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Wurzeln der Gewalt

30. April 2002

Nach dem Erfurter Amoklauf ist in Deutschland eine breite Debatte über Wurzeln der Gewalt ausgebrochen. Und: Politiker, Pädagogen und Kirchenvertreter fordern eine Verschärfung des gerade erst geänderten Waffengesetzes.

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Auf dem Prüfstand: das neue WaffengesetzBild: AP

Außerdem mahnen sie einen anderen Umgang der Medien mit Gewalt an. Die Diskussion über die Frage, ob und wie Schulen sich gegen Bluttaten schützen können, brachte Thüringens Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU) mit der Aussage auf den Punkt, aus Schulen könnten keine "Festungen" gemacht werden: "Das können und das wollen wir nicht." Ein Amokläufer hatte am Freitag (26. April 2002) in seiner ehemaligen Schule in Erfurt 16 Menschen erschossen, bevor er sich selbst richtete.

Strengere Waffengesetzgebung

Vogel sprach sich für eine Überprüfung des am selben Tag verabschiedeten Waffenrechtes aus: "Sicher müssen wir uns das Waffengesetz unter dem Eindruck der schrecklichen Tat vom Freitag noch einmal sehr genau ansehen", meinte der CDU-Politiker. Dabei gehe es vor allem um die Frage, ob Jugendliche frei über Waffen verfügen dürfen sollten. So darf nach dem neuen Waffengesetz beispielsweise jeder volljährige Sportschütze drei halbautomatische Gewehre besitzen. Die Altergrenze zum Erwerb von Waffen liegt bei 18 Jahren. Innenminister Otto Schily (SPD) regte an, den Waffenbesitz für 18- bis 21-Jährige zu erschweren.

Otto Schily
Bild: AP

Der Präsident des Deutschen Schützenbundes, Josef Ambacher, hält das neue Gesetz für ausreichend. "Mit keinem Gesetz können Sie kriminelle Energie bremsen und so eine Tat verhindern", sagte er. Auch das Mindestalter für den Waffenbesitz sollte bei 18 Jahren bleiben: "Mit 18 sind die Leute volljährig und dann sind sie für alles, was sie tun, verantwortlich." Die Gewerkschaften der Polizei hatten zuvor vor "amerikanischen Verhältnissen" hier zu Lande gewarnt und vor allem einen verstärkten Kampf gegen illegale Waffen verlangt.

Verbot gewaltverherrlichender Videos

Edmund Stoiber
Bild: AP

Mehr Zurückhaltung von den Medien verlangte Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber (CSU). Gewalt dürfe nicht "eins zu eins" übersetzt werden, sagte der bayerische Ministerpräsident. Er forderte ein sofortiges Verbot jugendgefährdender Videos und so genannter Killerspiele. "Was wir jetzt dringend brauchen, ist eine größere Intoleranz gegenüber der Darstellung und Verherrlichung von Gewalt", sagte er.

Ebenso hat sich SPD-Generalsekretär Franz Müntefering für einen restriktiven Umgang mit Gewaltdarstellungen in den Medien ausgesprochen. Notwendig sei eine umfassende gesellschaftliche Diskussion über Grundwerte sowie die Rolle der Informations- und Kommunikationstechnologie. Die Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen müsse deutlich gestärkt werden. Wenn Kinder mit sechs Jahren in die Schule kämen, hätten sie bereits einige tausend Mal gesehen, wie Konflikte mit Gewalt gelöst würden. Alle Experten seien sich heute einig, dass dies Aggressionen nicht abbaue, sondern fördere.

Keine Big-Brother-Atmosphäre an den Schulen

Die Lehrer der rund 40 000 Schulen in Deutschland sollten nach dem Willen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) an diesem Montag (29. April 2002) mit ihren Schülern über Gewalt und deren Ursachen sprechen. "Wir brauchen eine öffentliche und offene Diskussion, an der sich Schüler, Lehrer und Eltern beteiligen - ohne dass dabei den Pädagogen gleich wieder der Schwarze Peter zugeschoben wird", sagte die GEW- Vorsitzende Eva-Maria Stange in Berlin. Die Politiker sollten jetzt "nicht mit eilfertigen Sicherheitsrezepten und dramatisierenden Gewaltszenarien die Realität in deutschen Schulen auf den Kopf stellen", ergänzte Stange. Gegen Taten wie in Erfurt gebe es kaum Schutz. Auch der deutsche Lehrerverband lehnt strengere Sicherheitskontrollen an Schulen ab. Wichtiger sei, dass die Schüler im alltäglichen Umgang gegenseitig besser aufeinander Acht geben.

Bundesinnenminister Schily forderte außerdem einen eigenen Psychologen für jede Schule, da das Konflikt- und Agressionspotential gewachsen sei. "Die Schüler stehen unter einem unglaublichen Stress, der es ihnen nicht erlaubt, ein Versagen zu verarbeiten. Die Art von Stresserziehung, die viele für so erfolgreich halten, muss auf den Prüfstand", sagte Schily. (fro)