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Wuttke: "China hat an Soft Power eingebüßt"

Jun Yan
11. Mai 2020

Der Präsident der Europäischen Handelskammer in China, Jörg Wuttke, sieht keine Abwanderung von Unternehmen aus China. Allerdings werde es Diversifizierung bei Standorten für Neuinvestitionen geben.

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China Railway Express
Güterzugverbindung zwischen China und EuropaBild: picture-alliance/dpa/Imaginechina/W. Zhengwei

DW: Herr Wuttke, wie ist es in Ihrer Einschätzung momentan die Stimmung bei den deutschen beziehungsweise europäischen Unternehmen in China?

Jörg Wuttke: Ich glaube, dass die Stimmung bei unseren Kollegen, genauso wie weltweit, noch sehr schlecht ist. Wir erleben zwar jetzt, dass China, das als erstes Land in die  Krise hereinging, auch als erstes wieder herauskommt.

Aber was uns alle prägt, ist die Ungewissheit, wie das global weitergehen wird. Gibt es einen Rückschlag? Wie lange wird es dauern, eine Medizin dagegen zu finden? Wie werden die Konsumenten in China reagieren? Wie wird die chinesische Wirtschaft wieder anspringen? Wird das eine stetige Erholung sein oder wie eine W-Kurve verlaufen? China ist ja nicht alleine in der Welt, sondern auch dadurch betroffen, dass seine Weltmärkte weggebrochen sind.

Hinzu kommen ganz pragmatische Probleme: Wie bekommen wir unsere Spezialisten und unsere Familienmitglieder wieder von Deutschland nach China? Denn China hat ja seine Grenzen total geschlossen, anders als Deutschland, das Ausländer hereinlässt, wenn sie ihren Wohnsitz dort haben oder Angehörige von Deutschen sind.

Jörg Wuttke
Jörg Wuttke, Präsident Europäischen Handelskammer in ChinaBild: picture-alliance/dpa/EPA/R. D. Pena

Gibt es etwa auch Gewinner der Krise, oder zumindest Anzeichen für Optimismus?

Gewinner müssen Sie mit der Lupe suchen das sind extrem wenige, vielleicht einige, die im Gesundheitssystem unterwegs sind. Wir haben zum Glück Firmen, die sich sehr gut erholt haben. Darunter die Automobilindustrie, die erstaunlicherweise gerade in dem Segment, das die Deutschen abdecken, fast wieder auf Vorjahresniveau ist. Davon profitiert wiederum die Chemiebranche.

Jetzt hört man öfters davon, dass die in China investierten Unternehmen die Standortfrage stellen und überlegen, ihre Lieferketten zu diversifizieren. Aber  laut einer aktuellen Umfrage erwägen nur zehn Prozent der EU-Unternehmen in China einen Standortwechsel. Was sagen Sie zu diesem Thema?

Das geht uns so, das geht den amerikanische Firmen so. Sie fragen sich: Wo soll man denn hingehen?  China ist ja zu 50 bis 60 Prozent in vielen Bereichen am globalen Wachstum beteiligt. Wenn Sie nicht in China sind, sind Sie einfach an der vordersten Front nicht mit dabei. China hat die wichtigsten Industrie-Cluster, darunter die Chemie in Jiangsu und die Elektronik in Guangzhou. Das kann man so schnell nicht woanders in der Welt replizieren. Das dauert 10- 20 Jahre.

Diversifizierung ist aber dennoch ein Thema. Das muss nicht Rückzug heißen, sondern kann heißen, dass man sich innerhalb Chinas diversifiziert. Und ein neuer Trend wird sein, dass man sich nicht aus China zurückzieht, sondern sich bei neuen Projekten die ganze Welt nochmal neu anguckt und sich überlegt, ob es auch woanders attraktive Standorte gibt. Also ein Abwandern ist hier nicht zu erkennen, aber eine Diversifizierung zu neuen Standorten wird es geben. Die, die hier sind, sind froh, dass sie da sind. Aber die anderen wollen nicht ewig warten, ob der Markt sich öffnet. Wir warten auf den Reformeifer der chinesischen Regierung.

Nochmal zurück zur aktuellen Lage. Wie hat sich Chinas Umgang mit der Corona-Krise auf Ihre Mitglieder ausgewirkt? Und wie beurteilen Sie Chinas internationales Auftreten?

Wirklich ein Problem für uns ist, dass das Image Chinas enorm gelitten hat. Jüngste fremdenfeindliche Vorfälle, aber auch die Tatsache, dass Familien getrennt sind und die dementsprechende Situation sehr angespannt ist, führt natürlich dazu, dass etliche europäische Firmen größte Probleme haben, Spezialisten zu rekrutieren, die bereit sind, in China zu arbeiten. Die Personalseite ist momentan eine echte Baustelle für uns.

Nicht hilfreich dabei ist, wenn ein normaler und begründeter Patriotismus in Nationalismus und Abschottung umschlägt. Im Januar hätte Peking eine Politik des Sich-Öffnens verfolgen können, hat es aber nicht getan. Denn jeder in der Welt hatte verstanden, dass China ein Problem hat.  Selbst wenn China spät reagierte, war klar, dass China Leidtragender war. Die Welt hat zwei Milliarden Masken geschickt, viele Firmen haben Millionen an Spenden gemacht. Auf dieser Spur hätte Peking weiterfahren können: China als dankbare Nation, der geholfen wird und die dann ebenfalls anderen hilft.

Aber nein, es wurde von uns allen verlangt, dass wir über diese Hilfeleistungen nichts berichten, dass das alles ganz niedrig gehängt wird. Umso mehr war die Welt erstaunt, dass jede Maskenlieferung aus China mit einem großen Internetauftritt verbunden wurde und mit der Erinnerung, sich immer schön bei China zu bedanken. Erst wurden wir aufgefordert, unsere Hilfe unauffällig zu  leisten, und dann fährt China selbst mit großem Getöse durch die Welt: Mit diesem Vorgehen hat sich das Land eine Menge Verlust an "Soft Power" eingehandelt.

Lockerung der Schutzmaßnahmen

Welche Position sollte die EU bei den aktuellen gegenseitigen Schuldzuweisungen zwischen China und den USA und angesichts der Spannungen zwischen beiden einnehmen?

Die EU ist die größte Volkswirtschaft der Welt, wenn man Großbritannien immer noch dazuzählt. Wir haben 500 Millionen Menschen, wir sind bei High-Tech vorne, wir setzen in vielen Bereichen die Standards dieser Welt. Wir sind groß genug und gut genug, um uns nicht zwischen Amerika oder China entscheiden zu müssen. Wir müssen auf unsere eigenen Interessen schauen: Wenn das bedeutet, die WTO zu verteidigen oder den Klimawandel zu bekämpfen, sind bei wir bei China, wenn es um die freie Seefahrt etwa im Südchinesischen Meer oder um fairen Marktzugang in China geht, sind wir bei den USA. Wir müssen und sollten uns bei keiner Seite anbiedern.

Jörg Wuttke ist Präsident der Europäischen Handelskammer in China und lebt seit knapp 30 Jahren dort.

Das Interview führte Yan Jun.