der jungen politischen Elite in Washington zu boomen. Vermutlich aufgrund des perfekten vorgelebten Beweises: der erste afroamerikanische Präsident der Vereinigten Staaten - jung, sportlich, charmant - ein typischer "Alpha-male", eine "Alpha- Physiognomie" und in "Alpha-shape".

Während Mädchen mit Yogamatten unter dem Arm den Zustand von Bio-Äpfeln begutachten, strahlt das perlenweiße Lachen des Präsidenten von einem überlebensgroßen Plakat der Hauswand neben dem Whole Food-Laden auf mich herab. Die Betitelung des Plakates ist simpel: "Hope!"

Einen kleinen Moment lang könnte man sich bei diesem Anblick, in diesem Viertel, in dieser Stadt, zu so etwas wie Hoffnung nach Aufschwung hinreißen lassen: "Yes they can", jedenfalls schon mal bei der Fitness.