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Politik

Wo sind die Dschihadisten?

15. Dezember 2017

Nach der Niederlage der Terrororganisation "Islamischer Staat" sind viele Kämpfer untergetaucht. Einige halten sich in der Region auf, andere reisen offenbar nach Europa. Die Sicherheitsbehörden sind alarmiert.

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Dschihad-Kämpfer im Irak
Bild: picture-alliance/AP Photo

Wo immer sie sind: Die britischen Dschihadisten sollten niemals mehr in ihre Heimat zurückkehren dürfen. Es sollte alles getan werden, um ihre Rückkehr zu verhindern, erklärte vor wenigen Tagen der britische Verteidigungsminister Gavin Williamson. Darum, deutete er an, würden britische Dschihadisten in Syrien und im Irak auch gezielt ins Visier genommen. "Wir müssen dafür sorgen, dass sie sich über Syrien und Irak und andere Regionen verteilen. Wir jagen sie dort weiter", so Williamson. "Ein toter Terrorist kann Großbritannien keinen Schaden mehr zufügen."

Die offenen Worte des Ministers artikulieren eine Sorge, die europäische Sicherheitsbehörden seit einigen Wochen verstärkt umtreibt: Wohin gehen die überlebenden Kämpfer der Terrororganisation "Islamischer Staat", nachdem diese nun sowohl in Syrien als auch im Irak besiegt ist? Die Verteidigungsministerien beider Länder hatten das Ende des IS offiziell bestätigt.

"Die Befreiung von Deir ez-Zor vollendet die vollständige Eliminierung der Terrororganisation ISIS", ließ das syrische Verteidigungsministerium verlauten. "Mit der Niederlage hat der IS vollständig seine Fähigkeit verloren, terroristische Operation seiner einzelnen Gruppen zu dirigieren, die sich nun isoliert und umzingelt in ländlichen Gebieten rund um die Stadt aufhalten." Und das irakische Verteidigungsministerium erklärte, man habe die übrig gebliebenen Kämpfer wissen lassen, dass sie nur zwei Möglichkeiten hätten: "Entweder sie sterben oder sie ergeben sich unseren heldenhaften Einsatzkräften."

Irak Militärparade in Bagdad Premierminister Haider al-Abadi
Der irakische Premierminister Haider al-Abadi bei einer Militärparade in Bagdad nach dem Sieg über den "IS" Bild: Retuers/Iraqi Prime Minister Media Office

Gerüchte um Absprachen zwischen USA und "Islamischen Staat"

Der selbstbewusste Ton der Verlautbarungen kann aber über eines nicht hinwegtäuschen: Man weiß derzeit nicht, wie viele IS-Kämpfer aus Syrien und dem Irak entkommen konnten und wohin sie geflohen sind. Für Verwirrung und Widerspruch sorgten in der vergangenen Woche die Behauptungen eines ehemaligen Kommandeurs der oppositionellen Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), Talal Silo. Einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters zufolge hatte Silo erklärt, nach der Eroberung der syrischen Stadt Rakka Mitte November hätten "tausende" IS-Kämpfer diese verlassen dürfen - und nicht nur das: Die USA hätten ihrer Freilassung in einer geheim gehaltenen Nachricht ausdrücklich zugestimmt. Die USA dementierten umgehend: Die Behauptungen Silos seien "falsch und frei erfunden". Man mache keine Geschäfte mit Terroristen, hieß es seitens des US-Militärs.

Die britische BBC zitierte derweil einen offensichtlich zu den IS-Terroristen gehörenden Fahrer. Der sprach von einem sieben Kilometer langen Zug, bestehend aus rund 50 LKWs, 13 Bussen und rund hundert Wagen des IS, beladen mit Kämpfern und Munition.

Zweifelsfrei feststellen lässt sich weder, wie viele IS-Terroristen geflohen sind, noch wo sie sich derzeit aufhalten. Sie fürchte, einige könnten sich in die Türkei abgesetzt haben, erklärte die Regierung in Ankara.

Auch nach Afghanistan könnte ein Teil der Dschihadisten geflohen sein. "Es ist sehr gut möglich, dass britische Dschihadisten aus den Reihen des IS in Syrien und im Irak nach Afghanistan aufgebrochen sind", sagte Kyle Orten, vom Think Tank Henry Jackson Society. Aus afghanischen Quellen hieß es, auch Dschihadisten französischer Nationalität hielten sich in dem Land auf.

Syrien Krieg - Kämpfe in Albu Kamal gegen den IS
Die letzte Schlacht: Syrisches Militär im Kampf gegen den "IS" an der Grenz zum IrakBild: picture-alliance/AP Photo/Syrian Central Military Media

MI 5: Gefahr "dramatisch gestiegen"

Europäische Sicherheitsdienste stellen sich derweil auf die mögliche Rückkehr von Dschihadisten aus Syrien und dem Irakein. Die entsprechende Gefahr sei "dramatisch gestiegen", erklärte Mitte Oktober der Chef des britischen Geheimdienstes MI 5, Andrew Parker. "Die Bedrohung ist multidimensional, entwickelt sich schnell und in einem Maßstab, wie wir ihn bislang nicht kannten." Sorge bereite ihm neben dem hohen Tempo, mit dem die Gefahr sich entwickle auch der Umstand, dass sie sehr schwer zu entdecken sei.

"Die Gefahr ist vielfältiger als jemals zuvor", so Parker. "Einige Pläne werden im Vereinten Königreich entwickelt, andere werden von Übersee aus geleitet. Einige sind höchst komplex, bei anderen geht es um einfache Messerangriffe. Einige Attacken werden langfristig geplant, andere sind spontan. Es handelt sich um Extremisten aller Altersstufen und jeder nur denkbaren sozialen Herkunft und von beiderlei Geschlecht. Sie sind einzig durch die giftige Ideologie eines gewalttätigen Siegs vereint."

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Sorgen auch in Deutschland

Auch in Deutschland bereiten mögliche Rückkehrer den Sicherheitsbehörden Sorgen. Besonders im Focus stehen Minderjährige, die einst mit ihren Eltern in die Kampfgebiete gezogen sind. "Wir sehen die Gefahr, dass Kinder von Dschihadisten islamistisch sozialisiert und entsprechend indoktriniert aus den Kampfgebieten nach Deutschland zurückkehren", warnte Mitte November Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen. "Damit könnte auch hier eine neue Dschihadisten-Generation herangezogen werden."

Nach Angaben des Inlandsgeheimdienstes sind insgesamt über 950 Islamisten aus Deutschland nach Syrien und Irak ausgereist. Ein Fünftel von ihnen seien Frauen, fünf Prozent seien Minderjährige. Rund ein Drittel der Islamisten sei inzwischen nach Deutschland zurückkehrt. Der Verfassungsschutz spricht derzeit von 1.870 gewaltbereiten Islamisten in Deutschland.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika