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Wohlbehütet oder Pflegebatterie?

17. Oktober 2010

Jeder fünfte Bundesbürger ist bereits über 65, in 30 Jahren soll es jeder Dritte sein. Die Suche nach einem guten Heim wird aber schwieriger - immer wieder gibt es neue Vorfälle gravierender Mängel in der Altenpflege.

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Seniorenzentrum in Frankfurt (Oder) (Foto: dpa)
Nicht in jedem Altenheim werden Rentner gut umsorgtBild: dpa

Für die meisten älteren Menschen ist es eine Horrorvorstellung: Rausgerissen werden aus der vertrauten Umgebung und ins Heim gesteckt. Zumal die Schlagzeilen über Missstände bei der Heimunterbringung nicht abnehmen. Seit Mitte des Jahres sorgen vor allem die Vorfälle in einem Mönchengladbacher Altenheim bundesweit für Aufsehen. Aufgedeckt wurden sie erst durch den Einsatz einer mutigen Mitarbeiterin und einer engagierten Reporterin der Zeitung "Rheinische Post". Das katastrophale Management im Caritas-Heim Giesenkirchen und massive Fehler bei der Pflege der Bewohner haben mittlerweile sogar die Polizei und die Staatsanwaltschaft veranlasst, in mehreren Dutzend Fällen zu ermitteln.

Obwohl die bei der Stadt ansässige Heimaufsicht die Heimleitung mehrmals aufgefordert habe, die Mängel zu beheben, sei nichts geschehen, sagt Stadtpressesprecher Dirk Rütten auf Nachfrage. "Dann gibt uns das Gesetz das Recht, auch mit Ordnungsmaßnahmen zu reagieren. Wir haben als Heimaufsicht angeordnet, dass keine weiteren Bewohner mehr aufgenommen werden dürfen." Anzeigen gibt es inzwischen auch gegen die Leitung des Caritas-Heimes in Mönchengladbach Holt. Auf Interviewanfragen der Deutschen Welle wird von Seiten der Caritas nicht regaiert, Auskünfte werden verweigert.

Was gut ist, entscheiden die Heimbewohner!

Altenheim der Caritas in Köln (Foto: CBT GmbH)
Vorbildlich: Altenheim der Caritas in KölnBild: CBT GmbH

In Köln arbeitet Geschäftsführer Franz-Josef Stoffer ebenfalls im Dienste der Caritas als Manager für mehrere Altenpflegeeinrichtungen. Hier sieht man auf den ersten Blick, wie zufrieden die Bewohner sind. Stoffer und seine Mitarbeiter begreifen die Bewohner als Kunden, die besten Service erwarten dürfen. Keine Selbstverständlichkeit! Prognosen von Altersforschern sagen voraus, dass sich der Bedarf an Heimplätzen im Zuge der demographischen Entwicklung in Deutschland drastisch erhöhen werde. Nicht zuletzt auch, weil findige Investoren den Bau solcher Heime auf dem lmmobilienmarkt als gute Kapitalanlage entdeckt haben. Doch wo bleibt da die vielbeschworene Pflegequalität?

Stoffer hält diese Entwicklung für sehr bedenklich, denn jeder achte Deutsche lehne den Einzug in ein Pflegeheim ab. Dennoch würden weiterhin gigantische Pflegeheime gebaut - Zimmer an Zimmer, ohne Konzept dahinter. "Das sind für mich Pflegebatterien, Produktionsabläufe. Natürlich müssen wir wirtschaftlich arbeiten, aber hier geht es immer um Menschen", betont der äußerst engagierte und für seine Arbeit vielfach ausgezeichnete Altenheimmanager.

Die Pflegenoten - erster Schritt in Richtung Verbraucherschutz

Grafik mit Noten für Pflegeheime (Foto: GKV-Spitzenverband)
Fast 10.000 wurden schon bewertetBild: GKV-Spitzenverband

Um mehr Transparenz auf dem Pflegemarkt herzustellen und älteren Menschen und deren Angehörigen die Auswahl zu erleichtern, suchen die Krankenkassen gemeinsam mit den Pflege- und Sozialverbänden nach Lösungen. Sie haben vereinbart, für jedes Heim und auch jeden ambulanten Pflegedienst sogenannte Pflegenoten zu vergeben und Transparenzberichte zu erstellen. Die Berichte und Noten sind für jeden Bürger, der ein Heim oder einen ambulanten Dienst sucht, im Internet einsehbar.

Trotz aller Anfangschwierigkeiten haben sich die Pflegenoten und Berichte, die jedes Jahr nach unangemeldeten Kontrollen durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) angefertigt werden, bewährt, betont Pflegeversicherungsexperte Klaus Dumeyer vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen. "Dieses Instrument kann sehr wohl gute und schlechte Einrichtungen voneinander unterscheiden", sagt Dumeyer. "Natürlich ist es schwierig, Zuwendung zu messen." Dumeyer ist überzeugt, dass die Verbraucher von den Noten profitieren.

Sich selbst ein Bild machen

Ursula Lehr (Foto: Ursula Lehr)
Ursula Lehr fordert mehr Selbstverantwortung bei der HeimauswahlBild: Ursula Lehr

Pflegenoten und Berichte geben dem Bürger wichtige Anhaltspunkte und spornen die Anbieter zu besserer Leistung an. Pflegeexperten wie die Gerontologin und ehemalige Bundesministerin Ursula Lehr raten aber dringend, sich vor dem Einzug selbst ein genaues Bild zu machen.

Eine Möglichkeit wäre hier das Probewohnen über mehrere Wochen. Man müsse nur sehr darauf achten, was bleibe und was sich verändern könnte, warnt Lehr. "Sie können vom Bau her ein tolles Pflegeheim haben, das natürlich so bleibt. Etwas ändern könnte sich aber, wenn die Pflegeleitung wechselt." Und das seien Probleme, die kein Gütezeichen voraussagen könne.

Autor: Peter Kolakowski
Redaktion: Nicole Scherschun