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Wohnen als Big Business

Helle Jeppesen
27. Mai 2019

UN-HABITAT, das Wohn- und Siedlungsprogramm der Vereinten Nationen in Nairobi, veranstaltet erstmals eine Versammlung der Mitgliedstaaten. Ein Thema: die Lebensqualität in Städten - dort, wo das Wohnen immer teurer wird.

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Deutschland | Mieterprotest | Plakat
Bild: imago/C. Mang

"Wohnen ist keine Ware, es ist ein Menschenrecht!" - Wo auch immer die UN-Sonderberichterstatterin für das Menschenrecht auf Wohnen auftritt, nie wird Leilani Farha müde zu betonen, dass Regierungen, Städte, Kommunen und Bürger den Wohnungsmarkt zurückerobern müssen. "Wohnungen und Wohnimmobilien sind Big Business. Global gesehen ist es ein Geschäft mit einem Volumen von 163 Billionen US-Dollar. Das ist mehr als das doppelte des globalen Bruttoinlandsprodukts!", machte Farha in einem Vortrag im April 2018 deutlich. Demnächst wird sie in einem neuen Dokumentarfilm des schwedischen Journalisten und Produzenten Fredrik Gertten auch in deutschen Kinos zu sehen sein. Der Film mit dem Titel "Push" ist durch Crowdfunding entstanden und begleitet Leilani Farha auf eine Reise um die Welt, um die globale Wohnungsnot zu dokumentieren.

Wohnungen als Rendite-Objekt

Dass sich immer weniger Menschen eine Wohnung in der Stadt leisten können, hängt vor allem damit zusammen, dass Wohnungen und Wohnimmobilien heute Investitionsobjekte sind. Banken, Investmentfonds, Pensionskassen und auch große Privatinvestoren kaufen Wohneigentum auf, renovieren - und lassen die Mieten steigen: "Das ist die höchste Rendite, die man sich vorstellen kann. Das ist mehr wert als Heroin", sagt Jürgen Schramm. Er engagiert sich in der "Woge Köln", einer Genossenschaft für selbstverwaltetes, soziales und ökologisches Wohnen und berät neue Initiativen für gemeinschaftliches Bauen.

Protestbanner gegen Mietensteigerungen durch Airbnb (in Palma): "Die Stadt für die Bewohner"
Protestbanner gegen Mietensteigerungen durch Airbnb (in Palma): "Die Stadt für die Bewohner"Bild: picture-alliance/dpa/W. Rothermel

Seine Genossenschaft hat auf einem ehemaligen Industriegelände gebaut: ein Mehr-Generationen-Haus auf rund 1000 Quadratmetern. Jede Familie hat eine eigene Wohnung und alle teilen sich die Gemeinschaftsräume. Nach zwei Jahren Arbeit - mit einem hohen Eigenanteil - sind die Familien in das 3,5 Millionen teure Passivhaus eingezogen. "Jetzt treffen wir uns und kochen zusammen oder gucken Fernsehen oder nutzen mal die riesige Leinwand, um einen Film oder Fußball zusammen zu schauen. Das macht Spaß!", berichtet Jürgen Schramm.

Obendrein wohnen die Familien preiswerter als in den anderen Wohnhäusern, die auf dem Clouth-Gelände im Stadtteil Köln-Nippes entstanden sind. Durch die umfangreichen Eigenleistungen hat die Baugemeinschaft um rund ein Fünftel preiswerter bauen können als die Baugesellschaften, die teils Sozialwohnungen, teils Miet- und Eigentumswohnungen auf dem Gelände errichteten.

"Die müssen das alleine finanzieren und wir finanzieren das zusammen. Die Genossenschaft hat auch Möglichkeiten, ganz andere Zuschüsse zu bekommen", so Schramm. Vor allem: Die Genossenschaft darf keinen Profit machen, damit muss auch keiner dran verdienen. Auch in zwanzig Jahren werden die Mieten kaum höher sein als heute.

Baugrund für die Stadtkasse

Jürgen Schramm vermisst jedoch die aktive Unterstützung der Stadt für solche Wohnprojekte. Obwohl Köln zu den deutschen Städten gehört, in denen Normalverdiener es immer schwerer haben, eine bezahlbare Wohnung zu finden, wird in Sozial- oder Genossenschaftswohnungen nur wenig investiert. In den vergangenen Jahren hat die Stadt Baugrund und Häuser an finanzstarke Investoren verkauft. Das spülte deutlich mehr Geld in die Kölner Stadtkasse, als wenn die Grundstücke an Genossenschaften oder Eigentümergemeinschaften gegangen wären, die dort selbst hätten wohnen wollen.

Protest mit Gippspuppen gegen Mieterhöhungen in Berlin
Protest mit Gippspuppen gegen Mieterhöhungen (in Berlin): Ruf nach EnteignungBild: imago

"Dahinter stecken Haifische! Dahinter stecken Firmen, die nichts anderes als Geld anlegen wollen", schimpft Jürgen Schramm und verweist auf die Proteste, die in Deutschlands Hauptstadt durch Investoren wie die "Deutsche Wohnen" mit überteuerten Mieten ausgelöst wurden. 

Dort, in Berlin, wurde zuletzt der Ruf nach Enteignung der Großinvestoren immer lauter, die Proteste gegen hohe Mieten breiteten sich schnell auch in anderen deutschen Städten aus.

Mieten steigen schneller als Einkommen

Die steigende Mieten und Wohnungspreise in den Städten sind  jedoch kein deutsches Phänomen. Weltweit drängen immer mehr Menschen in die Städte - und weltweit steigen die Wohnkosten schneller als die Einkommen. Laut OECD ist das die Hauptursache für die immer weiter schrumpfende Mittelschicht. Die internationale Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung warnt, dass dies längerfristig auch Auswirkungen auf das globale Wirtschaftswachstum haben werde.

"Es ist kein deutsches Problem, es ist ein Problem von globalen Dimensionen, das dringend gelöst werden muss", sagt Gino Van Begin, Generalsekretär von ICLEI. Das ist ein weltweites Netzwerk von Städten, Gemeinden und Landkreisen, die sich dem Umweltschutz und der nachhaltigen Entwicklung verpflichtet haben. "Bezahlbare Wohnungen - oder überhaupt nachhaltiger Wohnraum - wirft vor allem die Frage auf, wie wollen wir uns entwickeln? Reden wir von einer gerechten Entwicklung, in der es um Menschen geht, oder ist dass eine Entwicklung, wo wir nur über die Reichen und die Armen reden?"

Global 3000 - Wohnungsnot Silicon Valley
Obdachlose im Silicon Valley (2018): Wohnungsnot als globales ProblemBild: ZDF

Das Problem der weltweit steigenden Mieten in den Ballungsräumen fördere auch die Entstehung von Slums, sogenannten informellen Siedlungen, so Van Begin: "Wir dürfen nicht vergessen, dass eine Milliarde Menschen weltweit gar keine Wohnung haben, sie leben in Slums."

Städte als Schlüssel für Entwicklung

Heute lebt global etwas mehr als jeder Zweite in einer Stadt - gut vier Milliarden Menschen weltweit. Im Jahr 2050 werden es zwei Drittel der Weltbevölkerung sein - die laut UN-Prognosen auf 9,8 Milliarden Menschen anwachsen werde.

Die Herausforderung, Wohnraum für 6,5 Milliarden Menschen in den Städten zur Verfügung zu stellen, ist enorm - und von den Städten selbst nicht zu leisten. Die Urbanisierung sei eine nationale und zum Teil internationale Aufgabe, sagt Van Begin. "Die Städte können und sollen nicht die Verantwortung der Staaten übernehmen", sagt er. "Aber die Städte können eine sehr wichtige Rolle spielen, um diese Ideen von nachhaltiger Entwicklung zu fördern. Sie sind letztendlich den Bürgern am Nächsten".

Investoren und Regierungen angemahnt

Zur nachhaltigen Entwicklung der Städte gehören auch bezahlbare Wohnungen, wenn sich die Ballungszentren nicht in soziale Konfliktzonen verwandeln sollen. Bereits heute gehen Menschen weltweit auf die Straße, um für das Menschenrecht auf Wohnen zu demonstrieren. Es werden Investitionen nötig, um bezahlbaren Wohnraum in den Städten zu schaffen, doch die aktuellen Erfahrungen zeigen, dass es keine Aufgabe ist, die man dem Markt überlassen kann.

Leilani Farha, UN Sonderberichterstatterin für das Menschenrecht auf Wohnen
UN-Sonderberichterstatterin Farha: "Wohnen ist keine Ware"Bild: picture-alliance/TT NYHETSBYRÅN/J. Nilsson

UN-Sonderberichterstatterin Farha hat deshalb vor kurzem den weltgrößten Wohnungsinvestor, den KonzernBlackstone, angeschrieben, um darauf aufmerksam zu machen, dass dessen Unternehmenspraktiken gegen die Menschenrechte verstoßen.

Auch die Regierungen von Dänemark, Tschechien, Irland, Spanien, Schweden und der USA hat Leilani Farha angeschrieben. In den Briefen macht sie darauf aufmerksam, dass diese Länder die Menschenrechtskonvention zum Recht auf Wohnen unterschrieben haben, dieses Recht jedoch nicht umsetzen. Sie fordert die Regierungen auf, entsprechende Gesetzesänderungen einzuleiten. Oder, wie sie es schon in ihrem Vortrag von 2018 ausdrückte: "Wenn wir das Menschenrecht auf Wohnen wiederherstellen wollen, brauchen wir umfassende Veränderungen." Wohnungen sollten als Zuhause und nicht als Kapital gesehen werden, wo in Menschen investiert werde, nicht in Vermögen.