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"Dem Meer nicht mehr entnehmen als nachwächst"

Karin Jäger26. August 2015

48 Prozent der Bestände im Atlantik und 90 Prozent der Bestände im Mittelmeer gelten als überfischt. Fischerei-Expertin Karoline Schacht erklärt im Interview, wie schonender und nachhaltiger Fischfang aussehen sollte.

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Heringsfischer in der Ostsee (Foto: dpa).
Bild: picture-alliance/dpa

DW: Frau Schacht, früher war freitags Fischtag, ehe der legendäre Komiker Heinz Ehrhardt aufforderte "Esst mehr Fisch". Und heute? Kann man sich überhaupt guten Gewissens als Fischfan outen?

Karoline Schacht: Ja, schon. Der World Wide Fund of Nature (WWF) hat einen Einkaufsratgeber herausgegeben. Dabei bewerten wir, welches Gerät eingesetzt wird - sodass der Meeresboden nicht verletzt oder unerwünschter Beifang produziert wird. Das kann Fischarten beeinträchtigen, die nicht Ziel des Fangs sind und dann wie Abfall behandelt werden. Es können irrtümlicherweise auch Wale, Haie, Delfine, Seevögel und Meeresschildkröten ins Netz gehen, die mitunter schwer verletzt über Bord geworfen werden.

Karoline Schacht (Foto: privat).
Karoline Schacht: Auf Qualitätssiegel achtenBild: Privat

Wir schauen uns auch die Bestände an. Sind die gefährdet, raten wir vom Verzehr ab. Besonders verpönt sind Aal und der Dornhai, der als Schillerlocke im Handel angeboten wird. Zu der sogenannten "roten Kategorie" gehören auch Arten wie die Scholle.

Wie erkennt der Verbraucher, auf welchen Fisch er verzichten sollte?

In Deutschland gibt es die Etikettierungsverordnung der EU. Es muss draufstehen, ob ein Schleppnetz oder eine Langleine in der Fischerei zum Einsatz kommt. Wenn das Produkt außerdem das Siegel des MSC (Marine Stewardship Council) trägt, dann hat die Fischerei erfolgreich nachgewiesen, dass der Fisch aus nachhaltigem Bestand stammt. Das heißt, der Bestand ist nicht von Überfischung bedroht, das Ökosystem wird nicht gefährdet, die ungewollten Beifänge werden minimiert und das Management ist transparent.

Das Siegel gilt allerdings ausschließlich für im Meer gefangenen Fisch und nicht für Zuchtfisch. Von letzterem gibt es aber immer mehr. Die Welternährungsorganisation FAO veröffentlichte gerade erst Berichte, wonach mehr Fisch aus Aquakulturen verzehrt wird als Fisch aus dem Meer. Zur Bewertung von Zuchtfischen gibt es das Qualitätssiegel ASC, aber auch die bekannten Bio-Siegel.

Lachs in der Fischabteilung (Foto: picture alliance).
Äußerst beliebt: Lachs und andere FischsortenBild: picture-alliance/chromorange

Nach WWF-Angaben stammen nur zwölf Prozent der in Deutschland verzehrten Fische aus hiesiger Fischerei oder Zucht. Woher stammt der größte Teil des Fisches für den deutschen und europäischen Markt?

Die deutsche Fischereiflotte hat Schiffe in Übersee und fernen Regionen fahren. Die Versorgung mit Fischprodukten läuft in Deutschland zunehmend auf Basis von Importen aus über 100 Ländern. Fast die Hälfte davon sind Entwicklungsländer.

Decken die Europäer ihren Fischbedarf auf Kosten dieser Länder?

Das kann man nicht klar verneinen. Zwar bemühen sich die europäischen Staaten immer um bilaterale Abkommen mit den Ländern, vor deren Küsten sie fischen wollen. Die Basis der Abkommen ist, nur die Mengen nach Europa abzugeben, die die lokale Bevölkerung nicht für den Eigenverbrauch benötigt. Aber dazu bedarf es wissenschaftlicher Daten und statistischer Erhebungen. Und die liegen oft nicht vor.

Außerdem treiben sich völlig ungeregelt Schiffe der EU-Flotte in den nationalen Gewässern der Entwicklungsstaaten herum. Wenn die Kontroll- und Sanktionsmaßnahmen des jeweiligen Küstenstaates nicht zureichend sind, gibt es keine Abschreckung, den Fischgrund anzufahren.

In den internationalen Gewässern wird die Fischerei durch große regionale Management-Organisationen geregelt. Diese Gremien arbeiten per Vereinbarung, die Fischereinationen werden dort Mitglieder. Schiffe, die unter einer anderen Flagge als der eines Mitgliedsstaates fahren, sind aber dadurch gar nicht angehalten, den dort herrschenden Regeln zu folgen. Aus unserer Sicht handelt es sich dabei um illegale Fischerei.

Geisternetze Schildkröte in Fischernetz (Foto: picture alliance).
Meeresschildkröte als unerwünschter BeifangBild: picture alliance/Mary Evans Picture Library

Wo wird der Fang denn verarbeitet?

Die modernen Trawler sind große Fabriken - sie können fangen, frosten und haben große Lagerkapazitäten an Bord. Und Hafenanlagen in Westafrika, die für die eigene Fischerei und die aus Europa gebaut wurden, um die Verarbeitung sicherzustellen, verrotten, weil es für die ausländischen Fischer billiger ist, den Fisch mit nach Hause zu nehmen und dort zu verarbeiten.

Fischereipolitik scheint eine höchstkomplizierte Angelegenheit zu sein. Vor allem eine internationale, die durch die Europäische Union geregelt wird. Die Fischereiminister der 28 Staaten haben die viel diskutierten Fangquoten abgeschafft und stattdessen die Fangmenge für die verschiedenen Fischarten auf wissenschaftlicher Basis festgelegt. Ist damit das Ziel, Überfischung zu verhindern, erreicht?

Die Gemeinsame EU-Fischereipolitik (GFP) gibt es seit 1983. Und nach der dritten großen Reform 2013 wissen wir, dass es den Beständen noch immer nicht durchgängig gut geht. Die Wissenschaft gibt jedes Jahr Empfehlungen an die Politik, wie viel Fisch aus welchem Bestand entnommen werden kann, wenn der Bestand langfristig erhalten oder sogar aufgebaut werden soll. Die Politiker haben sich allerdings in der Vergangenheit nicht gerne an diese Zahlen gehalten. Und auch heute gibt es eine legalisierte Überfischung, weil die Politik höhere Fangmengen erlaubt.

48 Prozent der Bestände im Atlantik und über 90 Prozent der Bestände im Mittelmeer gelten als überfischt. Wie ist es um die Fischbestände in Nord- und Ostsee bestellt?

Sehr unterschiedlich. Bei den Beständen, die von Interesse sind, also bei Hering und Scholle zum Beispiel, gibt es eine positive Tendenz. Weniger gut steht es um den Kabeljau. Die Bestände leiden seit Jahrzehnten unter einer hohen Rückwurfquote. Das ist, was ein Fischer tot oder verletzt über Bord wirft, weil er dafür keine oder eine erschöpfte Lizenz hat oder ihm die Individuen zu klein erscheinen.

Weil das alles auf See passierte, war es der Beobachtung von Wissenschaft und Verwaltung entzogen. Deshalb hat die EU von der Anlandekontrolle auf die Fangkontrolle umgestellt. Die Behörden wollen wissen, was alles aus dem Meer kommt. Das können sie nur erfahren, wenn man Kameras an Bord installieren lässt, die den Fang aufzeichnen. Über Stichprobenkontrollen muss man überprüfen, ob die Regeln eingehalten werden.

Wie sollte schonender und nachhaltiger Fischfang sein?

Wir wünschen uns eine Fischerei, die die Ressourcen schonend nutzt - das heißt, generell dem Meer nicht mehr entnimmt als nachwächst, die den Beifang minimiert und eine faire Fischerei, die auch außerhalb von EU-Gewässern nach EU-Standards handelt. Außerdem wünschen wir uns politische Entscheidungen auf wissenschaftlicher Basis. Das ist nach wie vor zu dürftig.

Karoline Schacht ist Meeresbiologin und die Fischerei-Expertin der Umweltorganisation WWF (World Wide Fund of Nature).

Das Gespräch führte Karin Jäger.