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Wirklich alternativlos?

18. Januar 2011

Nun kann man natürlich kalauern: War "alternativlos" bei der Wahl zum "Unwort des Jahres" wirklich alternativlos? Beim ersten Hören klingt es doch eher unspektakulär.

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Unwort des Jahres 2010 alternativlos
Bild: picture alliance/dpa

Wo ist hier das Böse, das Kränkende oder gar Menschenverachtende in der Sprache, das die Jury des Unworts doch immer brandmarken soll? Wenn ich da an "Kollateralschaden" oder "Humankapital" denke, Toppbegriffe aus dem Wörterbuch der Volksverdummung, dann erscheint mir alternativlos eher harmlos.

Und überhaupt: Geht denn das? Ich meine, wenn etwas alternativlos ist, dann kann man das doch sagen. Und wenn es nicht stimmt, wenn es Alternativen gibt, dann hat der Sprecher eben gelogen – und kein Unwort benutzt. Sonst könnte man ja auch konkurrenzlos, mittellos, bedenkenlos oder hoffnungslos zum Unwort des Jahres wählen.

In einer Demokratie werden Entscheidungen getroffen

ILLUSTRATION - Das Unwort des Jahres 2010, 'alternativlos', mit Scrabble-Buchstaben gelegt (Foto: Jens Büttner dpa)
Bild: picture alliance/dpa

Ich glaube, man muss sich in diesem Jahr, wenn man das aktuelle Unwort würdigen will, auf einen Gedankengang der Jury einlassen, der ein bisschen komplexer ist. Denn es geht wohl weniger um das Wort selbst als vielmehr um die Tendenz seiner Verwendung im politischen Sprechen. Alternativlos ist nicht wie "Entsorgungspark" oder "Rentnerschwemme" ein Werkzeug der Verschleierung oder der Diskriminierung; es ist vielmehr Signalwort für eine bestimmte Bewusstseinshaltung.

Denn tatsächlich mag es Umstände oder Entscheidungen geben, zu denen es keine sinnvolle Alternative gibt. Aber Alternativen gibt es eigentlich immer. Und zu einer wirklich aufgeklärten und demokratischen Politik sollte es gehören, solche Alternativen auch zu bedenken und zu diskutieren. In einer Demokratie werden Entscheidungen getroffen, meistens bewusst und meistens auf Kosten bestimmter sozialer Gruppen. Daran ist kaum etwas zu ändern; denn niemand kann es allen Recht machen. Es gibt ja sogar den Satz, die Demokratie sei die Unterdrückung von Minderheiten. Es ist daher verständlich, dass sich die Entscheidungsträger gerne in die Behauptung flüchten, ihre Entscheidungen seien alternativlos.

Es gibt immer eine Alternative

Da wird dann aus einem Entschluss, der demokratisch durchaus einwandfrei gefällt sein mag, durch die Bezeichnung als alternativlos eine Art Naturgesetz. Als sei die Errichtung eines neuen Bahnhofs oder eines Finanzrettungsschirmes so naturgewollt wie der Umstand, dass etwas, wenn ich es loslasse, zu Boden fällt.

Ist es aber nicht. In der Politik gibt es immer Alternativen. Und wer sie für sinnlos oder falsch oder gefährlich oder ruinös hält, der sollte das genau so sagen und für seine Überzeugung einstehen. Dann wäre etwas nicht in einem höheren Sinne alternativlos, sondern in einem persönlichen Sinne ganz einfach die beste Wahl.

Ich glaube, die Jury hat in diesem Jahr sehr gute Arbeit geleistet – vorausgesetzt das neue Unwort des Jahres wird nicht nur als solches zur Kenntnis genommen, sondern eingehend bedacht. Es ist nämlich ein harmloses kleines Wort, eigentlich eine Unschuld vom Lande, aber es lässt sich leicht vor einen gefährlichen Karren spannen. Von dieser Wahl geht die Aufforderung aus, gerade das unauffällige Alltagssprechen genauer zu betrachten. Denn die großen Sprachskandale sind nicht die lautesten, sondern die, die womöglich keiner bemerkt.

Autor: Burkhard Spinnen
Redaktion: Gabriela Schaaf

Burkhard Spinnen, geboren 1956, schreibt Romane, Kurzgeschichten, Glossen und Jugendbücher. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet. Spinnen ist Vorsitzender der Jury des Ingeborg-Bachmann-Preises. Zuletzt ist sein Kinderbuch "Müller hoch Drei" erschienen (Schöffling).