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WM auf Chinesisch

Kristina Reiss17. September 2007

Knipsen, bis die Speicherkarte glüht: Weshalb deutsche Fans für Chinesen interessanter sind als kickenden Damen selbst.

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Letzten Montag im Schanghaier Hongkou-Stadion: Das erste Spiel der Frauen-Fußball-WM, Deutschland – Argentinien. Wenige Minuten bevor die Eröffnungszeremonie losgeht, kommen wir abgehetzt auf unseren Rädern an und erstehen auf dem Schwarzmarkt schnell noch Eintrittskarten. Zwei Tickets zum Preis für eines (30 Euro), super Plätze. Die Auswahl ist groß, die Schwarzmarkthändler überbieten sich, die Preise fallen rapide. Im 32.000 Zuschauer fassende Stadion ist längst nicht jeder Platz besetzt – auch wenn das im Nachhinein sämtliche deutschsprachigen Medien behaupten. Tatsächlich sieht man viele freie Sitze.

Weiße Oberteile für die Stimmung

Das Stadion ist fest in deutscher Hand: Fahnen, Tröten, Wimpel, sogar ein paar schwarz-rot-goldene Perücken sind auszumachen. Alle scheinen ihre Utensilien von der letztjährigen Weltmeisterschaft aus dem Schrank gekramt zu haben. Nur ich bin schlecht ausgerüstet. Doch zum Glück hat der kleine Fan-Shop ein deutsches Mini-Fähnchen im Angebot. So ausgerüstet mischen wir uns unter die Fans: Aufgekratzte, laut singende Deutsche, Chinesen mit schwarz-rot-goldenen Strichen auf der Wange. Argentinische Fans muss man mit der Lupe suchen. Dafür sind ganze Blöcke mit chinesischen Schülern besetzt - unschwer zu erkennen an ihrer Schuluniform mit den weißen Oberteilen. Sie sind fürs Stimmung machen ins Stadion beordert worden. In regelmäßigen Abständen werden sie dazu angehalten, rhythmisch zu klatschen.

Doch die Zuschauer auf diese Weise zu animieren, ist eigentlich gar nicht notwendig: Mit jedem im Minutentakt fallenden Tor werden die Schlachtgesänge der deutschen Fans ausgelassener. Während sie voller Spannung gebannt auf den Rasen blicken, interessieren sich die chinesischen Zuschauer allerdings längst nicht mehr für das Spielgeschehen - zumal es zur Halbzeit bereits 5:0 für Deutschland steht und die Argentinierinnen völlig chancenlos bleiben. Stattdessen starren die Chinesen die seltsamen Deutschen auf den Zuschauerrängen an, diese doch eher als unterkühlt geltenden Westler, die nicht gerade für Gefühlsausbrüche bekannt sind und normalerweise alles dafür geben, um bloß nicht bei Karaoke das Mikrofon in die Hand gedrückt zu bekommen und ein Lied zum Besten geben zu müssen. Hier im Stadion aber hüpfen sie erstaunlicherweise völlig begeistert auf und ab und hören gar nicht mehr auf "Oh, wie ist das schön" zu singen.

Am Ende fast alleine

Handys werden gezückt, Digitalkameras hervor gekramt, einer hat sogar eine Videokamera dabei, um das denkwürdige Ereignis festzuhalten – wohlgemerkt, nicht das sensationelle 11:0 der deutschen Fußballerinnen, sondern die singenden und tanzenden deutschen Fans. Besonders beliebt ist das Motiv "Ich, inmitten ausgeflippter Deutscher", bei dem sich die Chinesen gegenseitig zwischen den Westlern ablichten. Als die Speicherkarten voll sind und jedes Motiv im Kasten ist, machen sie sich auf den Heimweg. Beim Schlusspfiff sind die paar Tausend deutschen Fans im Stadion fast alleine. Im Fernsehen wird es später aussehen, als ob das Stadion bis zum letzten Platz besetzt ist.