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Millionen Euro für den Feldhamster

13. August 2018

Deutschland soll "Feldhamsterland" bleiben. Für das gleichnamige Projekt stellt Berlin 3,4 Millionen Euro bereit. Zur Rettung einer der am stärksten bedrohten Säugetierarten werden nun Hamsterschützer gesucht.

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Bedrohte Feldhamster
Nur zu Demonstrationszwecken - Biologin Melanie Albert hält einen Feldhamster im Käfig Bild: privat

"Rascheln würde helfen. Sie sind sehr neugierig. Die Tiere könnte man durchaus aus der Röhre locken", erzählt Melanie Albert. "Und sie sind eifrig. Beim Graben eines Baues sind sie meist so konzentriert, dass sie einen nahenden Feind nicht erahnen."

Feldhamster (Cricetus cricetus) werden bis zu 25 Zentimeter groß, für Füchse, Marder und Greifvögel kaum zu übersehen. Doch nur selten lassen sich Feldhamster blicken. Zum einen kommen die niedlichen nachtaktiven Tierchen erst im Schutz der Dämmerung aus ihrem Bau. Und zweitens gibt es kaum noch Exemplare der Gattung Cricetus cricetus auf Deutschlands Getreidefeldern. 

Der Feldhamster ist auf der Roten Liste der Säugetiere Deutschlands als "vom Aussterben bedroht" eingestuft. "Es besteht ein dringender Handlungsbedarf", argumentierte Beate Jessel, Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) bei der Vorstellung des Projektes "Feldhamsterland" und forderte die großflächige Umsetzung von Schutz- und Hilfsmaßnahmen, um ein Minimum an biologischer Vielfalt  sicherzustellen. Neben dem Feldhamster würden sonst auch andere Arten dezimiert, warnte die BfN-Chefin.  

Mehr dazu: Der Feldhamster im Dilemma

Bedrohte Feldhamster
Süß, aber selten - Feldhamster sucht Deckung und Nahrung im abgeernteten StoppelfeldBild: Feldhamster-AG

Melanie Albert bemüht sich mit ihren Kollegen von der Arbeitsgemeinschaft Feldhamsterschutz nach Kräften, den Feldhamster zu erhalten. Sie tat dies schon, bevor die Politik dies nun einforderte. Albert arbeitet in der Pilotregion Hessen - einer von fünf Regionen im Projekt "Feldhamsterland". Es sei ungeheuer zeitintensiv, den Feldhamster zu schützen, die Bestände überhaupt zu erfassen. Stundenlang läuft die engagierte Naturschützerin über Äcker. Bei der Kartierung von Hamsterbauen in ihrer Freizeit erfährt sie regelmäßig, wie schlimm es um die Spezies steht. Immer weniger Flächen findet sie, auf denen sie Hamstervorkommen markieren kann.

Bei Vorträgen referiert die Biologin über Lebensweise und Gefahren die den Tieren drohen. Bei Exkursionen über die Felder kann sie interessierten Laien im Idealfall charakteristischen Baue zeigen. "Sie haben einen Durchmesser von bis zu zehn Zentimetern, sind ordentlich gegraben und lassen tief in den Boden blicken. Manchmal liegt noch der Erdaushub neben dem Eingang", erklärt sie. Ihr Redefluss lässt Begeisterung erkennen.

Melanie Albert arbeitet als Feldhamster-Expertin der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz (HGON) und ist hauptamtliche Regionalkoordinatorin der Arbeitsgemeinschaft Feldhamsterschutz in Hessen. Das Projekt wird von der Bundesregierung und verschiedenen Naturschutzorganisationen gefördert und verfolgt den Zweck, Naturschützer und Landwirte über die Bedeutung des Nagers für die Natur zu informieren und über die Notwendigkeit zum Erhalt der Tierart aufzuklären.

Öffentlichkeitsarbeit für den Feldhamster

Melanie Albert bildet auch Feldhamsterschützer aus. Den Laien erklärt sie, dass die Tiere ursprünglich in der eurasischen Steppenlandschaft zu Hause waren. In klimatisch günstigen Zeiten haben sie sich dann vor Jahrtausenden bis in den Westen Europas ausgebreitet. 

Die Tiere leben in frostfreien Bauen, bis zu zwei Meter unter der Erde. Dort kann der Winterschläfer die kalte Jahreszeit überdauern ohne zu erfrieren. Zum Anlegen der tiefen Baue benötigen die Nager bestimmte Bodentypen wie fruchtbare Lehm-, Löß- oder Schwarzerdeböden ohne Staunässe. Sie ernähren sich hauptsächlich von Getreide, lieben aber auch proteinreiche Grünfutterpflanzen wie die Luzerne. Diese Hülsenfrucht-Pflanze hat zudem den Vorteil, dass sie den Tieren gute Deckung vor Fressfeinden bietet. 

 

Luzerne
Was verbindet Pferde und Feldhamster? Beide mögen Luzerne zum Futtern gern Bild: picture-alliance/blickwinkel/F. Hecker

Keine Sexmuffel, aber keine Zeit zur Reproduktion

"Stimmt es, dass Feldhamster sich nicht gerne fortpflanzen?", fragt ein Teilnehmer, worauf Melanie Albert lachen muss. Doch es klingt bitter: "Nein, ganz im Gegenteil. Sie würden gerne. Bis vor 40 Jahren waren die Bedingungen zur Vermehrung noch günstig, aber inzwischen fehlt ihnen die Zeit zur Reproduktion", erklärt die Biologin. "Theoretisch kann der Feldhamster drei Würfe mit bis zu zwölf Jungtieren pro Jahr produzieren. Das funktioniert allerdings nur noch in Gefangenschaft."

Feldhamster sind Einzelgänger, sie treffen sich nur zu Paarungszwecken. Die Bauen lassen demzufolge auf die Anzahl der Säuger schließen. Das erfahren die Teilnehmer nach der theoretischen Einweisung bei der Feldexkursion.

Aktuell bringt das Feldhamsterweibchen zwei Mal im Jahr zwei bis vier Junge zur Welt, wobei der Nachwuchs des zweiten Wurfs meist nicht mehr durchkomme, so Albert. Da das Getreide immer früher geerntet werde und hochmoderne Mähmaschinen die Halme bis zur Krume abschneiden, findet die Hamstermutter schlicht kein Futter für ihren Nachwuchs. Nach vier Wochen, wenn die Mutter ihre Jungen aus dem Bau jagt, sind sie im kahlen Feld Beutetieren schutzlos ausgesetzt. Das Anlegen eines eigenen Baus und der Eintrag eines Wintervorrates werden für die Jungtiere zum Spießroutenlauf.

Monokulturen, kurze und intensive Erntezeiten machen den Säugetieren so schwer zu schaffen, dass mehr Tiere sterben als dass Nachwuchs überlebensfähig wäre. Und damit nicht genug: "Zersiedlung und intensive Bebauung der Landschaft führt zu Lebensraumverlust und fördert die Inzucht, macht anfälliger gegenüber Krankheiten und schwächt Lebensgemeinschaften, sodass die Mortalität höher ist als die Reproduktionsrate", nennt Melanie Albert weitere Gründe für den Rückgang der Bestände.

Immerhin gibt es Hoffnung, fügt die Feldhamsterforscherin hinzu: "Wir konnten beobachten, dass die Tiere höhere Überlebenschancen haben, wenn sie Nahrung und Schutz finden." Und daher ist der Mensch gefordert, für Futter und bessere Lebensbedingungen zu sorgen.

Der Bioturbo für unsere Böden

"Warum brauchen wir überhaupt Feldhamster?" Mit dieser Frage hat Melanie Albert gerechnet: "Kein anderes Tier lebt so tief unter der Erde und durchwühlt und vermischt beim Röhrenbau den Boden. Wir nennen das Bioturbation." Feldhamster haben somit seit Urzeiten zur Fruchtbarkeit der Böden beigetragen. Heute jedoch seien die Bestände zu klein, um überhaupt einen signifikanten Nutzen des Feldhamsters nachzuweisen. "Früher hat man ihn gejagt, weil die Schäden an der Oberfläche erheblich waren, ohne nach seiner Bedeutung für die Bodenbearbeitung oder einen anderen Nutzen zu fragen", bedauert Albert. 

Bedrohte Feldhamster
Wie die Nadel im Heuhaufen - ehrenamtliche Naturschützer suchen nach Feldhamsterröhren Bild: AG Feldhamsterschutz

Die Bundesregierung setzt einerseits auf das Ehrenamt, darauf, dass immer mehr Menschen die Daseinsberechtigung des Feldhamsters erkennen und fördern. Die Kartierung gehört demzufolge zu den Aufgaben der angehenden Feldhamsterschützer. Die erhobenen Daten zu Hamstervorkommen dient Landwirten, aber auch Behörden und Bauherrren als Orientierung.

Bereiche mit nachweislichem Hamsterbestand dürfen nicht bebaut werden, wenn sich der Zustand der Feldhamsterlebensgemeinschaft dadurch verschlechtert. Das verbietet die Europäische Union, die den Feldhamster 1992 zur "streng zu schützenden Art" erklärte und die EU-Mitgliedsstaaten zur Sicherung langfristig überlebensfähiger Hamsterpopulationen verpflichtete. Auch nach dem Bundesnaturschutzgesetz ist der Feldhamster streng geschützt.

Ausgleichszahlungen zur Aufwertung der Agrarlandschaft - in letzter Minute

Mit den Mitteln des Bundes sollen Landwirte finanziell motiviert werden, Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Getreide soll an einigen Stellen stehen gelassen werden. Luzerne soll angepflanzt werden. Ein Mosaik von unterschiedlichen Pflanzen soll dem Feldhamster das Leben erleichtern. "Die Intensivierung der Landwirtschaft ist eine Hauptursache für die Gefährdung des Feldhamsters und der biologischen Vielfalt im Allgemeinen", beklagte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD). Die Vielfalt zu erhalten könne nur gemeinsam mit den Landwirten gelingen. Auch Melanie Albert führt Gespräche mit Landwirten. "Das ist zeit- und personalintensiv. Aber wir müssen schnell handeln, sonst ist es zu spät."

Feldhamster unter Laborbedingungen 

Im Heidelberger Zoo werden seit Jahren Feldhamster mit großem Aufwand nachgezüchtet und dann ausgewildert. Dafür braucht es die entsprechenden Rahmenbedingungen, genügend Platz und die geeignete Lebensraumvoraussetzungen. "Wir erwägen das für Hessen auch", sagt Feldhamsterforscherin Albert. Dies mache jedoch erst Sinn, wenn man den Lebensraum verbessere, sodass die Tiere sich dort langfristig etablieren können. Aber die Tiere auszuwildern sei mit großem Risiko verbunden. Sie ist daher skeptisch "Die nachgezüchteten Hamster sind, wie meist ihre Eltern auch, in Gefangenschaft zur Welt gekommen und kennen keine natürlichen Feinde, wenn sie in Freiheit entlassen werden."